Klaus Hartmann / Klaus von Raussendorff
Spurensuche im Panoptikum der Medienberichterstattung über den Milosevic-"Prozess"

Worum geht es beim "Prozess" gegen Slobodan Milosevic, speziell der vierten und fünften Sitzung im Vorverfahren am 11. Dezember 2001 und 09. Januar 2002? Um das herauszufinden, gibt es zwei Methoden. Die einfache und sichere besteht, wie bei politischen Schauprozessen meist, darin, einfach nachzulesen, was der "Angeklagte" Milosevic gesagt hat. Das ist dank eingeschränkter Wahrnehmung und ebensolcher Wiedergabepraxis der meisten Medien aber nur sehr eingeschränkt möglich. Die zweite Methode besteht in der Spurensuche im Panoptikum der Medienberichterstattung. Das ist mühsam, aber nicht ohne Reiz, wenn man zuweilen auf einen Reflex der Wirklichkeit trifft, zum Beispiel zu folgenden Sachverhalten:

Die mit dem Fall betrauten Richter, die Herren May, Robinson und Fihri lehnen den Antrag der Anklägerin, Frau Del Ponte, ab, die drei "Anklagen" gegen Milosevic zu einem einzigen Prozess zusammenzulegen.

Die Frage ist, mit welcher Begründung. Dazu lesen wir: "Die Anklage im Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Milosevic ist am Dienstag (bei der vierten Sitzung im Vorverfahren am 11.12.01) mit ihrem Antrag, sämtliche drei Anklageschriften in einem einzigen Prozess zu behandeln, auf den Widerstand der mit dem Fall betrauten Richter gestoßen.

Richter Robinson erklärte, die große Zeitdifferenz zwischen den Geschehnissen in Kroatien und Kosovo machten es schwierig, eine Kette von Ereignissen auszumachen. Milosevic ist in 66 Punkten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kroatien (1991), wegen Völkermordes in Bosnien-Herzegowina (1992-1995) und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kosovo (1999) angeklagt.

Richter May hielt fest, die Anklage spreche von der Absicht Milosevics, ein Großserbien zu schaffen. Dieser Vorwurf werde jedoch in der Anklageschrift nicht explizit erwähnt.(...)

Die Richter hielten fest, der Prozess werde am 12. Februar mit der Anklageschrift zu Kosovo beginnen. Die Anklageschriften zu Kroatien und Bosnien werden zusammengeführt; ein Termin steht noch nicht fest, da die Anklage ihre Vorarbeiten für die Behandlung dieser beiden Dossiers noch nicht abgeschlossen hat." ("vau", "Milosevic schweigt zum Genozid-Vorwurf - Auftritt des Ex-Präsidenten vor dem Uno-Tribunal" in Neue Zürcher Zeitung, Den Haag, 12.12.01)

Dies ist soweit korrekt. Doch angesichts der prägnanten Darlegungen Milosevics zum multinationalen Charakter Jugoslawiens ist die Unterstellung im Titel, Milosevic habe zum Genozid-Vorwurf geschwiegen, eine dreiste Lüge. Diese Lüge hält sich auch in der weiteren Berichterstattung: "Auf die Vorwürfe der Anklage ging er wie bei den vorherigen Ankündigungen nicht ein", schreibt die Neue Ruhr-Zeitung am 15.01.2002, wobei sie statt Ankündigung wohl Anhörung schreiben wollte.

