Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Miloševic - Deutsche Sektion

Pressemitteilung 1/2003
09.01.2003

Haager "Tribunal": Stille, Nacht


Am 18.12. endeten sang- und klanglos die Verhandlungen des Jahres 2002 des Haager "Tribunals" gegen Slobodan Miloševic, die am 14.02.2002 unter beispielloser Medienpräsenz begonnen hatten. Für den 09.01.2003 ist die Fortsetzung angekündigt - des "Prozesses", nicht der Berichterstattung. Anlass für eine kurze Zwischenbilanz des Schauprozesses, in dem die Zerstörer Jugoslawiens über den prominentesten politischen Gefangenen der NATO zu Gericht sitzen, sowie einige "nachholende" Informationen

Vom 14. Februar bis Anfang September 2002 präsentierte die "Anklage" ihre Zeugen zum Thema Kosovo, seit dem 26. September 2002 steht die "Kroatien-Anklage" auf dem Programm. Anfangs als "Jahrhundertprozess" und "Meilenstein für die Internationale Gerechtigkeit" angekündigt, ließ das Medieninteresse bald rapide nach, da der "Prozess" sich so gar nicht nach den Vorstellungen seiner Inspiratoren und der Meutejournalisten entwickelte, die Miloševic schon längst verurteilt hatten. Am 20.06.02 meinte die Neue Zürcher Zeitung, dass Miloševic "die Kreuzverhöre in den vergangenen vier Monaten zum Teil überzeugend geführt hat. Gelegentlich sogar dermaßen gut, dass sich der Beobachter im Gerichtssaal die Frage stellte, wer denn eigentlich in diesem Prozess angeklagt ist. Die von Milosevic an den Tag gelegte Überheblichkeit, verbunden mit Zynismus, hat die Anklage bereits zur Äußerung veranlasst, falls Miloševic so weitermache, werde es schwierig, Zeugen nach Den Haag zu laden."

Die Märkische Allgemeine vom 30.07.02 beklagte, "Ex-Präsident Miloševic zeigte sich während der vergangenen 86 Verhandlungstage stets in bester Form: ungebrochen, unnachgiebig und entschlossen, den Prozess gegen ihn in ein politisches Tribunal gegen die Nato zu verwandeln". "Ihre weitere Taktik zu überdenken" sei "für Chefanklägerin Carla del Ponte eine längst nötige Zäsur", sie müsse "sich etwas Neues einfallen lassen". Die Zeitung berichtet, "Völkerrechtsexperten und Staatsrechtler kritisieren das Verfahren hinter vorgehaltener Hand heftig. Die Anklagen wegen Völkermordes in Bosnien, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kroatien und gegen die Kosovo-Albaner seien unzureichend vorbereitet worden, die Zeugen enttäuschten mit ihren Aussagen und die Ermittlerteams recherchierten oft schlampig und ungenau."

Das endgültige Desaster für die "Anklage" wurde am letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause offenbar, als der vermeintliche Kronzeuge Markovic nicht den erhofften "rauchenden Colt" präsentierte, sondern im Gegenteil Slobodan Miloševic in allen Punkten bestätigte und entlastete. Daraufhin erschienene Schlagzeilen wie "Eklat in Den Haag" (Salzburger Nachrichten, 29.07.02) markieren den Weg zum völligen Desinteresse der Medien und "begründen" ihren Übergang zur totalen Nachrichtensperre. So ist insbesondere über die Entwicklung nach der Sommerpause und das Schicksal der "Kroatien-Anklage" praktisch nichts mehr bekannt geworden. So soll im Folgenden an wenigen Beispielen die Information nachgetragen werden, die in den Medien systematisch verschwiegen wird.

Die passende Einstimmung auf den 2. "Prozess"-Teil lieferte del Pontes Adjudant Nice am 26.09.02, als er für die "Anklagen" zu Bosnien und Kroatien nur 89 Minuten statt der vorgesehenen drei Stunden benötigte. Besonders beeindruckend war seine Warnung, von den Zeugen der "Anklage" allzuviel zu erwarten - er sprach von Zeugen aus einem sogenannten "dritten Kreis", die möglicherweise nichts über den "Angeklagten" aus eigenem Erleben aussagen können, und solchen aus einem "inneren Kreis", die möglicherweise nicht gegen Slobodan Miloševic aussagen wollen. Die Schuld könne nur wie in einem Puzzle zusammengereimt werden, schlagende Beweise, wie besonders von Journalisten erwartet, werde es nicht geben. Dies war zugleich als vorsorglicheWarnung zu verstehen, endlich die Presseschelte einzustellen und mit der Kritik an der "Beweisführung" aufzuhören.

Wie schon aus dem "Kosovo-Verfahren" gewohnt, wurde Slobodan Miloševic mit seiner Erwiderung auf Del Ponte und Nice wiederum zum Ankläger und beleuchtete grell die argumentative und intellektuelle Niveaulosigkeit der "Anklage".

Als entscheidenden "Punkt, warum die ´Anklage´ sowohl in formeller wie materieller Hinsicht falsch ist," nannte er, "dass sie Serbien und mich als seinen Präsidenten für den Bürgerkrieg in Kroatien und den Bürgerkrieg in Bosnien anklagt, wo sich doch weder Serbien noch die Bundesrepublik Jugoslawien im Krieg befanden, weder mit Kroatien noch mit Bosnien-Herzegowina." Jedoch: "Wenn islamistische Gotteskrieger über 5000 Kilometer zurücklegen, um für muslimische Fundamentalisten in Sarajevo zu kämpfen, dann soll das normal sein, nicht jedoch, wenn Serben ihren Nachbarn helfen." Und "weil Serbien den Serben half, bin ich ein Krimineller, aber wenn der Vatikan den Kroaten half, eine Sezession mit Gewalt zu betreiben, bleibt der Papst der Heilige Vater."

