Den Haag: Del Ponte muss Rotstift ansetzen

Kein Völkermord an bosnischen Kroaten - Tribunal lässt entsprechende Anklage fallen

Von Martin Schwarz, Wien

Die Haager Chefanklägerin Carla del Ponte muss auf Anordnung des Vorsitzenden Richters im Milosevic-Prozess, Richard May, den Rotstift ansetzen und Teile der Völkermord-Anklage gegen Slobodan Milosevic fallen lassen.

Das teilte Florence Hartmann, Sprecherin von Del Ponte, auf ND-Anfrage mit: »Wir können in der Anklageschrift den Vorwurf des Völkermords an bosnischen Kroaten während des Krieges nicht beweisen.« Richter May wies deshalb das Team von Carla del Ponte an, die Anklageschrift zu reduzieren und bis zum Beginn des Verfahrens gegen Milosevic wegen mutmaßlicher Verbrechen im Kroatien- und Bosnienkrieg am 26. September neu zu fassen.

»Der Richter ist der Auffassung, dass das Verfahren bei Einbeziehung der Verbrechen gegen die bosnischen Kroaten zu kompliziert würde«, sagte Hartmann. Bisher war in der gesamten Anklageschrift die Rede von Milosevics Völkermord an »bosnischen Muslimen, bosnischen Kroaten und anderen Nicht-Serben«. Jetzt werden sämtliche Fälle aus der Anklageschrift gestrichen werden müssen, die mutmaßliche Verbrechen gegen bosnische Kroaten beschreiben.

Die durchwachsenen Erfahrungen aus dem Verfahren wegen Milosevics mutmaßlicher Verbrechen im Kosovo-Krieg scheinen May zu dieser bislang einmaligen Anweisung bewogen zu haben: Die Anklage wartete mit einer Vielzahl an Zeugen auf, die aber teilweise bei den Kreuzverhören durch den Angeklagten selbst einknickten und keineswegs das Bild schärften, das die Anklage darzustellen versuchte: dass Milosevic als damaliger Staatspräsident persönlich verantwortlich ist für die Gräueltaten des Krieges.

Unterdessen hat Slobodan Milosevic eine neue Offensive gestartet, um Regelwerk und Zeitplan des Tribunals ein wenig durcheinander zu bringen: über seinen niederländischen Rechtsberater Nico Steijnen ließ er eine Beschwerde gegen Michail Wladimiroff, einen der beiden »Freunde des Gerichts« (amici curiae) formulieren: Obgleich Wladimiroff als Beobachter engagiert ist und Richter May vor allem in Verfahrensfragen unparteiisch beraten soll, hat er sich in einem Interview mit der niederländischen »Haagsche Courant« einige Blößen gegeben. So sprach er davon, dass es der Anklage bisher gelungen sei, die direkte Verantwortung Milosevics für Massaker in Kosovo zu beweisen und der zweite Teil der Anklage zu den Kriegen in Bosnien und Kroatien »für die Anklage einfacher« sei.

Neues Deutschland vom 21.09.2002


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