"Carla del Ponte argumentiert damit, die Serien der in den Klageschriften aufgezählten Kriegsverbrechen fußten alle auf einem gemeinsamen Prinzip, es sei in allen drei Fällen um die Wahrung oder Herstellung eines "Großserbiens" gegangen. Die Richter bemängelten jedoch "Großserbien" trete als Begriff in den einzelnen Klageschriften kaum prominent hervor." (Caroline Fetscher "Milosevic lehnt Verantwortung für Bosnien-Krieg ab -Haager Tribunal will drei Verfahren gegen den Ex-Diktator bündeln" in Tagesspiegel, 12.12.01)

"Demjenigen, der die Erhaltung Jugoslawiens und gleiche Rechte für alle Bürger verteidigte, der sich der Zerstückelung eines multiethnischen Bundesstaates in ethnische Kleinstaaten widersetzte, wirft die »Anklage« wahrheitsverdrehend vor, ein »Großserbien« angestrebt zu haben." (Klaus Hartmann, "Das Kriegsfemegericht tagt - Zum Prozess gegen Slobodan Milosevic in Den Haag" in junge Welt v. 13.12.2001)

Trostpreis für Del Ponte

Aber Frau del Ponte gibt so leicht nicht auf: Sie will Anklagenhäufung. Auch hier ist die Frage, warum. Die Version des Tribunals lautet: "Die Anklage will die drei Verfahren mit insgesamt 66 Anklagepunkten gegen Milosevic in einem Prozess zusammenfassen, um Zeit zu sparen. Ankläger Geoffrey Nice kündigte vor Gericht an, dass bis zu 30 "ranghohe Insider" und insgesamt 400 Zeugen in dem Fall gehört werden sollten. Der Prozessbeginn ist bislang auf Februar 2002 angesetzt, im Falle einer Zusammenlegung der Verfahren wird sich dieser Termin jedoch vermutlich bis zum Sommer verschieben. Die Prozessdauer wird auf mehr als ein Jahr geschätzt." (AP nach Rhein-Zeitung, 12.12.01 "UN-Tribunal beschäftigt sich mit Bosnienkrieg -Milosevic direkt des Völkermordes angeklagt").

Zwischen den Zeilen erfährt man so nebenbei, dass Del Ponte mit ihrer Anklagen wegen "Kroatien" und "Bosnien" immer noch nicht fertig ist.

Aber den für die Anklagenhäufung wahrscheinlich maßgeblichen Grund, der von Milosevic genannt wurde, findet man nur in zwei Blättern: Die Anklage, so wird Milosevic zutreffend widergegeben, wolle "den Fall Kosovo in den Hintergrund drängen, um die Allianz zwischen den Terroristen des 11. September, der Regierung Clinton und anderen zu vertuschen, die mit bin Laden und der UCK im Kosovo gemeinsame Sache gemacht hätten." (Caroline Fetscher "Milosevic lehnt Verantwortung für Bosnien-Krieg ab -Haager Tribunal will drei Verfahren gegen den Ex-Diktator bündeln" in Tagesspiegel, 12.12.01) "Der Schauprozess in Den Haag soll auch vergessen lassen, daß Truppen des CIA-Söldners Osama bin Laden und andere islamistische Terroristen seinerzeit in Bosnien mit US-Unterstützung für die Balkanisierung Jugoslawiens kämpften, um einen islamistischen Staat mit minderen Rechten für die 40-Prozent-»Minderheit« der Serben zu erschaffen." (Klaus Hartmann, "Das Kriegsfemegericht tagt - Zum Prozess gegen Slobodan Milosevic in Den Haag" in junge Welt v. 13.12.2001)

Dass das "Tribunal" dem Antrag auf Anklagebündelung nicht folgen will, wird ausweislich der Überschrift in der Welt vom 10.01.2002 als "Niederlage für Chefanklägerin Del Ponte in Milosevic-Prozess" empfunden und von Katja Ridderbusch kommentiert: "Die Trennung der drei Anklagen ist eine Niederlage für Carla Del Ponte. Sie wollte im Kosovo-Prozess auch insgesamt 110 Zeugen vorladen und 1471 Beweismittel vorlegen. Doch May reduzierte die Zahl der Zeugen auf 90 und zweifelte die Legalität einiger der vorgelegten Beweisstücke an. Er drängte die Anklage, ihre Beweisführung bis August abzuschließen. Ein Trost für Del Ponte mag ihre tadellose Reputation als Hüterin des Gerechten sein: Im Juni erhält sie den mit 25.000 Euro dotierten Westfälischen Friedenspreis der Stadt Münster." Die Warnung "Vorsicht, Satire!" hatte Die Welt bei diesem Beitrag leider vergessen.