Saal leer gesungen

Als erster Zeuge wurde ein gewisser C 37 präsentiert, besser gesagt, er wurde nicht präsentiert, denn als "geschützter Zeuge" wurde er in einem Bretterverschlag vor den neugierigen Blicken des Publikums geschützt. Ratsamer wäre allerdings gewesen, man hätte ihn vor den Fragen der "Anklage" geschützt, denn auf mehr als 50% der Fragen antwortete er entwaffnend mit "weiß ich nicht". Dabei war er ganz und gar beflissen, und versuchte sein Nichtwissen so gut es ging zu verbergen. Es ging aber nicht oft gut, denn was er wusste, wusste er von anderen, deren Namen er aber nicht wusste, oder hatte es im Fernsehen gesehen, oder in der Zeitung gelesen, oder meinte einfach, das habe "jeder gewusst".

Leider kann aber nicht "jeder" vorgeladen, geschweige denn mit Brettern geschützt werden, und selbst dem sonst nur mit dem "Angeklagten" ungeduldigen vorsitzenden "Richter" May wurde es wiederholt zuviel. In seinen Gesichtszügen hat sich ohnehin die ganze Erfolglosigkeit des "Prozesses" sinnbildlich eingegraben, nun musste er die "Anklage"-Vertreterin mehrfach ermahnen, den Zeugen nur nach Dingen zu fragen, die der wissen konnte. Dann hätte sie es allerdings sehr kurz machen können. Dabei sollte es der Tag der Hildegard Ürz-Retzlaff werden, die bisher als Mauerblümchen die "Ankläger"-Bank zierte. Ganze Fragenkomplexe musste sie angewiesenermaßen stornieren, denn nur Erfindungen spiegelnde Fragen vorlesen und ohne Bestätigung bleiben, ist schwerlich "Beweisführung" zu nennen.

Ein typisches Beispiel der überzeugenden "Zeugenschaft": Mitglieder des Banja Luka Corps der Jugoslawischen Volksarmee, die in West-Slawonien stationert waren, hätten an Verbrechen im Dorf Donji Caglic teilgenommen, behauptete er. Als Frau Uertz-Retzlaff hoffnungsvoll nach der Quelle seiner Kenntnisse fragte, antwortete C-37 entwaffnend, das habe er von der örtlichen Bevölkerung gehört. Dumm, dass Hörensagen aus dritter Hand nicht als Beweis gilt.

Der Zeuge war angeblich Mitglied der SDS (Serbische Demokratische Partei) in der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien, die sich gegen die kroatisch-nationalistischen Sezessionsbestrebungen wandte, sowie gegen Pläne, die Serben von einem bisher staatsbildenden Volk zu einer nationalen Minderheit mit minderen staatsbürgerlichen Rechten zu machen. Über das zweckmäßigste Vorgehen in dieser Situation war die Partei offenbar gespalten, die Mehrheit lehnte die Eingliederung in einen kroatischen Separatstaat ab, die Minderheit, der der Zeuge angehörte, plädierte für Verhandlungen. Dass er in diesem innerparteilichen Zwist unterlegen war, prädestinierte ihn aus "Ankläger"-Sicht zum Zeugen, doch was sein Lamento mit Slobodan Miloševic zu tun haben könnte, blieb im Dunkeln.

So verlas die arme, unter ständigen nervösen Zuckungen leidende "Anklägerin" ohn´ Unterlass Anwesenheitslisten von Parteisitzungen mit der "beweisrelevanten" Frage, ob der Zeuge die Namen von mehreren Dutzend Teilnehmern kenne, was dieser meist bestätigte. Dass diese SDS mit Miloševics Sozialisten nicht sonderlich eng befreundet war, kam leider nicht zur Sprache. Ein einziges Mal versuchte die "Anklägerin" vom Zeugen zu erfahren, ob bei irgend einer Sitzung, an der er teilgenommen hatte, auch Milosevic zugegen war, doch das musste der arme Tropf verneinen. So erschöpfte sich der ganze Nährwert seiner Aussage in der Mutmaßung, dass Miloševic wohl die Mehrheitslinie der SDS unterstützt habe, und als Indiz dafür galten ihm die seinerzeitigen Berichte und Kommentare in jugoslawischen Medien.

"Wie kann dieser Zeuge aus seiner Waldeinsamkeit die Situation in Belgrad beurteilen? Wie soll er die Situation der Belgrader Medien kennen? Sie muten uns einen völlig inkompetenten Zeugen zu!", kommentierte Slobodan Miloševic diese Aufführung, und an Herrn May gewandt: "Sie sagen immer, dass wir keine Zeit verschwenden sollen - dieser Zeuge ist die reine Zeitverschwendung!" Das Dumme daran war, dass May und alle Besucher der Veranstaltung das wohl ebenso sahen. Was die "Anklage" mit der Präsentation eines völlig Ahnungslosen zur Eröffnung der zweiten "Prozess-Runde" allerdings bezweckte, bleibt wohl ein sorgsam "geschütztes" Geheimnis.

Nach der Zahl der angereisten Medienvertreter zu urteilen, machten die sich wenig Hoffnungen auf den zweiten Teil der "Anklageeröffnung", vielleicht 10 Prozent der im Februar anwesenden war erschienen, ein großer Teil der für sie reservierten Plätze blieb leer. Die vom "Tribunal" so klassifizierten "zivilen Besucher" (Medienvertreter als 4. Waffengattung?) fanden bereits 30 Minuten nach Beginn Einlass. Frau del Ponte schwänzte konsequenterweise schon den zweiten Eröffnungstag, und zog es vor, ausländische Bustouristen höchstpersönlich durch die tristen Gemäuer ihrer Institution zu führen.

Für alle unter Publikumsschwund leidenden Veranstalter ist es wichtig, frühzeitig den nächsten Publikumsmagneten anzukündigen. So auch der Zirkus del Ponte, der sogleich den eine Woche später zum Vorsingen bestellten ausländischen Gaststar anpries, den kroatischen Präsidenten Stipe Mesic. Das Tribunalsmarketing schien auch erfolgreich, denn das Publikum strömte wie einst im Mai, als der ebenso beworbene Ibrahim Rugova kam, sprach und floppte. Die Medien waren sich des raren Höhepunkts bewusst und mutmaßten sofort, es sei ein historischer. Mit Mesic habe "erstmals ein amtierendes Staatsoberhaupt" (Neue Zürcher Zeitung), "der bisher höchstrangige Zeuge" (Frankfurter Rundschau) ausgesagt, wird am 02.10.2002 mit Genugtuung festgestellt.

