Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic - Deutsche Sektion

Pressemitteilung 06/2002
14.05.2002

Schauprozess und selektives Medieninteresse


Wurde der "Prozess" gegen Milosevic still und klammheimlich eingestellt? Wer in den letzten zwei Monaten nach Berichten aus Den Haag fahndete, konnte diesen Eindruck gewinnen.

Mitte März konnte man noch lesen oder hören, Milosevic sei erkrankt und sein "Prozess" ausgesetzt - seither, und auch schon zwei Wochen zuvor, war Sendepause. Doch plötzlich, am 04.05.2002, waren sie wieder da, die Berichte vom Haager "Kriegsverbrechertribunal": hatte ein gewisser Herr Rugova die tief schlummernden Meinungsbildner wieder wachgeküsst? So märchenhaft geht es aber in unserer Medien-Realität nicht zu. Immerhin war am Freitag, 03.05.2002, schon der 40. Prozesstag, und was davor geschah, war scheinbar weniger wichtig. Was wichtig ist, das entscheiden nicht die mündigen Medien-Konsumenten, sondern die Medien selbst, und was nicht nach deren Geschmack ist, davon werden wir vorsorglich verschont. Die sagenumwobene "freie" Berichterstattung entpuppt sich beim "Prozess" gegen Slobodan Milosevic in Den Haag als die Freiheit der Medien, einfach nicht zu berichten.

Warum die Medien ihre Nachrichtensperre unterbrachen, begründete Klaus Bachmann in der Frankfurter Rundschau (04.05.02): "Mit Rugova, dem Präsidenten der autonomen, zurzeit unter UN-Mandat stehenden Provinz, sagte der bisher politisch bedeutendste Zeuge der Anklage aus der Region selbst aus." Einen anderen, anrührenden Grund liefert der Serbenhasser Matthias Rüb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gleichen Datums: "Seine Begegnung mit Milosevic war ein weiterer stiller Triumph für Rugova". Trotzdem missrät Rüb bei allem psychologischen Einfühlungsbemühen sein Kommentar, denn er kann zwar bis drei, aber nicht weiter zählen: "Die Begegnung mit Slobodan Milosevic vor dem Haager Tribunal am Freitag war für Ibrahim Rugova die dritte", versucht er seinen Lesern weiszumachen. Wenn er bloß den Bericht seines Kollegen ein paar Seiten zuvor gelesen hätte, wäre auch er auf "die vierte" gekommen. So zuverlässig werden eben die "klugen Köpfe" im Land informiert.

Was Rugova zu sagen hatte, fassten Agenturen und Berichterstatter, meist schon in der Überschrift, in dem Satz zusammen: " Belgrad wollte Kosovo durch Gewalt und Krieg zerstören". Mit dieser zentralen Aussage kann Provinzpräsident Rugova allerdings nur die ganz Ahnungslosen zufrieden stellen. Denn selbst jene, die den Serben die Schuld am sogenannten "Kosovo-Konflikt" gaben, wissen zumindest Eines ganz genau - dass die Serben den Kosovo als Teil Serbiens betrachten. Eine Sicht, die freilich aufgrund des Völkerrechts auch die einzig mögliche ist.

Slobodan Milosevic ließ selbst in Den Haag nie einen Zweifel daran: "In dem Augenblick, in dem die Besatzung zu Ende ist, wird Kosovo wieder vollständig unter serbischer Kontrolle sein", sagte er beispielsweise am 11.12.01 im Vorverfahren. Dass nun "Belgrad" oder Milosevic etwas zerstören wollte, was ihm nach tiefster innerer Überzeugung selbst gehört, das wird niemandem, selbst nur bei kurzem Nachdenken, einleuchten.

Damit aber selbst solch kurzes Nachdenken bei den Medienkonsumenten unterbleibt, unterschlugen die Berichterstatter kurzerhand Milosevics Frage an Rugova: "Glauben Sie, die Serben würden Kosovo aufgeben?". Leider unterschlugen sie auch die Antwort ihres als "Ghandi" oder "Anwalt der Gewaltfreiheit" gepriesenen Rugova: "Welche Serben?!" fragte der mit unübertrefflichem Zynismus zurück, nachdem durch albanischen Terror über 300.000 Serben und andere Nicht-Albaner, unter Kfor-Aufsicht, aus der Provinz vertrieben worden sind. Nicht weniger bemerkenswert, dass Rugova zum gleichen Thema den "vergesslichen Professor" gab, der auf die Frage nach der Zahl der vertriebenen, entführten und ermordeten Serben Nichtwissen reklamierte.