Und noch eine Kuriosität. Auch bei der FAZ wittert man natürlich, dass die Komplizenschaft zwischen NATO und UCK nach der Ausrufung des "Krieges gegen den Terrorismus" eine besondere Peinlichkeit ist, die von dem gewieften Milosevic sofort aufgespießt wird. Aber wie vermittelt man das der eigenen Leserschaft in den Chefetagen? In einem Artikel mit dem Untertitel "Der frühere jugoslawische Präsident hat seine Verteidigungsstrategie geändert" schreibt der Balkan-Kriegsberichterstatter der FAZ, Matthias Rüb aus Budapest, selbst diese Überschrift sogleich widerlegend: "Es bleibt ihm (Milosevic) nichts anderes übrig, als bei seiner bisherigen Verteidigungslinie zu bleiben."

Worin besteht nun eine Änderung der Verteidigungsstrategie, bei der man bei seiner bisherigen Verteidigungslinie bleibt? Um das herauszufinden, bedarf es des klugen Kopfes, der laut Eigenwerbung hinter diesem Blatte vermutet werden soll.

Milosevic hatte am 30. August einen fundierten Schriftsatz zur Illegalität des Tribunals vorgelegt, der in junge Welt vom 25. und 26. Oktober 2001 dokumentiert wurde und in der "Übersetzung" der drei "Freunde des Gerichts" bei der Sitzung vom 29./30. Oktober breiten Raum einnahm. Darauf macht nun auch die FAZ aufmerksam, spät aber immerhin. Aber nun die Schlussfolgerungen, die Rüb zieht: "Das Tribunal ist für ihn (Milosevic) eine illegale und damit gleichsam inexistente (!) Institution." Offenbar verwechselt Rüb hier Milosevic mit einem gewissen Palmström, für den nach Christian Morgenstern nicht sein kann, was nicht sein darf. Und deshalb schließt nun Rüb messerscharf, dass "zu deren ´absurden Vorwürfen´ - wie etwa dem der Anklage vom Dienstag, in Bosnien im Rahmen einer ´koordinierten verbrecherischen Unternehmung´ Völkermord an Kroaten und Muslimen angeordnet zu haben - Milosevic nicht Stellung nimmt."

Dies allerdings ist eine dreiste Lüge, die uns schon in der Überschrift der NZZ begegnet ist. Milosevic hat tatsächlich Ausführungen zur Nationalitätenpolitik Jugoslawiens gemacht und mit dieser Argumentation den Vorwurf des Völkermords als "Gipfel der Absurdität" erscheinen lassen. Und nun gibt Rüb der Sache mit dem 11. September 2001 einen solchen Dreh, dass die Versuche der Madame Del Ponte, den NATO/UCK-Terror im Kosovo aus dem Milosevic-Prozess auszublenden, wiederum hinter einer angeblichen Änderung der Strategie des Angeklagten verschwinden sollen.

Milosevic hatte gesagt: "Es ist für mich vollkommen klar, warum diese falsche Anklagevertretung auf "Klagenhäufung" (Kosovo und Bosnien) besteht. Der Grund ist der 11. September. Man will die Aufmerksamkeit von den wegen Kosovo gegen mich erhobenen Beschuldigungen ablenken, da diese Beschuldigungen unweigerlich die Frage nach der Zusammenarbeit der Clinton-Administration mit den Terroristen im Kosovo aufwerfen, einschließlich der Organisation Bin Ladens." Carla del Ponte wolle, so Milosevic, "Kosovo" nach dem 11. September in der Versenkung veschwinden zu lassen. Dass Milosevic auf diesen Zusammenhang hinweist, wird dem Leser der FAZ als eine Änderung der Strategie von Milosevic präsentiert. Daher der absurde Untertitel, dem der Autor im Text selbst widerspricht. (Matthias Rüb <aus Budapest>, "Der Kämpfer gegen den Terrorismus - Der frühere jugoslawische Präsident hat seine Verteidigungsstrategie geändert" in Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.12.2001)