Kriegsverbrecher im Zeugenstand

Wenn es der "Anklage" nach eigenem Bekunden um den Schuldnachweis gegen Miloševic geht, dass er im Rahmen eines "gemeinschaftlichen kriminellen Unternehmens" die Schaffung eines "Groß-Serbiens" erstrebte, und dazu Verbrechen anordnete, zumindest von ihnen wusste, und sie nicht verhinderte, dann bräuchte sie Zeugen, die jene Miloševic zugeschriebenen Befugnisse bestätigten. Was erwartet sie aber von der Vorladung eines der bekanntesten Gegenspieler, eines Intimfeindes von Milosevic? Sicher kann so einer kaum mit Insiderkenntnissen aus dem "System Miloševic " dienen. Was er kann, ist die politische Sichtweise des Kriegsgegners zu bekunden, er zeugt in eigener Sache, als Ideologe, als antiserbischer Propagandist. Gerichtsverwertbar sind solche Auslassungen nicht, aber mit einem Gericht haben wir es bei diesem "Tribunal" ja auch nicht zu tun.

Auch die Agenturen sahen sich bemüßigt, zunächst die Sinnfrage des Mesic-Auftritts zu beantworten: "Von der Aussage Mesics erwartet die Anklage Angaben über die Aktionen von Miloševic beim Zerfall der sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien Anfang der neunziger Jahre." Erwartungsgemäß geriet die "Aussage" zum ideologisch-politischen Schlagabtausch: Mesic behauptete laut österreichischer Agentur APA am 01.10.02, " Miloševic sei nicht an Jugoslawien interessiert gewesen, sondern lediglich an einem ´auf den Ruinen des Landes aufgebauten Großserbien´". Und " Miloševic hatte Mesic vor dem Tribunal in Den Haag beschuldigt, die Auflösung Jugoslawiens betrieben zu haben. Mesic hatte 1991 als letzter Kroate den Vorsitz des jugoslawischen Staatspräsidiums inne."

In der Frankfurter Rundschau gibt Klaus Bachmann bekannt, warum der Zeuge eine entscheidende Rolle für die "Anklage" spielen soll: "Mit der Aussage des amtierenden kroatischen Präsidenten will die Anklage vor allem den Nachweis für die Existenz eines ´Generalplans´ des Angeklagten führen, der darauf ausgerichtet war, ein Groß-Serbien zu errichten." Die Neue Zürcher Zeitung kann am 02.10.02 wieder mal einen völlig unbotmäßigen Slobodan Miloševic präsentieren: "Der Angeklagte bezeichnete Mesic als einen besonderen Zeugen mit einer ‚langen kriminellen Geschichte´." Sie zeigt aber zugleich, dass der "Richter" May zwar nicht den Unparteiischen, aber den Zuchtmeister spielt: "Richter Richard May hat sich am Dienstagmorgen im Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Miloševic vor dem Uno-Tribunal in Den Haag einmal mehr veranlasst gesehen, den wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen angeklagten Miloševic in die Schranken zu weisen."

Die gebetsmühlenartige Wiederholung, weswegen Slobodan Miloševic angeblich angeklagt sein soll, wollen wir hier mal nicht routinemäßig übergehen. Dass sich nämlich bezüglich der "Völ-kermord"-Anklage wenige Tage zuvor ein Drama abgespielt hat, nämlich für die begnadete Frau del Ponte, das weiß nämlich hierzulande nur ein Leser des Neuen Deutschland vom 21.09.2002: "Die Haager Chefanklägerin Carla del Ponte muss auf Anordnung des Vorsitzenden Richters im Milosevic-Prozess, Richard May, den Rotstift ansetzen und Teile der Völkermord-Anklage gegen Slobodan Miloševic fallen lassen. ‚Wir können in der Anklageschrift den Vorwurf des Völkermords an bosnischen Kroaten während des Krieges nicht beweisen.´ Richter May wies deshalb das Team von Carla del Ponte an, die Anklageschrift zu reduzieren und bis zum Beginn des Verfahrens gegen Miloševic wegen mutmaßlicher Verbrechen im Kroatien- und Bosnienkrieg am 26. September neu zu fassen. Jetzt werden sämtliche Fälle aus der Anklageschrift gestrichen werden müssen, die mutmaßliche Verbrechen gegen bosnische Kroaten beschreiben. Die durchwachsenen Erfahrungen aus dem Verfahren wegen Miloševics mutmaßlicher Verbrechen im Kosovo-Krieg scheinen May zu dieser bislang einmaligen Anweisung bewogen zu haben: Die Anklage wartete mit einer Vielzahl an Zeugen auf, die aber teilweise bei den Kreuzverhören durch den Angeklagten selbst einknickten und keineswegs das Bild schärften, das die Anklage darzustellen versuchte."

"Richter" May sorgt sich also keineswegs um einen fairen Prozess, sondern neben dem Wohlergehen sogenannter Zeugen auch darum, dass sich die "Anklage" in ihrer propagandistischen Verblendung bloß nicht vergaloppiert.

Der Wiener Standard fand berichtenswert: "Mesic berichtete weiter, dass er zwei Mal den damaligen UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar in Briefen auf die Kriegsgefahr aufmerksam gemacht habe, die von Milosevics Serbien ausgehe. Als Vorsitzender des jugoslawischen Staatspräsidiums habe er ihn dringend um Entsendung internationaler Streitkräfte an die Grenzen zwischen Serbien und Kroatien sowie zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina ersucht. Wenn das Militär damals gekommen wäre, hätten Kriege verhindert werden können, meinte Mesic. De Cuellar habe aber nicht geantwortet."

Das "Tribunal" als späte Beschwerde-Instanz, dass der vormalige UN-Generalsekretär den kroatischen Nationalisten nicht der Anwort wert befand? Der Standard berichtet leider nicht, dass Perez de Cuellar damals Wichtigeres zu tun hatte: den deutschen Außenminister Genscher nachdrücklich schriftlich vor einer Anerkennung Kroatiens zu warnen, weil "damit die Lunte an das Pulverfass Bonien-Herzegovina gelegt" würde. Dies mitzuteilen bleibt heute Slobodan Miloševic vorbehalten.