Die Spezialität dieses "bedeutendsten" Zeugen schien mehr bei Auslassungen allgemeiner Art zu legen. So ging er ausführlich auf die "Verhandlungen" in Rambouillet ein, obwohl die in der "Anklage" nicht zur Debatte stehen. Dabei erging er sich in Vermutungen über den "mangelnden Verhandlungswillen" der serbischen Delegation, verschwieg aber wie seinerzeit die NATO und ihre Medien, dass die Delegationen nie zu Verhandlungen zusammenkommen durften. Immerhin bestätigte er, dass die ehemalige US-Außenministerin Albright den Kosovo-Albanern im Fall der Nichtunterzeichnung nur mit der "politischen Isolation" drohte, der Delegation Serbiens hingegen offen mit der Bombardierung des Landes.

Dies erfährt nur, wer die Meldungen der serbischen Internet-Agentur Stimme Kosovos verfolgt, in deutschen Medien kam davon keine Silbe vor. Vielleicht wäre doch noch Einzelnen aufgefallen, dass "Rambouillet" nur eine Inszenierung war, um den Kriegsvorwand der NATO zu schaffen?

Immerhin kann die Berichterstattung über die zwei Prozesstage in den Haag nicht vermeiden, dass - wenn auch aus dem Mund des "Angeklagten" - der terroristisch-kriminelle Charakter der sogenannten UCK zur Sprache kommt. Das ist für den Mediennormalverbraucher schon deshalb recht sensationell, da sonst kaum ein Schatten auf diese NATO-Verbündeten fällt und das hehre Epos einer "Befreiungsarmee" gesungen wird.

Terroristen und ihr Verteidiger

Die Neue Zürcher Zeitung am 04.05.02: "Milosevic versuchte klar zu machen, dass es sich bei der UCK um eine Terroristenorganisation gehandelt habe. Er zitierte westliche Medien, in denen angeblich darauf hingewiesen worden war, dass die UCK ihren Kampf gegen Belgrad mit Drogen- und Waffengeschäften finanzierte." Und die Frankfurter Rundschau am gleichen Tag: "Milosevic verwickelte Rugova im Kreuzverhör in einen heftigen Schlagabtausch. Der Angeklagte deutete an, die UCK sei erst von deutschen Geheimdiensten zu einer schlagkräftigen Terrororganisation aufgebaut worden, und hielt Rugova Massenvertreibungen von Serben nach dem Einmarsch der Schutztruppe Kfor vor."

Die Süddeutsche Zeitung vermerkt: "Milosevic wirkte in seiner Rolle als Anwalt in eigener Sache souverän und lenkte mit Vorwürfen an die Albaner von der eigenen Anklage ab. So fragte Milosevic Rugova mehrmals, ob er die Kosovo- Befreiungsarmee UCK für eine Terrororganisation halte. Rugova erwiderte, die UCK sei eine Organisation, die ‚für die Freiheit der Menschen´ gehandelt und ‚auf Unterdrückung und Gewalt reagiert´ habe." Über diese Entgegnung Rugovas berichtet auch die Frankfurter Rundschau (06.05.02): "Immer wieder nimmt er die UCK-Mitglieder, die Milosevic als Terroristen bezeichnet, in Schutz. Sie seien Patrioten, die ihre Heimat verteidigt hätten."

Doch weder war das "Tribunal" an dem UCK-Thema interessiert, noch schien es mit Rugovas Antworten sonderlich zufrieden - und sah die Zeit zum "Eingreifen". Als Milosevic den Vorwurf erhob, dass "die organisierte Kriminalität die UCK finanziert hat", ist die Folge laut tageszeitung vom 04.05.02: "Das trägt Milosevic erneut eine Rüge ein: ‚Verschwenden Sie nicht unsere Zeit.´"

Oder im Neuen Deutschland, gleicher Tag: "So zitierte Milosevic Zeitungsartikel und Passagen aus Büchern, in denen die UCK vor allem als ‚vom BND finanzierte Terrororganisation´, finanziert ‚durch Drogengelder´ bezeichnet wurde. Dies tat Rugova allerdings als ‚Spekulationen´ ab und weigerte sich, diese zu kommentieren. Zur Seite sprang ihm er Vorsitzende Richter Richard May, der zwar die Erklärung der Genese des albanischen Widerstandes bei der Befragung von Ankläger Nice gestattete, Milosevics lautstarkes Nachhaken in UCK-Angelegenheiten aber blockierte."

