Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic - Deutsche Sektion

Pressemitteilung 02/2002
30.01.2002

Haager "Tribunal" auf Schlingerkurs - Unterstützerfront für Milosevic wird breiter


Den Haag: Anklage in Nöten - Paris: Staranwalt Vergès unterstützt Milosevic - London: Internationale Konferenz zur Milosevic-Verteidigung am Freitag - Berlin: Kolloquium über Sinn und Missbrauch internationaler Strafgerichtsbarkeit angekündigt

Am 30. Januar 2002 führte das Haager "Tribunal" eine "Berufungsverhandlung" durch - die "Chefanklägerin" Del Ponte war unzufrieden mit der Entscheidung, am 12. Februar 2002 mit einem gesonderten "Kosovo-Prozess" starten zu müssen. Am 27. November 2001 hatte sie beantragt, ihre Anklagen gegen Slobodan Milosevic wegen "Kriegsverbrechen" und "Verbrechen gegen die Menschheit" in Kosovo, in Kroatien und in Bosnien in einem Prozess zusammenzuführen und gemeinsam zu verhandeln. In der Anhörung vom 10.12.2001, der vierten Vorverhandlung, akzeptierten die "Richter" die Zusammenfassung der Kroatien- und Bosnien-Anklage, bestanden aber auf einem gesonderten Prozess wegen Kosovo.

Was sich wie ein belangloses Gezerre um trockene Verfahrensfragen anhört, birgt bei genauerer Betrachtung erheblichen Sprengstoff. Slobodan Milosevic analysierte am 10.12.01 messerscharf:

"Die Gründe für den Versuch der ´Klagenhäufung´ sind ganz und gar pragmatisch und darauf abgestellt, jene zu decken, die Verbrechen gegen mein Land begangen haben, und keineswegs, wie man behauptet, im Interesse eines zügigen Verfahrens." Denn: "Diese beiden ´Anklagen´ wegen Kroatien und Bosnien wurden ausdrücklich nur aus einem einzigen Grund erhoben, nämlich um die "Anklage" wegen Kosovo in der Versenkung verschwinden zu lassen, weil über Kosovo zu reden die ganze Frage des Terrorismus aufwerfen würde", konkret "der Zusammenarbeit der Clinton-Administration mit den Terroristen im Kosovo, einschließlich der Organisation Bin Ladens. Diese falsche Anklagevertretung verfälscht historische Fakten um der Tagespolitik willen, was selbst dieses illegale Tribunal nicht gestatten sollte."

Aus diesem Grund konnte Patin Del Ponte es bei der Ablehnung der Prozessbündelung auch nicht bewenden lassen, und hat dagegen am 20.12. 01 Berufung eingelegt. Als zentrale Begründung dafür zitierten die Nachrichtenagenturen dpa und APA am 30.01.02 zu Beginn der Berufungsverhandlung: "Laut Meinung der Anklage kann aber nur in einem umfassenden Verfahren gegen Milosevic ´die Gesamtheit seines kriminellen Verhaltens´ ausreichend dargestellt werden." Geübt im Umgang mit einer Sprache, die mehr verschleiert, als enthüllt, liest man besser ´umgekehrt´: die Kosovo-"Anklage" ist also nicht ausreichend - sogar in den schönen Augen ihrer Autorin.

Frau Del Ponte versucht also mit ihrer Berufung nicht weniger, als ihre eigene Anklage zu retten und dem Tribunal seine größte Blamage zu ersparen. In der ihm eigenen Art kommentierte Slobodan Milosevic diesen Versuch am 30.01.2002 mit den Worten: "Wenn man drei Lügen zusam-menzählt, wird noch keine Wahrheit daraus." Weiterhin monierte nicht nur er, sondern auch die drei "Freunde des Gerichts", erst fünf Tage zuvor, am 25.01 2002, über die "Berufungsverhandlung" informiert worden zu sein. Die Österreichische Nachrichtenagentur APA zitiert Milosevic mit den Worten, "Bei dem ´von den NATO-Staaten´ eingesetzten Tribunal handle es sich um einen beispiellosen Versuch, Opfer zu Schuldigen zu machen. Daher wäre es nur gerecht, ihn freizulassen. ´Ich bin bereit, an jeder Verhandlung teilzunehmen, da ich bei dieser Schlacht keineswegs fehlen darf´, betonte er", und:"Ich werde aus dieser Schlacht, die gegen mein Volk und meinen Staat geführt wird, nicht fliehen."