Die WELT (02.10.2002) fand es wieder mal sehr ärgerlich, dass Slobodan Miloševic das "Tribunal" nicht anerkennt und auf einen Verteidiger verzichtet: " Miloševic befragte den Zeugen insbesondere nach dessen Beteiligung an mehreren politischen Morden. Da er sich selbst in Den Haag verteidigt, darf er auch die Fragen stellen." Dass dies ein zentrales Ärgernis darstellt, bestätigt auch Der Spiegel, Ausgabe 41/2002, der den Mesic-Auftritt zum Anlass nimmt, ausnahmsweise über den "Prozess"-Verlauf zu berichten, eine Seite lang. "Er liebt den Angriff als Verteidigungsstrategie: Vor dem Gericht, das seine Verwicklungen in die jugoslawischen Erbfolgekriege untersucht, tritt Miloševic vornehmlich als Ankläger auf. Seine strikte Weigerung, einen Rechtsbeistand zu akzeptieren, erlaubt es ihm, Kreuzverhöre in eigener Sache zu führen."

Erneut lauteten die Schlagzeilen: "Vertauschte Rollen im Milosevic-Prozess", so die Neue Zürcher Zeitung am 03.10.02, und: "Der Angeklagte greift im Kreuzverhör den Zeugen Mesic an. Der wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen angeklagte" (schon wieder, wie am Vortag) "frühere jugoslawische Präsident nutzt die Befragung des als Zeugen vorgeladenen kroatischen Präsidenten Mesic nach Auffassung des Gerichts vor allem dazu, seine eigene Auffassung über die Kriege in Kroatien und Bosnien darzulegen." Skandal aber auch. "´Sie haben Jugoslawien verraten und zu seinem Niedergang beigetragen´ - wie Peitschenhiebe hallten Miloševics Sätze vergangene Woche durch den Saal 1 des Haager Gerichtshofs am Churchillplein. Zusammen mit der damaligen kroatischen Führung, wetterte Milosevic, habe der heutige Präsident anti-serbische Stimmungsmache betrieben und damit den Grundstein für die späteren Kriege gelegt."

Die juristische Ergiebigkeit des Mesic-Auftritts mag ein Ausschnitt aus dem Spiegel-Protokoll illustrieren:

Miloševic: Richter May, ist Ihnen klar, dass Mesic hier nur politische Propaganda vorträgt.

Mesic: Hier steht Miloševic vor einem Gericht, das glaubt, genügend Beweise für seine Schuld zu haben. Er hat den Krieg geplant, durchgeführt und ist verantwortlich für die Verbrechen.

Miloševic: Die Frage ist nur, wo hier die Verbrecher sitzen.

Mesic: Ich bin nicht angeklagt.

Miloševic: Eben, das ist es ja.

Auf Anraten des damaligen deutschen Außenministers (Hans-Dietrich) Genscher haben Sie eigenen Aussagen zufolge auch den geplanten Titel Ihres Buches ´Wie ich Jugoslawien zerstört habe´ geändert.

Mesic: Stimmt. Später hieß es: ´Wie Jugoslawien zerstört wurde´. Slowenien und andere Republiken wollten ein konföderatives Modell, Serbien die feste Föderation (für einen Nachfolgestaat Jugoslawiens). Der Status quo war nicht zu halten. Also haben wir alle zur Zerstörung beigetragen."

Die Frankfurter Rundschau vom 04.10.02 musste feststellen: "Von Einsätzen der kroatischen Armee in Bosnien-Herzegowina habe er als Parlamentspräsident gehört, räumte Mesic ein. Er habe auf Nachfrage aber nur die Information erhalten, dabei handle es sich um in Bosnien geborene Freiwillige und nicht um reguläre Einheiten. Als Milosevic ihm Protokolle von Mesics eigenen Zeugenaussagen vor dem Jugoslawien-Tribunal vorhielt und ihn mit damaligen Protesten des UN-Sicherheitsrats gegen kroatische Übergriffe konfrontierte, konnte Mesic nur ausweichen. Milosevic gelang es, Mesics Glaubwürdigkeit in mehreren Punkten zu erschüttern...".

In Den Haag kein Prozess, eine "Schau"

Dass es sich in Den Haag nicht um einen Prozess, sondern eine Schau handelt, das müssen nicht die unverbesserlichen Verteidiger Miloševics behaupten, das schreiben die Hofberichterstatter des "Tribunals" selber.

In der Frankfurter Rundschau vom 04.10.02 wird auf ein gleichzeitig zum Miloševic -"Pro-zess" stattfindendes Ereignis hingewiesen: "Mit der früheren Präsidentin der bosnischen Serben-Republik, Biljana Plavsic hat sich erstmals eine hochrangige serbische Politikerin vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag schuldig bekannt. Daneben geriet das Kreuzverhör des ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic mit Kroatiens Staatschef Stipe Mesic in den Hintergrund. Das Ereignis stahl Milosevic und Mesic, die sich heftige Wortgefechte lieferten, vollkommen die Schau. Es kann weitreichende Auswirkungen auf den Milosevic-Prozess haben." Das Wort von der Schau merken wir uns.

Ärgerlicher Zufall, könnte man meinen, ausgerechnet in dem Moment, in dem der hochgelobte Kronzeuge Mesic seine juristische Unbrauchbarkeit offenbart, lenkt die "geläuterte Rassistin" Plavsic mit ihrer überraschenden Reue von dem erneuten Flop der "Anklage" ab. Doch an den Zufall mag man nicht mehr ganz glauben, denn bei der letzten Veranstaltung des Jahres am 18.12.02 fand die exakte Wiederholung statt: Plavsic zog die ganze Medienaufmerksamkeit auf sich, und zwei andere Ereignisse fanden quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt: Das Kreuzverhör, in das Slobodan Miloševic den früheren Bürgermeister von Dubrovnik nahm, und die Entscheidung des "Gerichts" über seinen Umgang mit der angeschlagenen Gesundheit seines prominentesten Gefangenen.

