Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic - Deutsche Sektion

Pressemitteilung 06/2001
22.10.2001

HAAGER "TRIBUNAL" IST FÜR ILLEGAL ZU ERKLÄREN
Zum Schriftsatz von Präsident Slobodan Milosevic, den er am 30. August 2001 im Gerichtssaal nicht verlesen durfte


Wenn der ehemalige jugoslawische Staatspräsident am 29. Oktober 2001 zum dritten Male vor dem Internationalen Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien erscheint, herrscht wieder Bombenkrieg. Nach Irak 1991, Jugoslawien 1999 ist nun, während Mazedonien weiterhin durch terroristische Aggression bedroht bleibt, das geschundene Afghanistan Ziel eines neuen Angriffs der USA und ihrer Verbündeten. Weitere "Schurkenstaaten" sind im Visier der "zivilisierten Welt". Die Bombardierungen des belagerten Irak werden verstärkt fortgesetzt. Und mit der Legitimierung des neuen Krieges der USA und ihrer Verbündeten als "Krieg gegen den Terrorismus", wird wiederum eine Kriminalisierung des Feindes im angeblich strafrechtlich praktischem Sinne mit Kriegführung und Kriegspropaganda verquickt, wie bereits gegen Milosevic und andere Führer Jugoslawiens.

Diese Instrumentalisierung internationaler Strafverfolgung zum Zwecke des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen bedroht die ganze Menschheit. "Nur deshalb akzeptiert das internationale Recht Bombardierungen schutzloser Zivilbevölkerungen durch hochentwickelte Militärtechnologie, die ein Land zerstören kann, ohne es zu betreten, weil eine Supermacht die internationalen Strafverfolgungen kontrolliert und über Verstöße entscheidet." Mit diesen Worten charakterisiert Milosevic in seinem beim "Tribunal" eingereichten Schriftsatz vom 30. August 2001 zur Frage der Illegalität des Haager Tribunals die Bedrohung, die von derartigen illegitimen ad-hoc-Tribunalen letztlich vor allem für die Zivilbevölkerung ausgeht; denn, so fährt Milosevic fort, "Das dominierende Element bei moderner Militärmacht ist Massenvernichtung. Sieger sind die Nationen mit der größten Fähigkeit zur Massenvernichtung. Damit wird die Zivilbevölkerung in einen Zustand maximaler Gefährdung versetzt; denn unmittelbares Ziel der US-Luft- und Raketenangriffe war (in Jugoslawien und ist in Afghanistan) die Infrastruktur."

Pervertierte internationale Strafverfolgung nach Art des ICTY scheint zunehmend zu einem Element aggressiver Militärpolitik der Schöpfer und Förderer derartiger ad-hoc-Tribunale zu werden. Dies könnte die Menschheit letztlich in einen erneuten Weltbrand stürzen. "Als möglicher Ausweg gilt in Fachkreisen die Anrufung des ebenfalls in Den Haag angesiedelten Internationalen Gerichtshofes (IGH), des wichtigsten UN-Rechtsprechungsorgans (...) Ein IGH-Gutachten wäre zwar letztendlich nicht bindend, im Falle des ICTY käme ihm jedoch ohne Frage politisch mehr Gewicht zu als einem Spruch des Tribunals in eigener Sache (...). Die Befugnis zu einer entsprechenden Anfrage hätten neben dem UN-Sicherheitsrat auch die UN-Vollversammlung, die wiederum auch andere UN-Organe dazu ermächtigen könnte. Das Problem ist, dass ein solcher Schritt nach Ansicht von Experten dazu führen könnte, dass alle beim Jugoslawien-Tribunal laufenden Verfahren bis zur Übergabe des IGH-Gutachtens ausgesetzt werden müssen - möglicherweise nicht nur für Monate. Die Neigung, ein solches Signal zuzulassen, ist vor allem bei den Staaten, die im Jahr 1999 Krieg gegen Jugoslawien führten, denkbar gering." (Roland Heine, "Wie legitim ist das Haager UN-Tribunal? - Nicht nur juristische, sondern auch politische Probleme belasten die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals" in: Berliner Zeitung v. 03. September 2001)

Das Haager Tribunal ist, wie Milosevic in seiner schriftlichen Erklärung ausführt, durch drei schwerwiegende Rechtsmängel gekennzeichnet:

I

Erstens: Die Charta der Vereinten Nationen ermächtigt den Sicherheitsrat nicht, Strafgerichte zu schaffen. Dies kann außer durch Charta-Änderung nur im Wege der Übereinkunft zwischen Nationalstaaten durch einen zu diesem Zweck geschlossenen Vertrag geschehen. So unterzeichneten nach jahrzehntelanger Vorbereitung im Juli 1998 120 Staaten einen Vertrag über die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs, der bis Juli 2001 von 37 Staaten ratifiziert wurde.

Wenn aber der Sicherheitsrat nicht durch die UN-Charta eingeschränkt wird, könnte er jeden Akt vollziehen, der seinen Wünschen entspricht, und dabei jegliches Recht außer Acht lassen. Absolute Entscheidungsgewalt jedoch ist geradezu die Definition von Gesetzlosigkeit.