Lediglich in der Neuen Zürcher Zeitung und im Neuen Deutschland gibt es den Hinweis, dass Milosevic westliche Quellen zitierte. Wer es genau wissen wollte, musste am 04.05.02 die französische Libération lesen, die berichtete, dass es das Wall Street Journal war, das die UCK als "Bande von Gangstern, Bordellbesitzern, Faschisten und Anhängern des früheren albanischen Kommunistenchefs Enver Hodscha" bezeichnet hat. Nur in der Libération erfährt man auch, dass Milosevic Rugova fragte, ob er früher Mitglied des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens war. Die Antwort: "Ja, aber nicht aus Überzeugung, sondern um einen Job zu bekommen". "Das hat ihnen also geholfen bei Ihrer Universitätskarriere und bei der Leitung zweier albanischsprachiger Zeitungen?", war Milosevics Replik. Die französische Zeitung bringt ihre Einschätzung in der Artikel-Überschrift: "Milosevic setzt Rugova auf die Anklagebank".

So war der Auftritt des "bedeutendsten" Zeugen hauptsächlich für das kosovo-albanische Publikum bedeutsam. Die Thüringer Allgemeine registrierte am 04.05.02 dessen Erwartungen eher skeptisch mit den Worten: "´Rugova wird Milosevic auf die Knie zwingen´, glaubte am Freitag die Rugova-nahe Zeitung Bota Sot - und stand damit ziemlich allein." Die Wirkung indes lag auf anderem Gebiet: "Die Kosovaren loben Ibrahim Rugova - Die Albaner in Pristina sind angetan von dem Auftritt", weiß die taz vom 07.05.02: "Rugova habe die Verhandlung zur innenpolitischen Befriedung genutzt, sagen Mitarbeiter der Zeitung Zeri. Indem er während der Verhandlung die ehemalige Befreiungsarmee UÇK vor dem Vorwurf Milosevic, sie sei eine terroristische Organisation gewesen, in Schutz nahm und klarstellte, dass die UÇK das Leben der albanischen Bevölkerung verteidigte, habe er Punkte bei ehemaligen Kämpfern sammeln wollen", resümiert Erich Rathfelder.

Doch ob das "Tribunal" die Spesen des Herrn Rugova für diesen Zweck bezahlt hat? Festzuhalten bleibt, dass wiederum der Zeuge in der Situation war, sich verteidigen zu müssen, und der "Ghandi" der Medien ausgerechnet die UCK-Terroristen verteidigte. Wie absurd dies ist, fiel leider nur zwei Kommentatoren auf. Die Süddeutsche Zeitung (04.05.02) erinnert in einem Halbsatz daran, dass die UCK "von ihm anfangs als Erfindung des serbischen Geheimdienstes abgetan" wurde. Und die taz bemerkt am 07.05.02: "Verschwiegen hat Rugova aber, dass er noch bis in den Frühsommer 1998 hinein erklärte, die UÇK sei vom serbischen Geheimdienst geleitet."

Zum "Punktesammeln" für die Heimatfront gehörte auch, was der Berliner Zeitung am 07.05.02 eine Schlagzeile wert war: "Kosovo-Politiker bestreitet Angst vor radikalen Albanern". Und in der online-Ausgabe des Wiener Standard war am Vortag zu lesen: "Rugova hat die Behauptungen des früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic zurückgewiesen, wonach die serbische Polizei einen Mordanschlag auf ihn im Frühjahr 1999 verhindert und ihm damit das Leben gerettet habe. "Ich habe nie befürchtet, dass ich von irgendeinem Albaner getötet werden könnte", sagte Rugova.

