"Friedenspreis"-Verleihung an Del Ponte nicht unwidersprochen

Von Cathrin Schütz und Peter Betscher, Münster

Anlässlich der skandalösen Verleihung des "Westfälischen Friedenspreises" an Carla Del Ponte, Chefanklägerin am UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, durch die Wirtschaftliche Gesellschaft für Westfalen und Lippe e. V.(WWL) wurde vom Internationalen Komitee zur Verteidigung von Slobodan Milosecic - Deutsche Sektion (ICDSM), der DKP Münster und dem Aktionsbündnis gegen den Krieg Münster eine Gegenveranstaltung organisiert.

Trostpreis für Carla del Ponte

Eine gelungene und in sich schlüssige Vorstellung über den Sinn und Zweck der Friedenspreisverleihung an die Den Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte wurde am Freitag in der Uni Münster von Jürgen Elsässer geboten. Der Konkret-Redakteur sprach über Carla Del Pontes Probleme im "Fall Milosevic".

Die Verteidigung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten ist immer sorgsam vorbereitet und reich an Fakten und führte schon in den ersten Prozesstagen zu Meldungen wie: "In Belgrad ist Milosevic ein Held" - ein für Del Ponte gänzlich unerfreulicher Umstand.

Ein Problem für Del Ponte ergibt sich laut Elsässer daraus, dass in der Anklage der Punkt "Völkermord im Kosovo" fehlt, weil es nach Angaben der Chefanklägerin dafür keine Beweise gibt. Statt dessen bilden die Getöteten den Kern der Kosovo-Anklage, die das Haager Tribunal mit 11.334 bezifferte, bevor es in der Klage nur noch 577 nennen konnte. Ob es sich bei all diesen um kosovo-albanische Zivilisten handelt, bleibt zu fragen.

Jürgen Elsässer schlägt hier den Bogen zu einem nicht unbedeutenden Umstand, der ebenfalls für Frau Del Ponte zum Problem werden könnte: wo nämlich ist der Befehl zu finden, der belegen würde, dass Milosevic für diese Toten verantwortlich zu machen ist? Nach der Lektüre des Buches "The other side of the story" der beiden jugoslawischen Generäle Dusan Vilic und Bosko Todorovic kann Elsässer berichten, dass es offenbar kein Dokument gibt, in dem etwas derartiges festzustellen wäre. Auch unter Einbeziehung der geheimen Dokumente finden sich ausschließlich Befehle, die den Schutz der Zivilbevölkerung zwingend festschreiben und Zuwiderhandlungen mit harten Strafen bemessen.

Da all das für das Haager Tribunal nicht gut aussieht, "wäre es gut, wenn es einen Hufeisenplan gäbe", so Elsässer. Da es sich dabei jedoch, wie mittlerweile gezeigt, um ein deutsches Konstrukt aus den Kreisen des Verteidigungsministers handelt, versuche man noch immer, wenigstens "einen hufeisenähnlichen Plan herbeizuzaubern". Auch das läuft für die Anklage nicht nach Plan, da sich die jugoslawische Hauptstütze für die Bestätigung eines solchen geplanten Vertreibungsaktes, Dragan Vuksic, bei genauerem Hinschauen in Widersprüche verstrickt.

Als es klar wurde, dass die Kosovo-Anklage auf den Anklagepunkt Völkermord aus Mangel an Beweisen verzichten musste, wurden weitere Anklagen gegen Milosevic nachträglich ergänzt, so der Punkt Völkermord in Bosnien-Herzegowina.

Warum es trotz allem nicht gut ausschaut für Del Ponte zeigt Elsässer, in dem er fragt, ob nicht jeder im Falle Bosniens sofort an "die Rampe von Srebrenica" denke? Hier verweist er auf den bisher umfangreichsten Bericht zu diesem Thema, der kürzlich vom Niederländischen Institut für Kriegsdokumentation herausgegeben wurde. Ob dieser Bericht die Ereignisse von Srebrenica objektiv wiedergibt, können wir nicht beurteilen, aber zum Leidwesen von Frau Del Ponte enthält er laut Jürgen Elsässer keinerlei Anhaltspunkte oder Hinweise für eine Verantwortung seitens Slobodan Milosevic (ausführlicher und über die anderen neuen Erkenntnisse des Berichtes über Srebrenica, in dem alles steht, "nur nicht das, was die deutschen Kriegsberichterstatter darin gelesen haben" in Konkret, Juni 2002).

Ein neuerlicher Versuch, belastendes Material über den CIA-Mann John David Neighbour für das Tribunal zu erkaufen, endete abrupt im März dieses Jahres, als die CIA-Perisic-Affaire aufflog.

Kurzum: der Prozess läuft schlecht und um so wichtiger ist eine Aktion wie die Preisverleihung in Münster, die Del Ponte "gute Presse" bringt und von ihrer Misere ablenkt.

Das Tribunal ist die Freundin der Nato

Am Samstag morgen führte ein Demonstrationszug vom Bahnhof durch die Münsteraner Innenstadt. Die anschliessende Kundgebung fand vor ca. 300 Teilnehmern inmitten einer grossen Zahl samstäglicher Shopping-Passanten statt. Dr. Dieter Keiner (Aktionsbündnis gegen den Krieg) sprach über die örtlichen Hintergründe der Preisverleihung und ging auf die Rolle von Münster als Militärstützpunkt ein.

Aus Jugoslawien wurden zwei Grussbotschaften verlesen. Die SPS (Sozialistische Partei Serbiens) und die Organisation SLOBODA (Freiheit) appellierten an "alle anständigen Europäer", sich der zunehmenden Beugung des internationalen Rechtes zu widersetzen. Die zweite des Belgrade Forums wurde von Liljana Verner auf serbokroatisch verlesen.

Klaus Hartmann, Präsident der Weltunion der Freidenker und Sprecher der deutschen Sektion des ICDSM machte auf die für ein vermeintlich unabhängiges Gericht interessanten "Verwandtschaftsbeziehungen" aufmerksam. Nicht nur bezeichneten Tribunal-Insider Madelaine Albright als "Mutter des Tribunals", auch könne man, so Hartmann, die Aussage des uns alle an Würgegefühle erinnernden ehemaligen NATO-Sprechers Jamie Shea in "Das Tribunal ist die Freundin der NATO"umkehren, um den Zweck dieses völkerrechtswidrigen Konstrukts exakt zu beschreiben. Es dient der Fortsetzung der Aggression gegen Jugoslawien, soll den Angriffskrieg der NATO legitimieren und den propagandistischen Endsieg der NATO erringen. Die Preisverleihung an Del Ponte sei ein Affront gegen alle friedliebenden und rechtsbewussten Menschen, aber zugleich eine Herausforderung, mit den Neuen Weltordnern keinen Frieden zu machen, sich ihren Kriegen entgegen zu stellen und die Solidarität mit ihren Opfern zu verstärken.

Während die Preisverleihung im hermetisch abgeschirmten illustren Kreis im Rathaus stattfand, wurde die Propaganda-Show für das gemeine Volk auf einer Leinwand vor dem Dom übertragen. Das öffentliche Interesse an diesem Spektakel hielt sich trotz der von einer "Münster Marketing" inszenierten "Friedenspreistage" in Grenzen. Münsteraner erfreuten sich besonders der Rückseite der Leinwand, die ihnen beim Samstagscafe Schatten spendete. Am "Ereignis" schienen dagegen nur Einzelne interessiert zu sein.

junge Welt vom 11.06.2002


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