Ob das "Tribunal" seine Anklägerin in letzter Minute vor einer Blamage in Sachen Kosovo bewahren will, ist noch offen, offenbar sind deren Nöte. Denn dafür, dass die Anklage auf tönernen Füßen steht, häuften sich in den letzten Tagen die Indizien. Der in London erscheinenden Independent meldete am 26.01.2002, der "Milosevic-Prozess steht vor dem Zusammenbruch". Aufgrund des Durcheinanders seien Ermittler der "Anklage" Anfang der Woche nach Belgrad gereist, aber mit leeren Händen zurückgekommen. Der "fundamentale Schwachpunkt" der Anklage sei, dass sie sich ausschließlich auf Zeugenaussagen westlicher Offizieller und ethnischer Albaner stütze. "Die Glaubwürdigkeit einiger Zeugen ist zweifelhaft, da sie von (westlichen) Geheimdienst-Mitarbeitern gesammelt wurden, und nicht durch tribunaleigenes Untersuchungspersonal." Inzwischen habe ein UN-Team dreimal den früheren Belgrader Chef der Geheimpolizei, Rade Markovic befragt, und dessen Anwalt bekräftigte, "Markovic ist bereit, nach Den Haag zu kommen, aber Analysten zweifeln, dass die Anklage von seiner Aussage profitieren würde".

Auch Der Spiegel vom 28.01.2002 beklagt "Wacklige Zeugen". Danach "will das Gericht etwa 20 geheime Zeugen vorführen, ehemals enge Milosevic-Mitarbeiter, die ihren Chef belasten sollten." Doch "für sie hat in ihrer Heimat ein Spießrutenlaufen begonnen, weil viele Unbelehrbare ihnen Verrat vorwerfen. (...) Grund genug für viele Aussagewillige, ihre Reise nach Den Haag zu überdenken. Die Zweifel an deren Erscheinen kommentierte Chefanklägerin Carla Del Ponte bissig: ´Dann schicke ich euch Milosevic eben wieder zurück´". Dass der Anwalt einer Partei aus der Rolle fällt, kommt in der Hitze des Gefechts ja mal vor, aber die Souveränität der Frau del Ponte ist geradezu eine Zierde für den Stand der Staatsanwälte.

Gegen den heftigen Widerstand Del Pontes hat Milosevic durchgesetzt, dass er sich selbst verteidigt. Aber er wird sowohl von seinen beiden jugoslawischen Anwälten beraten als auch von weiteren hervorragenden internationalen Juristen wie dem ehemaligen US-Justizminister Ramsey Clark, Co-Präsident des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic, und dem Kanadier Christopher Black, Leiter der juristischen Kommission des Komitees. Weitere prominente Verstärkung erhielten sie mit dem französischen Staranwalt Jacques Vergès, der inzwischen ebenfalls für Slobodan Milosevic tätig ist. Dieser ist aus spektakulären Prozessen, z. B. gegen Klaus Barbie und Carlos, berühmt-berüchtigt wegen seiner Unerschrockenheit vor Gericht und seines Geschicks im Umgang mit den Medien.