Diese Aussage ist schon deshalb bizarr, weil schon über ein Dutzend führender Politiker von Rugovas LDK sowie enge persönliche Berater durch Terroristenhand ihr Leben verloren. "Prozess"-relevant wird die Abstrusität dadurch, dass sie der Presse Schlagzeilen lieferte: "Milosevic und Rugova werfen sich gegenseitig Lügen vor" (Neue Zürcher Zeitung, 07.05.02), "Gegner werfen sich gegenseitig Lügen vor" (Freie Presse, 07.05.02).

Lassen diese Zeitungen hier eine gewisse "Ausgewogenheit" erkennen, können sich andere durchaus mit der "Unparteiischkeit" des "Richters" May messen: Am 07.05.02 titelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Rugova bezichtigt Milosevic der Lüge", die Süddeutsche Zeitung: "Rugova zeiht Milosevic der Lüge" Die taz registriert jedoch am gleichen Tag: "Außerdem war seine Antwort auf die Frage Milosevic nicht befriedigend, ob die UÇK nicht ihn, Rugova, töten wollte. Gerüchte darüber hat es immer gegeben. Und dieser Umstand könnte auch erklären, warum Rugova nach einem Treffen zwischen den beiden Anfang Mai 1999 in Belgrad das Angebot Milosevic annahm, ins Ausland, nach Italien, zu gehen."

Schuldig - wer NATO-Propaganda hört

Was den Nutzen Rugovas für die ihn in den Zeugenstand rufende "Anklage" angeht, ruft Der Landbote (04.05.02) in Erinnerung: "Um Milosevic verurteilen zu können, muss das Gericht nicht nur Beweise für Vertreibungen im Kosovo haben, sondern auch nachweisen können, dass Milosevic diese zumindest wissend geduldet hat." Und liefert sofort den schlagenden Beweis: "Rugova sagte, er habe Milosevic bei einem Treffen über die Vertreibungen berichtet, und dieser habe zugehört."

Stark beeindruckt von diesem "Beweis" schien auch Klaus Bachmann, der am 04.05.02 im Wiener Standard, der Frankfurter Rundschau und im Berliner Tagesspiegel zum Besten gab: "Juristisch bedeutsam war Rugovas Aussage vor allem in einem Punkt. Auf mehrfache Nachfragen von Ankläger Geoffrey Nice sagte Rugova aus, Milosevic sei von ihm während des erzwungenen Treffens in Belgrad über massive Übergriffe der serbischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung im Kosovo, Massenvertreibungen aus der Region und politisch motivierte Morde unterrichtet und gebeten worden, einzugreifen."

Tja, wenn das so ist, dann verwundert bloß, dass die "Anklage" noch nicht auf diese schlüssige Beweisführung verfallen ist: Konnten in Belgrad Radio- und Fernsehprogramme aus NATO-Staaten empfangen werden? Konnten sie. Also war Milosevic auch informiert darüber, was diese Sender tagaus, tagein über die Lage im Kosovo dichteten. Doch ob Dichtung oder Wahrheit, dran glauben muss man eben. Und jeder, der dran glaubt, ist schuld. Nicht nur selbst dran schuld, sondern auch schuldig im Sinne dieser famosen "Anklage".

Doch die Freude über solch unwiderlegbare Beweisführung auf der Basis Logik=Slivovitz währte nicht lange. Nachdem Bachmann sich und seine Leser an dieser Schnapsidee berauscht hatte, folgte der Katzenjammer am 07.05.02, und er musste (im Standard und der Frankfurter Rundschau) feststellen: "Es war der niederländische Anwalt Michail Wladimiroff, einer der vom Gericht bestellten Juristen, die Milosevic zur Seite stehen sollen, der Rugova in die Ecke drängte. Rugova hatte zuvor berichtet, er habe Milosevic selbst von Übergriffen der serbischen Sicherheitsorgane und den Massenvertreibungen nach dem Einsetzen der Nato-Luftangriffe berichtet - ‚ohne aber auf Einzelheiten einzugehen´. Im Lauf seiner Aussage hatte Rugova auch immer wieder ‚Belgrad´ für Übergriffe verantwortlich gemacht. Wladimiroff wollte wissen, ob Rugova vor 2000 denn je eine offizielle Funktion im Rahmen der jugoslawischen Verfassung ausgeübt habe und ob er Wissen besitze über die Entscheidungsprozesse in Belgrad und das Verhalten des Angeklagten. Das aber musste Rugova, der bis 2000 nur Funktionen im Rahmen eines weder von Serbien noch von Jugoslawien anerkannten kosovarischen Parallelstaates ausgeübt hat, verneinen."