II

Zweitens: Ein Gericht, das befristet und für eine Episode in einem bestimmten Land von einer internationalen politischen Macht geschaffen wurde, um ihren geopolitischen Interessen zu dienen, ist unfähig, zwischen den Staaten oder innerhalb des politisch anvisierten Staates gleichförmig zu agieren. Es steigert Gewalt, Spaltung und das Risiko des Krieges mit benachbarten Völkern sowie zwischen Teilen der jugoslawischen Gesellschaft. Hätte die Charta der Vereinten Nationen den Sicherheitsrat ermächtigt, Strafgerichte zu schaffen, könnte er doch auch dann nicht ein Gericht nur für eine Nation oder eine Episode zu politischen Zwecken schaffen, um ausgewählte Gruppen oder Personen zu verfolgen. Ein solches Gericht ist unfähig, eine gleichmäßige Rechtsprechung nach Recht und Gesetz auszuüben. Ein Ad-hoc-Gericht verletzt die elementarsten Prinzipien jeden Rechts. Gleichheit ist die Mutter der Rechtsprechung. Ein internationales Gericht, das errichtet wurde, um Taten in einer einzigen Nation und primär, wenn nicht gänzlich, einer begrenzten Gruppe zu verfolgen, ist zu ungleicher Strafverfolgung geradezu vorprogrammiert.

Kann der Sicherheitsrat ein Strafgericht zur Verfolgung von Handlungen in Jugoslawien (und Ruanda) schaffen, so kann er auch ein Gericht für jedes beliebige andere Land bestimmen und dabei bestimmte Feinde oder, je nach politischer und ökonomischer Opportunität, jeweils einen Feind ins Visier zu nehmen. Und dabei setzt er sich selbst oder diejenigen, die seinen Wünschen entsprechen, niemals einer solch selektiven Strafverfolgung aus.

Aus der Natur eines ad-hoc-Tribunals folgt, dass es erst nach den Handlungen geschaffen werden kann, die nach der Entscheidung des Sicherheitsrates die Schaffung eines Gerichts rechtfertigen, da es keinen anderen Vorwand für seine Schaffung gibt. Auf jeden Fall hat es rückwirkende Geltung. Darin liegt ein Verstoß gegen ein uraltes Rechtsprinzip.

Das Anvisieren einer einzelnen Nation erzeugt Verurteilungszwang. Wenige Richter, die in ein unter diesen Umständen geschaffenes Tribunal berufen worden sind, werden die innere Freiheit besitzen, von nebensächlichen Ausnahmen abgesehen, auf Freispruch zu erkennen.

Das ad-hoc-Tribunal, welches ein Land ins Visier nimmt, ist unfähig, in demselben Konflikt möglicherweise begangene größere Verbrechen zu verfolgen, die von einer Macht oder deren Verbündeten begangen wurden, die das ad-hoc-Tribunal initiierten.

Nur deshalb akzeptiert derzeit das internationale Recht Bombardierungen schutzloser Zivilbevölkerungen durch hochentwickelte Militärtechnologie, weil gegenwärtig eine Supermacht die internationalen Strafverfolgungen kontrolliert und über Verstöße entscheidet.

Kann ein Straftribunal für Jugoslawien, das die durchgängige Gewaltanwendung der USA ignoriert, und das öffentliche Bewußtsein vom Verhalten der USA ablenkt und Luft- und Raketenangriffen auf Zivilisten und den Einsatz illegaler Waffen gegen ein Land nach dem anderen durch stillschweigende Hinnahme legitimiert und damit eine Wiederholung zu einem zu erwartenden Ereignis macht, noch ehe es eintritt, zu der Hoffnung auf Einhaltung des Rechts, auf Gerechtigkeit und Frieden beitragen?

Die Vereinigten Staaten, selbst gegen Kontrolle oder Verfolgung immun und über dem Gesetz stehend, gebrauchen ihre Macht, um die Verfolgung von Feinden zu veranlassen, die sie auswählen, um sie zu terrorisieren und weiter zu dämonisieren.

III

Drittens: Das Haager Tribunal ist unfähig, die Grundrechte zu schützen oder ein ordentliches Gerichtsverfahren zu gewährleisten.

Ihm fehlt die Macht, Beschlüsse durchzusetzen oder die Offenlegung von Beweismaterial und das Erscheinen von Zeugen, insbesondere für die Verteidigung, zu erzwingen. Es ist zu unparteiischer Darstellung des Sachverhalts oder zu gleichmäßiger Definition und Anwendung von Rechtsprizipien nicht fähig.

Die Merkmale seiner Befangenheit liegen inhärent im Zweck und in der Natur eines zeitlich befristeten ad-hoc-Tibunals. Es mangelt ihm an Personal, das Teil einer einschlägigen Rechtspflegetradition wäre. Es ist weit von dem Ort entfernt, von dem die Angeklagten herkommen, und von den Ereignissen, die dort vorgefallenen sind. Dabei ist das Gericht von seinem Schöpfer angewiesen, nicht von der Unschuldsvermutung auszugehen, sondern davon, dass schreckliche Verbrechen vorgefallen sind, und dass die Angeklagten aus der Gruppe kommen, die sie begangen hat.

