Anwälte der Anklage
Zeuge Nr. 262 im Prozess gegen Slobodan Miloevic war Lord David Owen. Sein Auftritt belastet das Gericht und die Berichterstatter schwer.
Anfang November 2003 trat im Prozeß gegen den jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Miloevic der frühere britische Außenminister David Owen als Zeuge auf. Das Berner Tageblatt "Der Bund" referierte über Owens Aussage:
"Er (Miloevic) war kein fundamentalistischer Rassist, er wollte aber die Mehrheit für die Serben in Bosnien-Herzegowina", schilderte er den Ex-Präsidenten. Er habe nicht alle Muslime aus den serbischen Gebieten vertreiben wollen. Dagegen habe er Miloevics Frau als ethnische Puristin kennen gelernt, sagte Owen.
Tags darauf berichtet die "Neue Zürcher Zeitung" unter dem Titel "David Owen als Zeuge im Miloevic-Prozess - Schwere Vorwürfe an den Förderer der bosnischen Serben":
Er glaube nicht, so Owen, daß es sich bei Miloevic um einen fundamentalistischen Rassisten handle. Dies übrigens im Unterschied zu dessen Ehefrau, die er als Befürworterin ethnischer "Reinheit" kennen gelernt habe.
Was David Owen tatsächlich gesagt hat, steht im Protokoll und geht so:
Owen: Zweifellos ist Miloevic kein fundamentaler Rassist. Ich denke, er ist ein Nationalist, aber auch das nur sehr am Rande. Ich denke, er ist Pragmatiker. Tatsache ist, daß Muslime in Serben gelebt haben und leben. Es gibt Regionen in Serbien, in denen viele Muslime leben - wenn wir einmal vom Kosovo und vom Sandzak absehen. Auch in Belgrad selber gibt es eine große Zahl von Muslimen, die da immer gelebt haben. Ich glaube, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß es alte kommunistische Jugoslawen gibt, die dem ethnischen Nationalismus sehr entschieden widersprechen und daß manche Kommunisten den Nationalisten opponiert haben, ganz gewiß einigen ihrer ethnisch-rassistischen Haltungen, und zu denen würde ich auch Präsident Miloevics Frau zählen, und ich würde ihn dazu zählen ...
Ob die Korrespondenten nicht richtig hingehört haben? Oder wollten sie aus Owens etwas undeutlicher Artikulation das heraushören, was sie schon zu wissen glaubten? Sie wußten, daß die Behauptung, Miloevic sei ein großserbischer Nationalist oder gar Rassist nach zwei Jahren Prozeß nicht mehr seriös vertretbar ist. Nun auch noch über die berüchtigte Mira Markovic zu erfahren, daß sie ethnische Säuberungen verabscheut habe, war den Korrespondenten wohl einfach eine Zumutung zuviel. Aber nicht die einzige. Als Owen vor Gericht sagte:
Einmal, denke ich, hielt Karadzic sich für den König der Serben, ein andermal wurde Mladic ein sehr mächtiger Serbe, mit dem Präsident Miloevic sogar in Belgrad zu rechnen hatte ...
reichte es dem Korrespondenten der hochseriösen "NZZ" endgültig. In seinem Bericht ließ er Owen sagen:
Für den früheren Chef der bosnischen Serben, Karadzic, sei Miloevic ein König gewesen". Gesagt hatte Owen das Gegenteil, nämlich daß Karadzic sich selber als König der Serben gesehen habe...
Der Auslöser des blutigen Zerfalls Jugoslawiens war, einer schon in den frühen 90er Jahren gefestigten öffentlichen Meinung zufolge, der großserbische Nationalismus, betrieben von Slobodan Miloevic. Führende westliche Politiker und Medien waren aus unterschiedlichen Interessen und Beweggründen an der Erzeugung dieses Bildes beteiligt. Es liegt auch der Anklage gegen Slobodan Miloevic zugrunde. Weil nun die Anklage offensichtlich große Probleme mit ihren Zeugen hat und die Beweisführung in den Kreuzverhören des Angeklagten immer wieder in sich zusammenbricht, haben die journalistischen Erfinder des "ethnischen Säuberers" Miloevic größte Mühe, um die Fiaskos der Anklage mit ihren Zeugen herumzudichten. Wer die Unwahrheit beweisen will, braucht Zeugen, die lügen, und auch da macht es erst die Masse. 270 Zeugen hat die Anklage aufgeboten, einer nach dem andern flog als Lügner auf. Von ihren Auftritten, die oft auch sehr amüsant verlaufen, berichten die Medien so gut wie nichts. Und wenn sie einmal berichten, dann so objektiv wie einst über die Kriege in Ex-Jugoslawien.
