Zeugen der Anklage

Auch wenn die Medien hierzulande anderes behaupten: Der Prozess Slobodan Miloševic in Den Haag nimmt einen für die Anklage ungünstigen Verlauf.

Branislav Filipovic-Sumar aus Bjelina, 24 Jahre alt, fiel am 16. oder am 17. Mai 1992 in den Kämpfen um Brèko in Nordostbosnien. Der Zeuge B-1448, Kämpfer einer muslimischen paramilitärischen Einheit, hat, nach eigenen Angaben, die Leiche durchsucht. Danach habe man sie gegen 21 muslimische Gefallene ausgetauscht. Mit diesen Zeugen präsentiert die Den Haager Anklage neue Dokumente, die beweisen sollen, daß Belgrad durch Waffenlieferungen an die bosnischen Serben direkt am Krieg in Bosnien beteiligt war. Richter Richard May ermahnt den Angeklagten, sein Kreuzverhör ausschließlich auf diese Dokumente zu beschränken, und unterbricht ihn bei jeder Frage, die darüber hinausführt. Woher haben die Muslime ihre Waffen bezogen?, versucht es Miloševic trotzdem, doch er kommt damit nicht weiter. Auch nicht mit der Frage, wie die para-militärische Einheit des Zeugen zustande gekommen sei. Bei der Frage, wer denn die beiden Sava-Brücken bei Brèko gesprengt habe, wird Miloševic das Mikrophon abgeschaltet.

B-1448 ist wieder einmal ein "geschützter Zeuge": Statt seines Gesichts flackern bunte Quadrate auf dem Bildschirm, die Stimme ist dumpf und verzerrt wie aus dem Grab. In der Brusttasche habe er die Identitätskarte des Gefallenen gefunden, im Rucksack hingegen Papiere, sechs an der Zahl, und daraus ergebe sich, daß die Serben ... Darauf kommen wir noch, Geduld, unterbricht ihn seinerseits der Angeklagte. Erst will er wissen, ob der Zeuge den Gefallenen vielleicht gekannt habe, Bjelina sei ja nur einen Katzensprung von Brèko entfernt. Nein, sagt der Zeuge. Was habe der Tote außer Gewehr und Pistole sonst noch bei sich gehabt, will Miloševic wissen, ein Radio vielleicht? Nein, sagt der Zeuge, kein Radio. Der Angeklagte setzt sich die Brille auf und blättert in seiner Mappe: In der schriftlichen Aussage des Zeugen stehe, er habe im Radio auf der Wellenlänge der Serben diese rufen hören: Sumar, Sumar, wo steckst du, melde dich! Da müßte der Gefallene doch ein Radio bei sich gehabt haben. Der Tote habe aber kein Radio bei sich gehabt, wiederholt B-1448. Waffen und Dokumente habe der Zeuge im Stab seiner Brigade übergeben. Wann? Sofort, sagt der Zeuge, am 17. Mai. Er habe sich damals die Papiere nur flüchtig angesehen, liest der Angeklagte vor; sei sich der Zeuge wirklich ganz sicher, daß er jetzt dieselben Papiere vor sich habe. Ja, erwidert der Zeuge. Nach elf Jahren? wundert sich der Angeklagte. Herr Miloševic, - erklärt der Zeuge feierlich, es gibt Dinge, die sich einem ins Gehirn brennen. Dobro, stimmt der Angeklagte zu, dobro.

Könnte ihm der Zeuge erklären, warum dieser Branislav Filipovic, den Papieren zufolge, einen Pkw "Jugo" für seine Waffentransporte aus Belgrad benutzt hat, wo man doch Granaten und Minen üblicherweise in einem Lkw verfrachtet. Im Krieg wird alles benutzt, sagt der Zeuge. Ferner will der Angeklagte wissen, warum nur zwei der sechs Papiere ein Datum tragen: eine Vollmacht, ausgestellt am 7. Mai und ein Frachtbrief vom 13. Mai 1992. Keine Ahnung, es sei auch egal. Es gebe aber noch ein Datum, meint der Angeklagte, man habe es vielleicht übersehen. Wann habe der Zeuge die Dokumente beim Toten gefunden? Am 17. Mai 1992, bestätigt B-1448. Interessant, sagt der Angeklagte. In der dritten Spalte des Frachtbriefes stehe, die Anordnung zur Munitionsübergabe sei in Belgrad am 20. Juni 1992 erteilt worden. Und darunter habe Branislav Filipovic mit seiner Unterschrift den Erhalt bestätigt: am 20. April. B-1448 ist nun wirklich beleidigt: Was wolle der Angeklagte damit sagen, daß er, B-1448, nicht gefunden habe, was er gefunden hat? Tatsache ist Tatsache, sagt der Zeuge, was soll die Aufregung. Herr May, wendet sich der Miloševic an den Richter, Branislav Filipovic trägt ein Dokument bei sich, das mehr als einen Monat nach seinem Tode erstellt wurde, lesen Sie selber. Und da Sie mir nur Fragen über diese gefälschten Dokumente erlauben, habe ich keine weiteren Fragen an diesen Zeugen. Damit endete am 29. Oktober 2003 die 254. Sitzung des Haager Tribunals im Prozeß gegen Slobodan Miloševic.