Del Pontes "schwierige" Anklage wegen Völkermord

Hier stellt sich die Frage, warum gerade der ehemalige Führer des einzigen auf dem Balkan noch verbliebenen multinationalen Staat, in dem es keine Diskriminierung aus ethnischen, religiösen oder rassischen Gründen gibt, in Bosnien Völkermord betrieben haben soll. Hierzu lesen wir: "Die Anklage wirft Milosevic vor, Drahtzieher von Hunderten Verbrechen zu sein, die serbische Extremisten in seiner Regierungszeit im Nachbarland Bosnien verübten. (...) Er bestritt die von der Anklage verlesenen Vorwürfe jedoch vehement. ´Dieser miserable Text ist die ultimative Absurdität. Man sollte mir den Frieden in Bosnien anrechnen, nicht den Krieg´, erklärte der 60-Jährige. ´Die Verantwortung für den Krieg in Bosnien liegt bei den (West-)Mächten und ihren Agenten, nicht in Bosnien und nicht bei Serben, dem serbischen Volk oder der serbischen Politik´, sagte er, bevor ihn Richter Richard May unterbrach." (AP nach Rhein-Zeitung, 12.12.01"UN-Tribunal beschäftigt sich mit Bosnienkrieg -Milosevic direkt des Völkermordes angeklagt")

Wie aber fingiert man den Vorwurf des Völkermords? "Da der Nachweis des Völkermordes ein äußerst schwieriges Unterfangen ist, legt die von Carla Del Ponte angeführte Anklage den Schwerpunkt ihrer Arbeit unter anderem auf die Machtposition, die Milosevic während des Bosnien- Krieges innegehabt hatte. Er habe nicht nur auf die politische Führung der bosnischen Serben großen Einfluss gehabt, sondern auch die Einheiten der jugoslawischen Volksarmee und der später daraus entstandenen jugoslawischen Armee kontrolliert, denen Greueltaten in Bosnien zur Last gelegt würden." (NZZ, 12.12.01)

Als eine Art Sprachrohr von Frau Del Ponte fungiert in Den Haag die an allen Fronten US-imperialer Einmischung anzutreffende Organisation Human Rights Watch. Ihr Direktor Dicker (so sein Name) sieht "für die Anklage die schwierigste Herausforderung darin, beweisen zu können, dass das Regime Milosevic mit Absicht eine Politik des Genozids verfolgt habe. Völkerrechtsexperten haben darauf hingewiesen, im Unterschied zu Rwanda sei die Frage, ob in Bosnien-Herzegowina tatsächlich und in grossem Umfang ein Genozid begangen worden sei, noch nicht schlüssig beantwortet." (NZZ, 12.12.01) Noch nicht, meint dieser Herr !

Aber schließlich gibt es ja Geheimdienste, die die nötigen "Beweise" liefern können, wie taz exklusiv zu berichten weiß: "Das Tribunal hat sich mit der Anklage weit vorgewagt. Es wird nicht einfach werden, Milosevic nachzuweisen, dass er es war, der einen Genozid in Bosnien plante und nicht nur von jedem militärischen Schritt seines ehemaligen Statthalters Radovan Karadzic und dessen General Ratko Mladic in Kenntnis gesetzt wurde. Das Tribunal geht davon aus, dass in Belgrad alle Verbrechen an Kroaten, Bosniern und Kosovo-Albanern ausgeheckt und umgesetzt wurden - aufgrund von bislang geheim gehaltenen Aufzeichnungen westlicher Geheimdienste." (Roland Hofwiler, "Den Haag: Anklage wegen Völkermordes - Das UN-Tribunal will Slobodan Milosevic für alle Kriege in Exjugoslawien zur Verantwortung ziehen. Jugoslawiens früherer Präsident quittiert das Geschehen mit Beschimpfungen und demonstrativ zur Schau gestellter Langeweile" in taz v. 12.12.2001)