Vergès gilt in Frankreich als der "Vater der Strategie des Verhandlungsabbruchs", mit der auch Milosevic bei seinen fünf Auftritten im Vorverfahren weltweit Aufsehen erregt hat. Der politische Strafverteidiger hat diese Strategie in einem Interview vom 8. Januar 2002 mit der Internet-Zeitung "diplomatie judiciaire" folgendermaßen beschrieben: "Es gibt keinerlei Möglichkeit eines Dialogs mit diesem Tribunal; dieses Tribunal ist dazu gemacht, ihn zu verurteilen. Und seine Verurteilung dient dazu, die Aggression zu rechtfertigen. Dies läßt sich beweisen und an die Öffentlichkeit bringen. Das ist die ganze Verteidigungsstrategie in einem Prozess des Verhandlungsabbruchs. Das Tribunal ist nicht dazu da, ihn anzuhören. Wenn er etwas sagt, was missfällt, schneidet man ihm das Wort ab. Aber seine Anwälte, die eine Reflektionsgruppe bilden, können sich sehr wohl an die Presse und an die Öffentlichkeit wenden, Herr Clark in den Vereinigten Staaten und ich in Frankreich. Ein Dialog ist ganz eindeutig vor diesem Tribunal unmöglich." Vergès anerkennt, dass Milosevic "sich nicht an das Tribunal wendet sondern an das serbische Volk." Denn: "In diesem Fall sind allein die Serben die Richter." Nach einem Besuch in Belgrad ist er überzeugt: "Alle Serben die ich getroffen habe - ob sie für Milosevic waren oder in der Opposition - erleben diese Affäre als eine nationale Erniedrigung."

Ähnlichkeiten des Haager Tribunals mit der Nazi-Justiz seien natürlich nur "Koinzidenzien", rein zufällig, bemerkt Vergès ironisch. "Vor dem Haager Tribunal können maskierte Zeugen vernommen werden, mit einem die Stimme verzerrenden Apparat. Da gibt es einen Präzedenzfall im Prozess gegen Dimitroff, kommunistischer Agent, Bulgare, in Bulgarien zum Tode verurteilt, auf Reisen mit einem sowjetischen Pass, in Deutschland verhaftet und angeklagt, den Reichstagsbrand unter der Nazi-Herrschaft veranlasst zu haben. Damals gab es auch maskierte Zeugen, und übrigens ist Dimitroff freigesprochen worden. Das sind so Koinzidenzien....". Sind denn die gegen Milosevic erhobenen Beschuldigungen reine Erfindung?, wird er gefragt. Vergès: "Ich glaube an mehrere Arten von Unschuld. Die Anklageschrift ist immer nur der Rahmen eines Prozesses. In Nazi-Deutschland machte die Anklageschrift gegen Dimitroff, wie gesagt, geltend, dass er den Befehl gegeben habe, den Reichstag in Brand zu setzen, dass er sich illegal in Deutschland aufhalte, und dass er ein kommunistischer Agent sei. Er wurde freigesprochen. Sicher waren das in Nazi-Deutschland damals keine Demokraten...". Sarkastisch und zweideutig fügt er hinzu: "Die Demokraten machen das besser."

Und noch deutlicher wird Vergès, als man ihm die wohl unvermeidliche Frage stellt, ob er zwischen der Verteidigung seines früheren Mandanten Klaus Barbie, des für Kriegsverbrechen verurteilten ehemaligen SS-Chefs von Lyon, und der Verteidigung von Slobodan Milosevic irgendwelche Ähnlichkeiten sehe. Vergès: "Da gibt es überhaupt keinen Zusammenhang, weil französische Gerichte für in Frankreich begangene - bewiesene oder nicht bewiesene - Verbrechen zuständig sind. Da gibt es nichts zu vergleichen. Die Prozessführung, die heute von Demokratien praktiziert wird, - und ich setze den Begriff Demokratien hier in Anführungsstriche - ähnelt mehr der Prozessführung, welche von den Freunden des Herrn Barbie praktiziert wurden als derjenigen von Widerstandskämpfern.."

Bekanntlich wurde in Frankreich ein Offizier verurteilt, weil er geheime Informationen über die Bombardierungen an die serbischen Behörden weitergegeben haben soll. Was hätte Vergès als Verteidiger dieses Offiziers gesagt, wollte ein Student bei Vergès Vortrag vor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Belgrad wissen. Auch hier nimmt Vergès kein Blatt vor den Mund: "Zunächst einmal bin ich nicht sein Verteidiger. Zweitens weiß ich nicht, ob der Sachverhalt von ihm bestätigt wurde oder nicht. Aber allgemein sage ich dazu: Wenn ein französischer Offizier am Vorabend von Bombardierungen in Kenntnis von Bombardierungen die serbischen Behörden informiert hat, dann glaube ich, dass man ihn nicht nur dafür nicht verurteilen, sondern ihm Anerkennung zollen sollte. Denn das Gesetz verlangt von jedem Bürger, alles zu tun um ein drohendes Verbrechen zu verhindern, über das er unterrichtet ist. Und der Krieg mit null Toten (auf einer Seite) ist ein Verbrechen."