Die Not des Anklägers im Jahrhundertprozeß muß groß sein. Der Zeuge B-1448 wurde del Pontes Behörde vermutlich von den muslimischen Behörden in Sarajevo zugespielt, und offensichtlich haben die Ankläger versäumt, die Papiere genauer zu studieren. Oder man hat gehofft, damit durchzukommen. Schließlich läuft man auch kein großes Risiko, denn ähnliche Peinlichkeiten mit anderen ihrer Zeugen hat die Anklage schon des öfteren ohne erkennbaren Schaden überstanden. (Daß die Öffentlichkeit wenig bis nichts davon erfährt, steht auf einem anderen Blatt.) Nicht ein einziges Mal hat der Richter bisher Unmut über diese in einem rechtsstaatlichen Verfahren unzumutbare Beweisführung der Anklage erkennen lassen.

In einem Prozeß, in dem die Grenzen zwischen Richter und Ankläger sich merklich verwischen, ist vieles möglich. So hat die Anklage aus irgendwelchen Gründen für die folgende Sitzung am 30. Oktober überhaupt keinen Zeugen mehr geladen und sich kurzerhand selbst in den Zeugenstand begeben. Graham Blewitt, Vize-Chefankläger des Haager Tribunals und Stellvertreter von Carla del Ponte, wurde zum Zeugen bestellt von Geoffrey Nice, gleichfalls Stellvertreter del Pontes und Hauptankläger im Miloševic-Prozeß. Im Hauptverhör des Anklägers Blewitt, das ihm der Ankläger Nice abnimmt, bezeugt Blewitt die Authentizität der Briefe, mit denen die Ex-Chefanklägerin des Tribunals, Louise Arbour, von März 1998 bis März 1999 den Ex-Präsidenten Jugoslawiens über die Verbrechen in Kosovo informiert habe. Der Angeklagte - das war der tiefere Sinn dieses wunderlichen Zeugenauftritts - könne sich nun nicht mehr der Verantwortung entziehen mit der Behauptung, er habe von all diesen Verbrechen nichts gewußt.

Daraufhin bekommt der Angeklagte vom Richter die Möglichkeit, ein Kreuzverhör durchzuführen, das sich ausschließlich auf die präsentierten Briefe bezieht. Da das Recht aufs Kreuzverhör nach der tribunaleigenen Verfahrensregel 92b ohnehin beschränkt ist, fragt der Angeklagte sarkastisch, ob es sich nun um ein beschränktes beschränktes Kreuzverhör handle. Richter Kwon klärt die Lage: "Herr Miloševic, besser ein beschränktes beschränktes Kreuzverhör, als gar keins." Der Angeklagte stimmt dem zu, kann aber dennoch nicht der Versuchung widerstehen, dem Zeugen immer wieder "irrelevante Fragen" zu stellen, die ihm Richter May schon mehrmals untersagt hatte. So z.B., ob der Zeuge denn wisse, daß seine Institution illegitim sei, weil der UN-Sicherheitsrat gar keine Ermächtigung habe, Tribunale einzusetzen. Auf rechtliche Fragen brauche der Zeuge nicht zu antworten, entscheidet der Richter. Ob der Zeuge denn wisse, daß gemäß mehreren Uno-Resolutionen die UCK eine terroristische Organisation gewesen sei und der jugoslawische Staat seine Bürger in Kosovo gegen den Terrorismus zu verteidigen hatte? Der Zeuge kann sich an Uno-Resolutionen mit solchem Wortlaut nicht erinnern. Dann helfe ich Ihnen, sagt der Angeklagte, und zitiert aus mehreren Resolutionen, bis ihm der Richter Einhalt gebietet. Ob der Zeuge seine Institution für objektiv halte, da sie nur die jugoslawischen Sicherheitskräfte im Kosovo, nicht aber die Terroristen verfolge, fragt der Angeklagte. Der Zeuge hält die Anklagebehörde des Tribunals für objektiv und überparteilich. Warum weigere sich dann seine Behörde, Anklage auch gegen die Nato zu erheben, oder sei die Bombardierung von Krankenhäusern und Wohnvierteln kein Verbrechen? Diese Frage wird Richter May zuviel, und er stoppt das Kreuzverhör mit dem bemerkenswerten Satz: "You will ask the questions that we order you to ask or else you won´t be able to ask any questions at all."

Germinal Civikov
Aus: konkret, Heft 1, Januar 2004


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