Das Stichwort Geheimdienste taucht auch in der Berichterstattung von der 5. Vorverhandlung wieder auf, so in der Frankfurter Rundschau vom 10.02.2002: " Das Verfahren bezeichnete Milosevic als ein britisches Komplott: ´Die Anklage stützt sich auf Material vom britischen Geheimdienst, der Richter ist ein Brite, und der Ankläger ist ein Brite.´ Einer der Ankläger ist der Brite Geoffrey Nice."

Ein "gemeinsames kriminelles Unternehmen" soll Milosevic angeführt haben, dem die Verantwortung für die Zerschlagung Jugoslawiens und "vier Kriege" auf dem Balkan zukomme. Hier erwähnt der Tagesspiegel als einzige Zeitung die in den meisten Medien längst verdrängte Verantwortung des früheren deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, die von Milosevic angesprochen wurde. "Er habe Jugoslawien vor der Desintegration bewahren wollen. Doch am 6. April 1991 habe Deutschlands Außenminister Genscher Kroatiens Unabhängigkeit anerkannt, "genau am Jahrestag der deutschen Bombardierung Belgrads 1941." (Caroline Fetscher "Milosevic lehnt Verantwortung für Bosnien-Krieg ab - Haager Tribunal will drei Verfahren gegen den Ex-Diktator bündeln" in Tagesspiegel, 12.12.01)

Der renitente "Angeklagte"

In der 5. Vorverhandlung ging es in erster Linie um die Fragen der Prozessdauer und damit die Anzahl der zu ladenden Zeugen und der Beweismittel. Als neuerliche Ohrfeige für Carla del Ponte kann gewertet werden: "Der britische Richter May drang auf ein zügiges Verfahren. Er will die Zahl der Zeugen auf 90 reduzieren, die Anklage will 110 Zeugen vorladen." (Frankfurter Rundschau, 10.02.2002)

Von deren Korrespondenten Klaus Bachmann, der auch für die Badische Zeitung und die Basler Zeitung berichtet, erfahren wir, was dem "Tribunal" an Milosevic´s Weigerung, einen Verteidiger zu benennen, eigentlich stört: "Mit seiner Weigerung, das UN-Gericht anzuerkennen, hat Milosevic auch die Anklage in Schwierigkeiten gebracht. Die bat das Tribunal am Mittwoch in Den Haag um zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen für geschützte Zeugen, um zu verhindern, dass der angeklagte Ex-Präsident deren Identität nach außen weitergibt. Da dieser sich selbst verteidigt, kann er telefonieren."

Allmählich geht die Geduld der Berichterstatter und Agenturen aber zu Ende, da sie immer noch keinen "gebrochenen" Milosevic vor sich sehen. Man erkennt es an Überschriften wie "Milosevic stellt sich weiter stur" (Neue Ruhr-Zeitung), "Verbalattacke von Milosevic" (taz), "Milosevic greift erneut UN-Tribunal scharf an" (Mannheimer Morgen und Kölnische Rundschau), "Milosevic schilt UNO-Richter" (Basler Zeitung), "Milosevic schimpfte wie eh und je", "neue Schimpftiraden gegen die Nato (Oberöstereichische Zeitung), "Milosevic gibt sich empört" , "Wütende Proteste" (Badische Zeitung), "Neue Milosevic-Tirade vor dem UN-Tribunal" (Süddeutsche Zeitung), "Milosevic bleibt renitent" (20 Minuten.ch), "Milosevic weist Anklage wütend zurück" (Märkische Allgemeine), und schließlich "Ex-Diktator blockiert erneut die Anhörung" (Nordwest Zeitung) - alle vom 10.01.2002.