Aber der Reihe nach, verweilen wir noch einen Moment bei Plavsic im Oktober: "Bisher hatte sie auf unschuldig plädiert. In der Verhandlung am Mittwoch erklärte sie sich plötzlich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (Verfolgung aus rassischen, politischen und religiösen Gründen) für schuldig. Die Anklage gab daraufhin bekannt, bis zur Urteilsverkündung die übrigen Anklagen, darunter den Vorwurf des Völkermords, fallen zu lassen" (Frankfurter Rundschau). Das ist fürwahr großherzig, wie es schon zuvor verblüffte, dass die Dame sich das ganze Jahr über in Freiheit befand, und nur zu den Verhandlungstagen in Den Haag anreisen musste. Auch die Neue Zürcher Zeitung vom 19. 12. 02 stellte fest, Plavsic "genießt seitens des UN-Tribunals nach wie vor eine Sonderbehandlung".

Darüber wunderte sich schon die tageszeitung am 04.10.2002: Plavsic "ist es als bisher einziger Angeklagten gelungen, bis Prozessbeginn gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt zu werden." Man erfährt auch, womit die Dame sich ihren "guten" Ruf erworben hat: "Schon kurz nach dem Krieg machte Plavsic sich mit einer ähnlichen Methode bei den internationalen Institutionen beliebt. Denn sie ging im April 1996 auf die Vorschläge des damaligen stellvertretenden Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien, des späteren deutschen Kanzlerberaters und jetzigen Chefs der UN-Mission im Kosovo, Michael Steiner, ein, gemeinsam den damals noch unbestrittenen Führer der Serben, Radovan Karadzic, zu stürzen. Was im Sommer 1996 gelang. Zum Lohn wurde die ehemalige Biologieprofessorin an der Universität von Sarajevo selbst Präsidentin der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska, konnte sich jedoch bei späteren Wahlen nicht mehr durchsetzen."

Im Dezember 2002 wurde das Wunder noch größer - da lud das "Tribunal" Zeugen ein, aber nicht um über die Plavsic vorgeworfenen Anklagepunkte auszusagen, sondern "um den Richtern bei der Festlegung des Strafmaßes behilflich zu sein", wie die Agenturen übereinstimmend meldeten. Das sind freilich bisher unbekannte, völlig neue Wege der Rechtsprechung, die man da in Den Haag geht. Zeugen, die den Richtern bei der Festlegung des Strafmaßes helfen sollen - ist das eine höhere Form der Unabhängigkeit des Gerichts, oder deren gerades Gegenteil? Ein Blick auf die Zeugenliste hilft bei der Urteilsfindung: Neben Elie Wiesel, der per TV-Zuschaltung "plädierte", kamen NATO-Beauftragte wie Carl Bildt und Robert Frowick zu Wort, und durften über die Unterwürfigkeit und Willfährigkeit der "Angeklagten" gute Worte verlieren. Der absolute Hit war aber eine "Zeugin" namens - Madeleine Albright! Die "Mutter des Tribunals" höchstpersönlich im Zeugenstand! Wem so viel Ehre widerfährt...

Katja Ridderbusch, als notorische Serbenhasserin bekannt, schreibt am 18. 12. 02 in ihrer WELT über "die Begegnung zweier Frauen": "Einst waren sie sich näher gekommen, so etwas wie Freundinnen geworden". Plavsic, "das Mädchen aus bürgerlichem Hause, ausgestattet mit einer stabilen antikommunistischen Haltung (...) wurde zur strategischen Partnerin des Westens, vor allem der USA". Die Neue Zürcher Zeitung meldet am gleichen Tag: "Albright würdigte den Einsatz von Plavsic bei der Durchsetzung des Dayton-Abkommens." Wer 1995 die Ereignisse nicht verfolgte, erfährt heute auch nichts davon: Die Dame Plavsic betrachtete das Dayton-Abkommen als derartigen Verrat an den Serben, dass sie sich weigerte, bei einem offiziellen Besuch in Belgrad dem "Verräter" Miloševic auch nur die Hand zur Begrüßung zu reichen.

Aber was zählen die Fakten, wo heute Legenden gefragt sind? Die NZZ vom 19.12.02 rühmt: "Außerdem habe Plavsic die Umsetzung des Dayton-Vertrages, der den Bosnienkrieg 1995 beendete, aktiv unterstützt. Letzteres würdigte auch die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright, die im Prozess als Zeugin aussagte, ebenso wie der Schwede Carl Bildt, der damals als UN-Beauftragter in Bosnien tätig war. Diese beiden Aussagen zugunsten der 72jährigen Serbin dürften das UN-Gericht nicht unbeeindruckt lassen."

Was dieses "Gericht" aber am meisten beeindrucken dürfte und soll, und was den wundersamen Umgang mit Plavsic erklärt, ist die vom Standard (16.12.02) mitgeteilte Aussage: "Milosevic sei einer der Verantwortlichen der Politik der ‚ethnischen Säuberungen´ in Bosnien-Herzegowina gewesen, heißt es." Diese Aussage ist tatsächlich für die NATO Gold wert. Dass sie von jemand stammt, die "Dayton" als Verrat an den Serben betrachtet hat, und die früher in rassistischer Manier von der "biologischen Überlegenheit" der Serben schwadronierte, das störte und stört niemand, der das Kriegsziel fest im Blick hat. Diese "serbische Nationalistin" ist vom Antikommunismus so zerfressen, dass sie selbst mit Albright gegen Milosevic ins Gefecht zieht. Das gab es schon mal, 1941, als ein Nedic als Zwangsverwalter Serbiens im Auftrag der deutschen Faschisten Partisanen an Messer lieferte.

Zum Jahresende ein Feuerwerk - aus Dubrovnik

Nach dem ersten Zeugen und dem "prominentesten" im Rahmen der "Kroatien-/Bosnien-Anklage" wenden wir uns dem letzten Zeugen vor dem Jahreswechsel zu, der immerhin als Bürgermeister von Dubrovnik ein zentrales "serbisches Kriegsverbrechen" bezeugen sollte, nämlich den Angriff auf seine Stadt. Leider wurde der Mann, dessen Auftritt am 18.12.02 endete, in keiner einzigen deutschsprachigen Zeitung auch nur mit Namen erwähnt, vom Inhalt seiner Aussage ganz zu schweigen. Das hatte Gründe, und die lagen einerseits in seinem wenig gerichtsfesten Auftritt, und andererseits litt der Mann unter der selben Konkurrenz wie schon Mesic, denn der gleiche Veranstalter hatte mit Plavsic die bewährte "Schaustehlerin" auf den Spielplan gesetzt.