Wir erfahren nicht von Bachmann und auch von keiner anderen deutschsprachigen Zeitung, dass auch die "Anklage" mit Rugovas Aussage nicht zufrieden war. Von der englischsprachigen (Djindjic-nahen) Internet-Agentur Free Serbia erfährt man, dass der Ankläger Nice (dessen Name so passend ist, dass sich seine Chefin Carla Beauty nennen könnte), von Rugova wissen wollte, ob der denn Konkretes über Verbrechen an der Zivilbevölkerung gegenüber Milosevic berichtet habe. Darauf Rugova nochmals: "Ich sagte ihm Manches, aber er wusste es sicherlich schon. Wir gingen nicht in Einzelheiten, aber ich berichtete allgemein von Verbrechen".

Ein weiterer Punkt, der in deutschen Medien unterschlagen wird, und bei der serbischen Internet-Agentur Stimme Kosovos nachzulesen ist: "So wurde Rugova zum Beispiel vom Gericht nach einem Abkommen zwischen den Albanern und der Regierung Serbiens zur Beendigung des Schulboykotts der Albaner befragt, Rugova behauptete das Dokument als ‚Präsident der Republik Kosovo´ unterzeichnet zu haben, der Richter konfrontierte ihn danach mit seiner Unterschrift ohne selbsternannte Amtsbezeichnungen. Rugova behauptete dann weiter, die Umsetzung des Abkommens sei an den serbischen Behörden gescheitert, ohne darauf einzugehen, daß die UCK mit ihren Strukturen große Teile der albanischen Schüler am Schulbesuch hinderte und in die albanischen Parallelschulen zwang."

"Richter" als Verteidiger - des Zeugen

Zeugen solcher Güte bezeichnet man üblicherweise als Reinfall oder Desaster. Doch von keiner überregionalen Zeitung, geschweige den einem Fernseh-Kommentator konnte man ein nüchternes und seriöses Fazit des Rugova-Auftritts erhalten. Nur in der kaum außerhalb Brandenburgs gelesenen Märkischen Allgemeinen (04.05.02) kommentierte Norbert Mappes-Niediek nahe an der Realität: "Aufschlüsse über die persönliche Schuld des Angeklagten konnten von dem Politiker Rugova, der über die Befehlsstrukturen in Belgrad gar nicht und über die Vorgänge in seiner Heimatprovinz zumeist nur aus zweiter Hand informiert war, nicht erwartet werden. Als Zeuge der Anklage warf er Milosevic ‚Unterdrückung und Verfolgung´ der Kosovo-Albaner in den neunziger Jahren vor. Ein entspannter Milosevic fixierte Rugova mit zunehmender Ironie. Mit seiner Fragestrategie drang er aber nicht durch. Ob er nur Albaner meine, wenn er von ‚Kosovaren´ spreche, wollte der Serbe wissen. Rugova, sichtbar nervös, dementierte und verwies auf Erklärungen, nach denen alle Bürger des Kosovo gleich seien. Wie es dann komme, dass nach der ‚Verteidigung der Kosovaren durch die Nato´ so viele Nicht-Albaner vertrieben worden seien, setzte Milosevic nach. Diese Frage ließ Richter Richard May nicht gelten, da die Anklage sich nur auf die Zeit bis 1999 beziehe. ‚Politik wird aber von ihren Konsequenzen beurteilt´, versetzte Milosevic und brachte so das Dilemma juristischer Vergangenheitsbewältigung auf den Punkt."

Rugova war als Zeuge eine derartige Fehlbesetzung, dass der "unparteiische Richter" May seine Rolle vergaß. "Milosevics Taktik funktionierte..." nämlich laut St. Gallener Tagblatt vom 04.05.02 "...nicht, weil Richter May mehrfach im Interesse eines zügigeren Verfahrens in das Kreuzverhör eingriff und viele Detailfragen Milosevics als ‚irrelevant´ zurückwies." Die folgende Zwischenüberschrift der St. Gallener Blattmacher verheißt dann etwas Ausgewogenheit: "Richter drängt Anklage", doch tatsächlich lesen wir: "Das Kreuzverhör soll Montag fortgesetzt werden. Richter May will Milosevic aber nur eineinhalb Stunden gewähren lassen. Milosevic beschwerte sich, das Gericht wolle seine Verteidigung einschränken."