In Verletzung des Rechts auf rechtlichen Beistand verweigerte die Geschäftsstelle des Gerichts (Registry) Milosevic einige Wochen nach Eröffnung der Anklage das Recht, sich mit Anwälten seiner Wahl zu beraten. Der Leiter der Gerichtsgeschäftsstelle (Registrar) schrieb, dass es für den einen Anwalt, der ihn in dieser Zeit und nur für zwei Stunden aufsuchte, "unzweckmäßig" wäre, den Fall zu besprechen, weil das Gespräch überwacht werde, und die Vertraulichkeit verletzt werden würde. Anwälten aus Jugoslawien, die Milosevic zu konsultieren verlangte, wurden mit der Ausnahme eines zweistündigen überwachten Besuchs sieben Wochen nach Eröffnung der Anklage die Visa zur Einreise in die Niederlande verweigert. Andererseits wurde Milosevic in Isolationshaft gehalten, konnte seine Frau erst nach über zwei Wochen sprechen und dann auch nur durch eine schalldichte Glaswand mittels überwachter Telefone. Sie wurde gehindert, mit der Presse zu sprechen.

Vor machtlosen ad-hoc-Tribunalen ist es stets unmöglich gewesen, Beweise und Zeugen der Verteidigung in das Verfahren einzuführen. Das ICTY war bei vielen Angeklagten im ehemaligen Jugoslawien unfähig, sie in Gewahrsam zu nehmen. Und es hat auf unzulässige und illegale Mittel zurückgegriffen oder sie geduldet, um ihre Überstellung zu erpressen.

Die von den USA installierte Regierung Serbiens entführte und überstellte Milosevic in Verletzung der Verfassung der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien und ihrer Gesetze, noch während das Verfassungsgericht über den Auslieferungsantrag zu entscheiden und jegliches auf Auslieferung gerichtete Handeln bis dahin untersagt hatte. Darin lag auch eine Verletzung der Entschließung des Sicherheitsrats über die Schaffung des Tribunals, die vorsieht, dass eine Auslieferung in Übereinstimmung mit den nationalstaatlichen Gesetzen des um Auslieferung ersuchten Staates erfolgen soll.

Wo die Vereinten Nationen ein internationales Kidnapping von Politikern betreiben oder dulden, da heißt dies für die Weltöffentlichkeit, dass alte Methoden der Gewalt, der Täuschung und des Zwangs wieder die ihrigen sind. Und derartige Methoden werden so beantwortet werden, wie sie allein beantwortet werden können: durch dieselben Methoden.

Die neue von den USA installierte serbische Regierung könnte durchaus Beweismaterial fabrizieren, Beweise vernichten und Kontrolle und Zwang bei Zeugen ausüben, um an Verurteilungen durch das ICTY mitzuwirken, und sie wird versuchen, Bemühungen der Verteidigung zu hintertreiben, Dokumente, weiteres Beweismaterial und Zeugen in Jugoslawien aufzutreiben, die für die Verteidigung in Den Haag erforderlich sind.

Die Idee und Existenz von ad-hoc-Tribunalen wird durch den Vertrag über die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofs in Frage gestellt. Die USA üben Druck aus, um Staaten von einer Ratifizierung abzuhalten. Sie drängen auf Schaffung neuer Tribunale für die DR Kongo, Sierra Leone, Sudan und andere, um diese Regionen zu dominieren und die Bestrebungen für einen Internationalen Strafgerichtshof zu konterkarieren.

Die Vereinigten Staaten möchten lieber Staaten einzeln zur Verfolgung auswählen können, und dabei sich selbst, ihre Verbündeten sowie bevorzugte Klientelstaaten absichern. Ad-hoc-Tribunale, die illegitim und zu gleichmäßiger Rechtsprechung unfähig sind, die durch ihre Natur nicht in der Lage sind, faire Gerichtsverhandlungen zu gewährleisten, und deren Opfer schon lange zuvor durch die Medien vorverurteilt worden sind, sind eine Waffe der USA zur langfristigen Kontrolle und Ausbeutung von Staaten und Regionen. Dies ist ihre Globalisierung, dies ist der neue Kolonialismus.

Milosevic fordert abschließend, das sogenannte ICTY für illegal zu erklären und seine Gefangenen, gleich ob legal oder illegal ausgeliefert, unverzüglich freizulassen. Das Internationale Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic hat sich diese Forderung zueigen gemacht und appelliert an den Generalsekretär und die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, in diesem Sinne tätig zu werden.


Wortlaut der Erklärung von Milosevic vom 30.8.01
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Kontakt: Klaus Hartmann, Schillstraße 7, D-63067 Offenbach am Main, T/F: 069 - 83 58 50; e-mail: vorstand@freidenker.de


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