Slobodan Miloševic nahm am letzten "Prozess"-Tag des Jahres 2002 den Dubrovniker Bürgermeister Petar Poljanic ins Kreuzverhör. Der hatte zuvor die Jugoslawische Volksarmee der Aggression gegen Kroatien, und speziell des Beschusses der Altstadt von Dubrovnik beschuldigt. Mit seiner Behauptung, die Armee habe ein Land "besetzt", in dem sie Jahrzehnte lang stationiert war, lag er ganz auf der Linie der kroatischen Kriegspropaganda, mit der die Westmedien ihre antiserbische Kampagne befeuerten.

Slobodan Miloševic konfrontierte dessen Aussage, dass "nach dem Fall der Berliner Mauer die Serben die Chance gekommen sahen, ein Groß-Serbien zu schaffen" mit dem Fakt, dass bei der Wahl, als Poljanic 1990 zum Bürgermeister gewählt wurde, auch Wahlen zum kroatischen Republiksparlament stattfanden, und "die meisten oder fast alle Serben" für die Nachfolgepartei des Bundes des Kommunisten von Racan stimmten, und auf dieser Liste 21 Serben ins Republiksparlament gewählt wurden. Poljanic musste diese Tatsache bestätigen, und wusste keine Antwort, wie dies mit den "großserbischen" Plänen zusammenpasst.

Poljanic hatte für die "großserbischen Pläne" ein Dokument der "Bewegung zur Wiederherstellung der Republik Dubrovnik" vorgelegt. Miloševic las daraus vor, Ziel sei "eine neue, moderne, entmilitarisierte und demokratische Republik unter dem Schutz der benachbarten Republiken und der Vereinten Nationen". Er stellte fest, wie auch Poljanic wisse, sei Serbien gar keine benachbarte Republik, sondern ziemlich weit weg - ob er aber irgendeine Verbindung nennen könne. Das konnte der nicht, und auf ausdrückliches Befragen, ob ein Repräsentant Serbiens in Dubrovnik zugegen gewesen sei, oder ihm auch nur irgendein Mensch aus Serbien bekannt sei, der an dieser Bewegung teilgenommen habe, musste der zugeben: "Ich weiß nichts über irgendeinen Kontakt von irgendjemandem aus Serbien mit dieser Bewegung."

In seiner Aussage hatte Poljanic den Beginn der bewaffneten Auseinandersetzung auf den 01.10.91 datiert - Slobodan Miloševic konfrontierte ihn mit der an diesem Tag stattgefundenen Trauerfeier für acht jugoslawische Soldaten, die an der Grenze zwischen Kroatien und Montenegro bei einem kroatischen Angriff ums Leben kamen. Poljanic behauptete, es habe serbische Gebietsansprüche auf Kroatien gegeben, worauf ihn Slobodan Milosevic fragte, ob er die "Lipan-Charta" vom Juni 1991 kenne. Poljanic bestätigte, dann wurde er mit dem Text konfrontiert: Danach soll Kroatien Bosnien-Herzegovina und die Kotor-Bucht in Montenegro umfassen - seien das keine Gebietsansprüche? Nein, keinesfalls, Poljanic nannte sie zunächst "Übertreibungen", später "Ungenauigkeiten", aber kroatische Gebietsansprüche habe es nicht gegeben.

Was es nach Poljanics Erinnerungen auch nicht gegeben hat, waren die Blockaden, Unterbrechung der Energie- und Wasserzufuhr und bewaffnete Angriffe auf Armeekasernen in Kroatien - selbst der Hinweis auf ein von Tudjman in Beisein von Lord Carrington in Igalo unterzeichnetes Abkommen zur Beendigung solcher Angriffe halfen seinem Gedächtnis nicht auf die Sprünge. Wie es mit der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen bestellt ist, erhellte z. B. die Debatte über Veljko Zecevic. Poljanic bestätigte ihn zu kennen, dass dessen Haus 20 Meter von seinem entfernt stand, dass er Intellektueller und Gerichtsvorsitzender war. Dass dieser wegen der Gründung der Jugoslawischen Demokratischen Partei angeklagt und mit 12 anderen ins Gefängnis geworfen wurde, das bestritt er. Leider konnte Slobodan Miloševic einen Bericht von Amnesty International vorlegen, nachdem die Haftstrafen exakt während Poljanics Amtszeit verhängt wurden...

Folgerichtig bestritt Poljanic irgendeine Verfolgung oder Diskriminierung von Serben in Dubrovnik. Konfrontiert mit Berichten über die systematische Zerstörung serbischer Häuser redete er sich heraus, diese seien illegal errichtet worden, auch habe es sich um Hühnerställe und Taubenschläge gehandelt.

Slobodan Milosevic präsentierte ihm die Zeitung Dubrovacki Vjesnik, und Poljanic bestätigte, dass er sie kenne und ihre Informationen für zuverlässig erachte. Nach Verlesen eines Absatzes der Ausgabe vom 05.10.91, die stolz über militärische Erfolge berichtete, fragte Slobodan Miloševic weiter: "Erzählen Sie mir bitte, wie es möglich war, dass die unbewaffneten Menschen in Dubrovnik es schafften, mit leeren Händen 450 schwerbewaffnete Soldaten umzubringen, zwei Flugzeuge abzuschießen und Transporter u. a. zu zerstören, wie hier berichtet wird?". Poljanic blieb nur die Schutzbehauptung, er sehe diese Artikel "heute zum ersten Mal, wie es dazu kam, weiß ich auch nicht", schließlich bestritt er noch rundweg die berichteten militärischen Erfolge - so ganz zuverlässig erschien ihm die eigene Zeitung plötzlich doch nicht mehr. Hingegen versicherte er felsenfest, dass keine Ustasha-Einheiten in Dubrovnik und Umgebung waren - die getöteten 158 Soldaten aus Montenegro, deren Namen Slobodan Miloševic präsentierte, müssen sich wohl selbst entleibt haben.