Vergès hat Milosevic erstmals am 9. Januar besucht. Er gehört wie auch der niederländische Anwalt Steijnen zu der Gruppe von sechs Anwälten, die Milosevic in dem Verfahren vertreten, das am 20. Dezember 2001 vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg begonnen hat. "Es wird Beschwerde gegen den niederländischen Staat erhoben werden", sagte Vergès dem Informationsblatt Balkans Infos (Jan. 02). "Sie richtet sich gegen die Überstellung des Ex-Präsidenten, der buchstäblich gekidnapt worden ist, jenseits aller Legalität. Wenn diese Beschwerde ohne Ergebnis bleibt, werden wir (in einer zweiten Beschwerde) das Internationale Straftribunal selbst angreifen, dessen Einrichtung und Arbeitsweise mit Justiz nichts zu tun hat." Vergès hält laut Le Monde (14. Dez. 01) die Beschwerde für wohl begründet. Sie beruhe auf drei Argumenten: "Kein Staat liefert seine Staatsangehörigen aus; kein Staat liefert eine Person aus, die auf seinem Territorium straffällig geworden ist; die Auslieferung von Milosevic erfolgte ohne gerichtliche Entscheidung."

Bekanntlich hat das jugoslawische Verfassungsgericht das Regierungsdekret, welches die Auslieferung von jugoslawischen Staatsbürgern an das Tribunal in Den Haag gestattet, am 9. November 2001 für verfassungswidrig erklärt. "Die Verantwortung der Niederlande bei dieser Entführung ist", wie Balkans Infos schreibt, "nach Auffassung der juristischen Berater aus Belgrad offenkundig. Das Flugzeug, das den ehemaligen Präsidenten entführte, trug offenbar die Markierung der ´Royal Dutch´, im übrigen haben die niederländischen Behörden ihre Mittäterschaft dadurch bewiesen, dass sie den Kidnappern den niederländischen Luftraum öffneten und die Überstellung des Gefangenen vom Flugzeug zur Haftanstalt organisierten."

Jacques Vergès hat eine Reihe öffentlicher Konferenzen und Tribunale angekündigt, die die Haltlosigkeit der Anklagen gegen Milosevic beweisen und die NATO-Politik gegen Jugoslawien anklagen sollen. Den Anfang macht das britische Komitee mit einer Konferenz "Serbien vor Gericht - die NATO ist schuldig!", am Freitag. 1. Februar 2002, in der Londoner Conway Hall am Red Lion Square. Als Hauptredner tritt der kanadische Anwalt Christopher Black auf.

Auch die Deutsche Sektion des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM) fühlt sich durch die weitere Unterstützung auf internationaler Ebene ermutigt. Sie wird am 2. März 2002 in Berlin auf Einladung des PDS-Bezirksverbands Berlin Schöneberg & Tempelhof ein Kolloquium im Schöneberger Rathaus organisieren. Das Hauptreferat hält der Hamburger Völkerrechtler Prof. Norman Paech. Weitere Referenten sind der ehemalige Botschafter Ralph Hartmann, der aus seinem neuen Buch über den "Fall Milosevic" lesen wird, und der Schauspieler Rolf Becker sowie die Rechtsanwälte Peter Koch und Eberhard Schultz. In Vorträgen und Diskussionen soll die ganze internationalen Strafjustiz, die sich zunehmend demokratischer Gesetzlichkeit entzieht, auf den Prüfstand gestellt werden.


Kontakt: Klaus Hartmann, Schillstraße 7, D-63067 Offenbach am Main, T/F: 069 - 83 58 50; e-mail: vorstand@freidenker.de


zurück  zurück