Die Belgrader Vereinigung Sloboda (Freiheit), jugoslawische Sektion des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM), bemerkt dazu, dass der sonst so "kaltblütige Richter May diesmal mehr Nervosität und sogar Verachtung für Milosevic" zeigte, jedoch seine Bemühungen, Rugova "vor Milosevic ‚in Schutz´ zu nehmen, diesem nicht halfen, erfolgreich die Rolle des Kronzeugen zu spielen." Und Sloboda zieht das Fazit: "So verlief Rugovas Zeugenaussage in der Tat nach demselben Muster wie alle vorhergehenden, einem Spiel in zwei Akten ähnlich. Im ersten Teil benahmen sich die Zeugen wie Schulkinder, die mehr oder minder erfolgreich ein auswendig gelerntes Lied aufsagten. Im zweiten, wenn sie von Milosevic ins Kreuzverhör genommen wurden, begannen sie schließlich Dinge zu vergessen und daherzumurmeln, so dass, was immer sie sagten, für die Verteidigung nützlicher ist als für die Anklage."

Kurze Einblicke in den Geheimprozess

Immerhin bewirkte der Auftritt von Rugova, dass für zwei "Prozess"-Tage der Vorhang der Den Haager Bühne aufging, auf der die Verhandlungen seit Wochen wie ein regelrechter Geheimprozess ablaufen. Wie seinerzeit beim Schüren einer Kriegstimmung zur Vorbereitung der NATO-Aggression tragen die Medien dafür die Hauptverantwortung.

Dass die Medien auf Nachrichtensperre umschalten würden , deutete sich schon in der zweiten "Prozess"-Woche im Februar an. Im Tagespiegel vom 20.02.02 beschwerte sich die notorische Serbenhasserin Caroline Fetscher: "Vor einem Weltpublikum kam Slobodan Milosevic in Den Haag fast zehn Stunden lang unzensiert und ungebremst zu Wort. Er sprach von Nato-Bomben und der Schuld der Westpolitiker, von Historie und Medienhetze - wie er wollte und was er wollte." Diesen "Skandal" enthüllte sie unter der Überschrift "Missbrauch der Redefreiheit", und ihre Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit enthüllte sie mit dem Satz: "Milosevic stößt bei seiner Verteidigung in Den Haag auf wenig Widerstand". Am 25.02.02 setzte sie ihr Lamento unter dem Titel "Im Zirkus des Gerichts - Der Milosevic-Spuk geht weiter", fort.

In das gleiche Horn stieß Zoran Djindjic, Serbiens Gouverneur von NATO-Gnaden, in seinem Spiegel-Interview am 25.02.02: "Dieser Zirkus bringt mich und meine Reformregierung gewaltig ins Dilemma. ... Sogar Gegner Milosevics entwickeln jetzt Sympathie für ihn und fragen mich: Warum haben wir ihn ausgeliefert?" Eine Woche später war Schluss mit lustig - trotz Rekord-Einschaltquoten brach das Staatliche Serbische Fernsehen die Direktübertragung aus Den Haag ab - "wegen nachlassendem Interesse" und aus "Kostengründen", hieß es offiziell.

Für das beredte Schweigen im deutschen Blätterwald gab es gar keine offizielle Erklärung - wie von unsichtbarer Hand eines geheimen Propagandaministers gesteuert, hatte Milosevic unversehens Auftrittsverbot in fast allen Medien. "Die ausgeblendete Realität" kommentiert Werner Pirker am 04.05.02 in der jungen Welt: "Slobodan Milosevic steht in Den Haag trotz seines souveränen Auftritts, der ihn, ebenso wie Dimitroff in Leipzig, vom Angeklagten zum Ankläger werden ließ, auf verlorenem Posten. Je überzeugender er die Farce von Den Haag aufdeckt, desto mehr gereicht ihm das zum Nachteil. Auf den Krieg der NATO gegen Jugoslawien Bezug nehmend, sagte Milosevic, es habe schon viele verbrecherische Kriege gegeben, doch noch nie hätten die Medien eine solch kriegsverbrecherische Rolle wie in diesem Krieg gespielt. Das ließen sich die Medien nicht bieten. Sie drehten die Mikrophone ab. (...) Die Manipulateure waren von ihrer manipulierten Realität eingeholt worden. Wer glaubhaft lügen will, muß seinen Lügen Glauben schenken. Die geballte militärische, juristische und mediale Macht der Jagdgemeinschaft war der direkten Konfrontation mit ihrem Opfer nicht gewachsen. Nachdem sie Milosevic nicht vorführen konnten, brachen sie die Vorführung ab."