Lord Owen war der 262. Zeuge in diesem Prozeß. Das Gericht, nicht die Anklage, hatte ihn geladen. Aus seinem Buch Balkan Odyssey, in dem der ehemalige britische Außenminister seine Erfahrungen als EU-Beobachter im zerfallenden Jugoslawien und das Scheitern des Vance-Owen-Friedensplanes festgehalten hatte, wußten die Ankläger, daß er ein gefährlicher Zeuge werden konnte. So beschreibt Owen die Anerkennung von Slowenien, Kroatien und Bosnien durch die EU als schweren Fehler, er charakterisiert die jugoslawischen Kriege als Bürgerkriege und nicht als serbische Aggression, die bosnischen Muslime sind in seinen Augen keineswegs nur Opfer und den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman hält er für weit schlimmer als Miloevic.
Dennoch machte der Hauptankläger Nice den Versuch, den Zeugen Owen alles bestätigen zu lassen, was die Anklage Miloevic vorwirft. Mit sehr mäßigem Erfolg. Owen glaubt zwar, daß Miloevic trotz des Embargos die bosnischen Serben mit Brennstoff und anderen Gütern beliefert habe, hob aber ausdrücklich hervor, daß er keine Beweise dafür habe und daher nur seine Vermutung ausspreche. Als unerwünschtes Nebenergebnis bringt die Befragung Owens Behauptung, daß die bosnischen Serben aus der Republik Kroatien reichlich Brennstoff bezogen hätten, und daß Miloevic als Präsident der Teilrepublik Serbien zwar die Polizei kontrollierte, keineswegs aber auch die jugoslawischen Streitkräfte.
Besondere Mühe gab sich Nice, den prominenten Zeugen bestätigen zu lassen, daß Miloevic in seinen Friedensbemühungen nicht aufrichtig gewesen sei. Ob es denn nicht sein eigentliches Ziel gewesen sei, durch eine Friedensregelung die Eroberungen der bosnischen Serben politisch festzuschreiben, um später doch noch ein ethnisch gereinigtes Großserbien zu schaffen? Nein, sagt Owen, Miloevic habe nicht zu denen gehörte, die die Muslime aus der Repulika Srbska vertreiben wollten. Wenn mit Fakten schon nichts ist, wie wär´s mit ein bischen Stimmung?:
Nice: Die Bewohner von Srebrenica und all der anderen Sicherheitszonen waren völlig unschuldige Individuen, richtig?
Owen: Wie bitte?
Nice: Die Bewohner von Srebrenica waren Gefangene nur durch die Macht der Umstände. Sie hatten nichts getan, womit sie die Katastrophe, die ihnen widerfuhr, verdient hätten.
Owen: Ich denke, das ist ein kühner Schluß. Das sind Ihre Worte. Das sind nicht Worte, die ich benutzen würde.
Nice: Nun gut. Waren die Zivilisten an irgend etwas von dem, was ihnen geschah, schuld?
Owen: Es ist nicht meine Aufgabe, Schuld zuzuweisen, aber der gesunde Menschenverstand sagt mir, daß man einen Fehler macht, wenn man glaubt, in Nachbarschaftskriegen wie diesen sei eine Seite völlig unschuldig und die andere vollständig übel.
Will man den Zeitungsberichten glauben, erzielte die Anklage allerdings einen wichtigen Erfolg mit Owens Aussage, Miloevic habe seine Macht über die bosnischen und kroatischen Serben nicht ausreichend benutzt, um ihnen Einhalt zu gebieten. Miloevic sei imstande gewesen, so Owen in seinem Buch und vor den Richtern, solchen Druck auf die bosnischen Serben auszuüben, daß er den Frieden in Bosnien hätte erzwingen und die Beschießung von Sarajewo wie auch die ethnischen Säuberungen hätte verhindern können. "Ich glaube", sagt Owen wiederholt, "er hatte diese Macht." Für die meisten Zeitungsberichte das Wichtigste und manchmal auch das Einzige, was Owen im Zeugenstand zu sagen hatte:
"Miloevic in der Enge. Der frühere Serbenführer wird vor dem UN-Tribunal erneut belastet" titelte die "Süddeutsche Zeitung", die aus Owens "Ich glaube" einen Beweis dafür macht, "daß die Schuld für die Gräueltaten in Bosnien auch im Präsidentenpalast zu Belgrad zu finden war." Daß erst der 262 Zeugen diesen Beweis erbringen sollte, stört die Zeitung nicht: Der Prozeß, so ihr Berichterstatter, verlaufe bisher schlecht für den Angeklagten. Nur zwei Zeugenauftritte seien "nach hinten losgegangen", aber zehn Zeugen hätten Miloevic schwer belastet. Und was ist mit den restlichen 250 Zeugen der Anklage? Haben möglicherweise doppelt soviel den Angeklagten schwer entlastet?