Das erkennbare Leitmotiv: Wenn man dem Publikum schon keinen geschlagenen Selbstmordgefährdeten vorführen kann, soll man sich doch wenigstens ob dessen Renitenz ereifern. Deshalb muss der viermal in freien Wahlen Gewählte auch mal wieder Diktator genannt werden. Und auch an die Herren "Richter" ist es der Hinweis, dass man eine andere Vorstellung wünscht.

Dabei gab sich auch diesmal der Richter May alle Mühe, dem Angeklagten das Grundrecht auf mündliche Verteidigung zu nehmen. Die Blockade der Anhörung, von der die Nordwest-Zeitung berichtet, entpuppt sich also als pure Lüge, es sei denn, sie wollte den Vorsitzenden "Richter" May als Ex-Diktatot brandmarken. In der Berliner Zeitung vom 10.01.2002 steht nämlich, wer der Blockierer war: "Nachdem Milosevic mehrfach die Aufforderung des Vorsitzenden Richters Richard May ignoriert hatte, zu Verfahrensfragen Stellung zu nehmen, entzog ihm der Richter das Mikrofon. Er werde im Prozess noch Gelegenheit erhalten, seine Meinung darzulegen, sagte May." Dieser Zeitung verdanken wir auch die Ausnahme-Überschrift: "Milosevic sieht sich als Verteidiger der Heimat".

Was Slobodan Milosevic tatsächlich sagte, muss man wieder zusammensuchen, so findet man in der Neuen Zürcher Zeitung vom 10.01.2002: "Milosevic sagte bei der Anhörung, es werde der Versuch gemacht, die Geschichte zu verdrehen." Süddeutsche und Berliner Zeitung bringen übereinstimmend das Zitat:"Das ist nur eine fabrizierte Rechtfertigung für die Verbrechen, die bei der Nato-Aggression gegen mein Land und meine Nation begangen wurden". Und der schon erwähnte Klaus Bachmann ergänzt: "Selbst die Anklageschrift gegen ihn bestätige die Verbrechen der Nato gegen Serbien, hob Milosevic am Mittwoch an, ´denn alle Vorwürfe gegen mich liegen in der Zeit der Nato-Luftangriffe. Die Verteidiger ihres Heimatlandes sollen zu Verbrechern gestempelt werden, diejenigen, die nachts kamen und tausende Kilometer zurücklegten, um serbische Krankenhäuser und Brücken zu bombardieren, sollen als die guten Jungs dastehen.´" (Frankfurter Rundschau, 10.02.2002). Zum Vergleich die Fassung der Süddeutschen Zeitung: In einer Tirade wies Milosevic darauf hin, dass die ihm zur Last gelegten Verbrechen im Kosovo 1999 in der Zeit geschehen sein sollen, in der die Nato den Kosovo bombardiert habe. "Man versucht es so darzustellen, dass jene, die damals ihre Familien, ihre Kinder und ihre Heimat verteidigten, Kriminelle und üble Existenzen gewesen seien", rief er in serbischer Sprache. Jene aber, die mit Unterstützung "albanischer Terroristen" für die Tötung vieler Menschen und enormen materiellen Schaden verantwortlich seien, würden international als die "guten Jungs" gefeiert.

Man darf gespannt sein, welche Anstrengungen zur Geschichtsverdrehung die Mannschaft um Del Ponte uns noch zumuten Wird. Ein Vorgeschmack darauf gab es vor einigen Tagen, als schon mal durchsickerte, dass auch ein gewisser William Walker als Zeuge der Anklage aufgeboten werden soll: der langjährige CIA-Agent, Erfinder des "Massakers" von Racak und Chef diverser lateinamerikanischer Contra-Terroristenbanden.


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