Auch was die zwei Ausnahmetage angeht, wo die Öffentlichkeit mal kurzfristig des Haager "Zirkus" teilhaftig werden konnte, kann von realer Prozessberichterstattung keine Rede sein. Eine auf Fakten gestützte, kritische Analyse des Prozesses erhält man nur, wenn man aus vielen Dutzend Berichten die Mosaiksteine zusammenträgt und mit Erkenntnisinteresse ordnet. Was nun der Gaststar Rugova auf der Den Haager Bühne zu bieten hatte, enttäuschte die Erwartungen der Medienmacher offenbar derart, dass schon zur zweiten Aufführung, dem Kreuzverhör Rugovas durch Slobodan Milosevic, die Aufmerksamkeit rapide nachgelassen hatte. Dass dieser Zeuge ein Flop war, sagt natürlich so deutlich keiner. Nur mit der Konsequenz werden wir alle "stillschweigend" konfrontiert: der erneuten Einstellung jeder Berichterstattung.

Schon am 08.05.02 war "Ende der Vorstellung" angesagt - mit der einzigen Ausnahme der Oberösterreichischen Nachrichten, die weniger für Hintergrundberichte, denn für Kurznachrichten bekannt sind: "Milosevic ist mit dem britischen Richter Richard May, der den Vorsitz der Verhandlungen führt, unzufrieden. Milosevic will einen Antrag zur Ablehnung von Richter May stellen. May hatte Milosevics mehrmals das Wort abgeschnitten." Wer das österreichische Regionalblatt nicht liest, erfuhr darüber nichts.

Keine Zeitung und kein Sender stellte einen Zusammenhang zwischen dem Geschehen in Den Haag und jener Meldung der österreichischen Nachrichtenagentur APA her, die am 07.05.02 etwas berichtete, was früher als "Milosevic-Propaganda" abgetan oder lächerlich gemacht wurde: "Die Terrororganisation El Kaida sei weiter in Bosnien-Herzegowina aktiv, sagte NATO-General-sekretär George Robertson am Dienstag in Brüssel. Die NATO sei weiter in Bereitschaft, ‚weil wir wissen, dass es in Bosnien-Herzegowina noch Mitglieder der El Kaida gibt, die terroristische Aktionen planen´, wurde Robertson von der jugoslawischen Nachrichtenagentur Tanjug zitiert. Auch wenn die NATO seit dem 11. September einen größeren Teil des Netzwerkes in der bosniakisch-kroatischen Föderation Bosnien-Herzegowinas zerschlagen und einige Terroristen verhaftet habe, ‚gibt es noch viel zu tun´. Die NATO werde jedenfalls weiter mit ihren Aktionen der Aufdeckung und Verhaftung von Terroristen fortsetzen, betonte Robertson." "...jener Terroristen, mit denen die NATO vorher verbündet war", sagte er nicht, und wenn Milosevic es das nächste Mal wieder sagt, wird es wieder totgeschwiegen.

Fortsetzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Hauptsächlich und insbesondere erfährt aber niemand, dass der "Prozess" in Den Haag am 08.05.02 fortgesetzt wurde, und welche umwerfenden Zeugenaussagen dabei zutage gefördert wurden.

Der Zeuge Avni Nebihu aus Sojevo bei Urosevac hatte in seiner schriftlichen Aussage zu Protokoll gegeben, dass er über die NATO-Bombardierungen Genugtuung empfand. Slobodan Milosevic fragte ihn, ob dies seine eigene Aussage gegenüber dem Vertreter der Anklage war, oder ob dieser ihn zuerst nach seiner Genugtuung über die NATO-Bombardierungen gefragt hat. Darauf antwortete der Zeuge, dies sei seine Antwort auf eine besondere Frage des Vertreters der Anklage gewesen...