Immerhin warnt der Korrespondent der "Süddeutschen" am Ende seines Beitrags, beim Kreuzverhör dieses wichtigen Zeugen am nächsten Tag "könnten für die Nato unangenehme Dinge zur Sprache kommen". Er wird recht behalten. Aber er wird nicht darüber berichten.
Im Kreuzverhör nämlich erwies sich, daß die Möglichkeiten des Angeklagten, auf die Führung der bosnischen Serben Einfluß zu nehmen, doch eher gering waren. Nach dem Embargo gegen Pale wäre nur noch der Einsatz der jugoslawischen Streitkräfte als Machtmittel zur Durchsetzung des Vance-Owen-Friedensplans übrig geblieben. Abgesehen davon, daß Miloevic als serbischer Präsident nicht Herr der jugoslawischen Streitkräfte war, mußte Owen im Kreuzverhör einräumen, daß kein jugoslawischer Politiker sich hätte erlauben können, die Streitkräfte gegen die bosnischen Serben einzusetzen.
Schließlich brach den Anklägern noch ihr bis dahin einziger kleiner Erfolg weg, als Miloevic Owen ins Kreuverhör nahm:
Miloevic: Der Vance-Owen-Plan war zuerst von den Amerikanern aufgegeben worden oder vielmehr: sie haben ihn nicht einmal unterstützt, sie wollten ihn nicht unterstützen. Stimmt das nicht? Sie ließen die Serben wissen, daß sie den Plan nicht für gut hielten. Und wir in Belgrad kamen uns vor wie Don Quixote, der einen Plan verteidigte, der von der Staatengemeinschaft und der größten Weltmacht längst ausgehölt worden war. Stimmt das oder nicht?
Owen: Da ist sehr viel Wahres dran.
Was ist danach Owens Aussage, er glaube, Miloevic hätte diese Friedensregelung durchsetzen können, noch wert? Im abschließenden Verhör des Zeugen durch den "amicus curiae" Steven Kay kamen schließlich die politischen Risiken zur Sprache, die Miloevic bei seiner Konfrontation mit der nationalistischen Opposition im Lande eingegangen war. Kein Zeitungsbericht hat aber dieses bemerkenswerte und für die Anklage verheerende Gespräch zwischen einem britischen Rechtsgelehrten und einem britischen Diplomaten auch nur erwähnt.
Stattdessen informierten die meisten Zeitungen die Öffentlichkeit mit Titeln wie " Miloevic ...could have stopped ethnic cleansing" ("The Independent"), "Miloevic could have enforced Bosnian peace" ("Financial Times"), "Miloevic had power to end war" ("The Telegraph"), "Power To Stop War Was In Miloevic´s Hands" ("UN Wire/National Journal"), "Miloevic had power to stop Serb´s ethnic cleansing" ("The Scotsman"), "Owen rails at Miloevic over failure to sway Serbs" ("Guardian"). Als ein besonders ehrgeiziger journalistischer Anwalt der Anklage profilierte sich Toby Sterling von Associated Press. Sein Bericht, von unzähligen Zeitungen in aller Welt übernommen, konstruiert aus einer Aussage Owens die Behauptung, Miloevic habe den Massenmord in Srebrenica schon zwei Jahre vorher antizipiert und trotzdem nichts unternommen, ihn zu verhindern.
In seinem Buch hatte Owen geschrieben, Miloevic habe ihn 1993 in einem Telefongespräch gewarnt, es könne ein Blutbad in Srebrenica geben, sollten die bosnischen Serben diese muslimische Enklave einnehmen. Miloevic habe seine Befürchtungen mit dem "bösen Blut" begründet, das die muslimischen Morde und Plünderungen in den serbischen Dörfern um Srebrenica bei den bosnischen Serben dort gemacht habe. Der Ankläger Nice hatte diese Stelle verlesen und den Zeugen gebeten, sie zu bestätigen. Es ist das einzige Beweisstück der Anklage, das Miloevic in irgendeinen Zusammenhang mit Srebrenica bringt. Aber was tut man nicht alles, wenn man dafür bezahlt wird. Und wenn man Tintenkulis hat wie den AP-Korrespondenten Toby Sterling, der das Beutestück unter dem Titel "Miloevic Foresaw Massacre" in die Welt schickt.
Germinal Civikov
Aus: konkret, Heft 12, Dezember 2003