"Heute zum ersten Mal" - dies wurde insgesamt zum Markenzeichen dieses Zeugen, denn als ihm Milosevic Berichte der damaligen Kreis- und nunmehr Bezirksrichter Bruno Karnincic und Dragan Gajic aus Drubrovnik vorlas, in denen von mehr als 50 systematisch zerstörten Häusern von Serben im Laufe des Sommers 1991 berichtet wird, und dass nie einer der Täter "dieser nationalistischen Verbrechen 1991", obwohl bekannt, von den kroatischen Verantwortlichen belangt wurde, hatte das der Bürgermeister, in dessen Zuständigkeitsbereich die Richter arbeiteten, auch "noch nie zuvor gehört". Fehlende Verfolgung und Bestrafung begründete er aber doch - damit, dass niemand solche Verbrechen begangen habe; womit er auch die eigenen Untersuchungsrichter Lügen strafte.

Der Meister im Bestreiten versuchte auch zu leugnen, dass die Untersuchung von 150 Getöteten in der Umgebung von Dubrovnik erbrachte, dass die Mehrzahl kroatische Uniformen trug. Bis ihm Slobodan Miloševic mit den Berichten der untersuchenden Ärzten bekannt machte, darunter auch noch einer Verwandten des Bürgermeisters. Diese hatten den Bericht gegenüber dem Haager "Tribunal" abgegeben, und "Ankläger" Nice war völlig entgeistert, dass ausgerechnet Miloševic aus der gegen ihn gedachten Aussage zitierte. Das half ihm nichts, der Bericht wurde als Beweisstück des "Angeklagten" zu den Akten genommen.

Besser erinnern als Poljanic konnte sich auch ein anderer Zeuge der "Anklage", Slobodan Simunovic, der entgegen der Behauptung des "unbewaffneten Dubrovnik" in seiner Aussage exakt die Positionen der Maschinengewehr- und Raketenstellungen in der Stadt bezeichnet hatte, von Tarnuniformen, Geländewagen und deutschen Gewehren zu berichten wusste. "Woher hatten die angeblich schlecht ausgerüsteten Gruppen die deutschen Gewehre?", fragte Slobodan Miloševic, doch der Bürgermeister hatte natürlich gar keine gesehen. Weiter bezeugte Simunovic die Einführung des Kriegsrechts durch kroatische Sonderpolizeieinheiten, das Einbrechen von maskierten Männern in Serben gehörende Häuser, die dort plünderten und vergewaltigten. Das war für Poljanic "unvorstellbar in Dubrovnik", und natürlich hatte er davon wieder "das erste Mal gehört".

Im Zentrum des Interesses an diesem Tag stand freilich die "Beschießung von Dubrovnik" durch die Jugoslawische Volksarmee und besonders die "Zerstörung der Altstadt". Am Morgen des besagten 06.12.1991 sei nicht ein Schuss aus der Stadt abgegeben worden, behauptete ihr Bürgermeister Poljanic, aber Geschosse der Armee seien seien wie Regen auf die Stadt gefallen. Gegenthese: Um 6 Uhr sei die Armeestellung Zarkovica mit Dutzenden Geschossen aus Dubrovnik eingedeckt worden, und die Armee habe das Feuer nur erwidert. Aussage gegen Aussage, wem kann man glauben?

Als Slobodan Miloševic zur Wahrheitsfindung einen anderen Bericht zitieren wollte, erwiderte Poljanic: "Wieder so ein Gajic oder ähnlich?", und Milosevic konnte ihn nicht beruhigen: "diesmal ist es Simunovic", aber er fügte hinzu: "Das ist ein Zeuge derselben Institution wie Sie es sind. Es ist Ihre Sache, über Ähnlichkeiten zu befinden." Und die zitierte Aussage: "Am 6. Dezember 1991 war ich zu Hause mit meiner Frau, den Kindern und der Mutter. Gegen 6 Uhr hörte ich sehr starkes Geschützfeuer, das Zarkovica traf". Vorsichtshalber fragte "Richter" May, ob auch alles richtig zitiert sei, und "Ankläger" Nice zitierte ergänzend: "Meine Famile und ich suchten Schutz im stärksten Teil des Gebäudes. Eine kurze Zeit später fielen einige Geschosse auf Dubrovnik. gegen 8 Uhr wurde der Beschuss sehr intensiv." So konnte selbst Nice in seinem Bemühen, "seinen" Zeugen zu retten, nur bestätigen, was Miloševic sagte: Der Beschuss ging von Dubrovnik aus und war gegen Armeestellungen gerichtet, und die beantworteten den Angriff.

An dieser Stelle kam Slobodan Miloševic auf die Behauptung Poljanics zurück, bis zum 30.09.1991 sei es in der Region absolut friedlich gewesen, und der bestritt energisch das Vorhandensein militärischer Stellungen der kroatischen Sezessionisten. Leider sagte auch hier eine schriftliche Aussage des Zeugen Stipan Jelavic, eines "Zeugen für die Anklage, dieser falschen Anklage natürlich", das Gegenteil: "Am 30. September bekamen wir den Befehl, eine Verteidigungslinie zwischen Brgat und dem St.-Barbara-Hügel zu errichten, annähernd 700 Meter lang, mit 100 bis 110 Mann, die aus drei Zügen kamen, an verschiedenen strategischen Stellen. Es gab dort drei alte Bunker aus dem 2. Weltkrieg, davon nutzten wir zwei ..., wie hoben eine Graben aus, stationierten Maschinengewehrstellungen dort, eine andere MG-Stellung auf der St.-Anna-Kirche". Das tolle "Gegenargument": die Kirche habe doch gar keinen Glockenturm...

Als "ehrenwerten Mann" bezeichnete Poljanic den Kommandeur Cengija, doch Zeuge Jelavic wusste über ihn zu berichten, "er sagte uns bei der Inspektion der Verteidigungslinie, wer getötet werden soll, und wer nicht." Wir erkennen, Cengija ist so ehrenwert wie Poljanic glaubwürdig.

An dieser Stelle machte "Richter" Robinson den Vorschlag, da dies ein zentraler Punkt "Ihres Falles" sei, die Zeugen doch noch mal selbst vorzuladen. Slobodan Miloševic entgegnete: "Das ist keine zentrale Angelegenheit und kann es auch nicht sein, denn weder Serbien noch die serbische Führung hatte irgendetwas mit den Ereignissen in Dubrovnik zu tun. Warum ich darüber spreche, liegt daran, dass andere auf Seiten der Jugoslawischen Volksarmee für Dinge angeklagt sind, die sie nicht begangen haben."