In seiner schriftlichen Aussage stand weiter, dass serbische Soldaten alle Einwohner aus ihren Häusern nach Urosevac vertrieben hätten, es habe sich um 500 gehandelt. Auf Befragen von Milosevic erläuterte Nebihu, dass sein Dorf aus fast 200 Haushalten besteht, und dass jeder Haushalt im Durchschnitt 10 Personen umfasst. Als Milosevic auf einer Erklärung bestand, was mit den übrigen 1.500 Einwohnern geschehen sei, geriet der Zeuge in Verwirrung und blieb eine richtige Antwort schuldig.

Nach seiner schriftlichen Aussagen hatte der Zeuge sein Haus zusammen mit seiner Familie verlassen, nachdem er gesehen habe, was ringsumher vor sich ging; nach einer anderen Erklärung behauptete er, dies sei nach Aufforderung der Soldaten geschehen. Auch habe er nach einer Aussage aus 500 Meter Entfernung gesehen, wie ein Soldat mit irgendeiner flammenwerfenden Waffe Feuer an Häuser legte, und als Milosevic ihn daran erinnerte, dass er von der Stelle aus, wo er sich befand, nicht einmal die fraglichen Häuser sehen konnte, sagte er, er habe solche Waffen früher einmal gesehen.

Das Kreuzverhör mit dem nächsten Zeugen Aslan Tachi aus Demjan bei Djakovica bezog sich u.a. auf die angebliche Anwesenheit von Russen unter den serbischen Soldaten, die in seinem Dorf waren. Tachi hatte angegeben, dass er russisch spricht und dass er gehört habe, wie ein Armeeangehöriger auf russisch diskutierte und sogar anderen Befehle gab. Auf Nachfragen von Milosevic gestand er, nicht russisch zu sprechen, behauptete aber, dass jeder, der serbisch spreche, auch russisch verstehe. Zu guter Letzt musste er zugeben, dass diese angeblichen Russen keinerlei Rangabzeichen getragen haben, und dass, als sie angeblich befahlen, alle anwesenden Zivilisten zu töten, die Soldaten dies nicht taten.

Schließlich trat zur Abrundung des bisherigen Eindrucks die Zeugin Dzevahire Rahmani aus Bukos bei Vucitrn auf. Sie hatte das Militär beschuldigt, einige Mädchen aus einer Gruppe, die in einem Raum durchsucht wurde, vergewaltigt zu haben. Auf Nachfrage von Slobodan Milosevic gab sie zu, dies weder gesehen zu haben, noch etwas aus dem Raum habe hören können, und auch keine von ihnen habe ihr bei einer späteren Unterhaltung etwas davon gesagt. Sie sei auf einen solchen Gedanken nur durch das Aussehen der Mädchen beim Verlassen dieses Raumes gekommen. Auf den Augenschein dieser Zeugin scheint ohnehin Verlass zu sein: Den Soldaten, der sie selbst belästigt, aber nicht vergewaltigt haben soll, beschrieb sie einmal als einen großen Burschen mit kahlgeschorenem Kopf, einmal als einen großen Blonden. Ob mit oder ohne schwarzem Schuh, ist leider nicht überliefert.

Drei Zeugen solcher Güte an einem Tag - muss man da die Medien nicht verstehen? Da hilft keine Zensur mehr, nur noch das komplette Totschweigen. Es sei denn, ihnen wäre an Wahrheitsfindung gelegen. Aber das darf man bei den meinungsbildenden Medien ebenso wie bei dem sauberen "Tribunal" getrost ausschließen.

Damit sie es künftig mit der Taktik des Abschaltens und Verschweigens nicht mehr ganz so einfach haben, wird die jugoslawische Sektion des ICDSM über die Highlights der Haager Schmierenkomödie berichten. Die deutsche Sektion stellt die Übersetzung unter www.free-slobo.de zur Verfügung. Wer will, dass die NATO nicht durchkommt, sollte mithelfen, die Nachrichtensperre zu durchbrechen.

Klaus Hartmann
Vizepräsident des Internationalen Komitees für
die Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM),
Sprecher der deutschen Sektion


Kontakt: Klaus Hartmann, Schillstraße 7, D-63067 Offenbach am Main, T/F: 069 - 83 58 50; e-mail: vorstand@freidenker.de


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