Slobodan Miloševic trug aus der Zeugenaussage von Jelavic die Positionen vor, an denen in Dubrovnik Luftabwehrwaffen stationiert waren. Von all diesen wusste der Bürgermeister nichts, hatte sie nicht gesehen oder gehört, selbst 50 Meter von seinem Haus entfernt fehlte ihm jede Wahrnehmung. Danach zeigte Slobodan Miloševic Videos mit Stellungnahmen ausländischer Zeitzeugen über den Beschuss von Dubrovnik: "Offensichtlich hatten die Kroaten die Altstadt von Dubrovnik gezielt als Verteidigungsstellung genutzt". - "Entgegen der Berichte waren die Schäden in der historischen Altstadt gering". - "Die jugoslawische Armee soll die Altstadt in zwei Stunden zerstört haben - der Washington Post-Reporter Peter Maass fand sie nahezu unberührt vor" etc.

"Richter" May wollte gerade das Video als mögliches Propagandastück abtun, da fiel ihm sein Zeuge Poljanic in den Rücken: Das Band komme ihm bekannt vor, er wüsste, wann es entstanden sei, er selbst habe die ausländischen Journalisten am Hafen begrüßt... Doch sei es vor dem 23. Oktober aufgenommen, und erst danach seien die Geschosse auf die Dubrovniker Altstadt gefallen. So zeigte Slobodan Miloševic das nächste Video, es datiert vom 25. März 1992, also jedenfalls nach der behaupteten Altstadt-Zerstörung, und aufgenommen wurde es von Prof. John Peter Maher von der Universität von Illinois. Auch dieses Video zeigte "leider" das gleiche Bild - eine intakte Altstadt. Erklärung des Zeugen: die Filmqualität sei "sehr schlecht"... Aber wie die Häuser den Geschosshagel überstanden hätten? - Sie seien stabil, aufgrund der guten Bauqualität! Und außerdem sei bis zum März des Folgejahres schon viel aufgeräumt gewesen.

Danach fragte Slobodan Miloševic nach einem Besuch internationaler Diplomaten am 30.10.1991 in Dubrovnik, eine Woche nach dem behaupteten zerstörerischen Geschosshagel. Beteiligt waren u.a. die Botschafter Großbritanniens, Deutschlands, der Niederlande, der stellv. US-Botschafter u.a., sie fanden die Altstadt unzerstört und sahen nur ein paar wenige Gebäude mit äußerlichen Schäden, so ihre eigene Mitteilung an die Medien am Abend nach dem Besuch. "Trotzdem sage ich die Wahrheit, 15.000 Geschosse..." stammelte Poljanic, und ebenso heftig zieh er Journalisten der Lüge, die von Maschinengewehrfeuer von ihrem Hoteldach berichtet hatten, um die Armee zu provozieren, von brennenden Autoreifen, um den Eindruck einer brennenden Stadt zu erwecken.

Zeugen wie diese sind zwar für eine Propagandakampagne brauchbar, vor Gericht jedoch lediglich für die Gegenseite. Doch, wohlgemerkt, ein Gericht ist dieses "Tribunal" bekanntermaßen nicht. Wer sich immer noch wundert, warum man über diesen grandiosen "Prozess"-Verlauf in den Medien nichts erfährt, hat jetzt eine kleine Ahnung von den Gründen bekommen.

Die Verhandlungen des Tages endeten in einem Disput der Herren May und Nice, ob die als Beweise der "Anklage" produzierten Aussagen, aus denen Slobodan Miloševic so unverschämt zu seinen Gunsten zitierte, nun als Beweise des "Angeklagten" zugelassen werden sollen.

Ansonsten ging im Medienrummel um Plavsic nicht zuletzt unter, dass an diesem 18.12.02 auch sogenannte "administrative Fragen" auf der Tagesordnung standen, womit in der humanen Sprache des "Tribunals" gesundheitliche Probleme und Überlebenschancen des "Angeklagten" bezeichnet werden. Wegen wiederholter krankheitsbedingter Unterbrechungen des "Prozesses" war der Gesundheitszustand nicht zum ersten Mal Gegenstand der Debatte. Laut NZZ vom 26.07.02 hatte ein vom "Tribunal" veranlasster medizinischer Bericht "Milosevic, auch wenn dieser nach wie vor kämpferisch wirkt," (...) "einen zu hohen Blutdruck" und "ein grosses kardiovaskuläres Risiko attestiert": "Der für den Bericht verantwortliche Kardiologe empfiehlt den Richtern, dem Angeklagten mehr Ruhe zu gönnen und eine permanente Beobachtung des Gesundheitszustandes anzuordnen."

Entgegen dieser Empfehlung wurde das Verhandlungstempo nicht verlangsamt, und statt ständiger Gesundheitskontrolle fand am 15.11.2002 erst- und einmalig eine spezielle Untersuchung durch einen niederländischen Kardiologen statt, der das hohe Herzinfarkt- und Herztod-Risiko bestätigte. Doch auch davon ungerührt verkündigte "Richter" May ohne jede Erörterung, am Zeitplan festzuhalten und insbesondere alle Anträge auf Haftverschonung zwecks spezieller Therapie abzulehnen. Die NZZ vom 19.12.02 berichtete: "Im Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Milosevic wird es ungeachtet der angeschlagenen Gesundheit des Angeklagten vorläufig keine Änderung im Prozessverfahren geben. Richter Richard May erklärte am Mittwoch, am bisherigen Zeitplan werde festgehalten."

Dies könnte sich als potentielles Todesurteil herausstellen, zumal in der "Obhut" dieser Anstalt schon mehrere Inhaftierte zu Tode kamen. So starb im Sommer 1998 Dr. Milan Kovacevic, Überlebender des KZ Jasenovac, nach stundenlanger Agonie, ohne dass es auch nur einen Versuch der Rettung gab. Auch in seinem Fall hatten die Verteidiger zuvor die Haftentlassung wegen lebensbedrohlicher Herzkomplikationen gefordert - vergeblich.

Klaus Hartmann
Vizepräsident des ICDSM
Internationales Komitee für die
Verteidigung von Slobodan Miloševic


Kontakt: Klaus Hartmann, Schillstraße 7, D-63067 Offenbach am Main, T/F: 069 - 83 58 50; e-mail: vorstand@freidenker.de


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