Zu Protokoll

Milosevic nimmt Markovic ins Kreuzverhör

Mit dem Prozeß gegen Slobodan Milosevic geht es wie mit Dow Jones und Dax: Immer mal wieder werden neue Tiefststände gemeldet - jedenfalls für diejenigen, die in das Den Haager Jugoslawien-Tribunal investiert haben.

Mittlerweile gibt es ernstzunehmende Insider-Meldungen, daß Chef-Anklägerin Carla del Ponte das sinkende Schiff verlassen und sich einen neuen Job suchen will. Anlaß für ihre Frustration könnte der 26. Juli gewesen sein: Am letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause sollte nach vielen Flops endlich ein ernsthafter Schlag gegen den Angeklagten geführt werden. Die Anklage hatte einen hochkarätigen Zeugen geladen, den früheren Chef der jugoslawischen Staatssicherheit, Rade Markovic. Markovic war im März 2001 verhaftet und seither für den Prozeß präpariert worden. Dem Gericht lag eine schriftliche Aussage Markovics vor, in der er den früheren jugoslawischen Präsidenten beschuldigte, die planmäßige Vertreibung der Kosovo-Albaner angeordnet zu haben. Milosevic nahm den Zeugen ins Kreuzverhör

Milosevic: ... Du hast unzählige Berichte, die von Angehörigen aller Ebenen der Staatsicherheit angefertigt ... und in die Zentrale geleitet wurden, gelesen. Ist es so?

Markovic: So ist es.

Milosevic: ... Bekamst du irgendeinen Bericht oder irgendwann den Befehl, die Albaner mittels Gewaltanwendung aus dem Kosovo zu vertreiben?

Markovic: Nein, so einen Bericht habe ich weder bekommen noch darüber etwas gehört ...

Milosevic: Hast du irgendwelche Informationen bekommen, die auf die Existenz so eines Befehls, eines Plans, einer Anordnung hinweisen könnten, oder daß irgendwie suggeriert wurde, die Albaner gewaltsam zu vertreiben?

Markovic: Nein, ich habe niemals so eine Information bekommen, es gab keine Andeutungen, ich kenne keinen Plan, die Albaner zu vertreiben.

Milosevic: Du hast an Sitzungen teilgenommen, und zwar nicht nur auf der Ebene des Innenministeriums und anderer Ministerien und der Armee, sondern auch an Sitzungen bei mir. Erinnerst du dich, daß auf diesen Sitzungen gerade das Gegenteil angeordnet wurde, nämlich der Schutz der Zivilisten während unserer Aktionen gegen die Terroristen?

Markovic: Natürlich. Verpflichtend war nicht nur der Schutz der serbischen, sondern auch der albanischen Bevölkerung. Die Angehörigen der Sonderpolizei (Mup) hatten die Aufgabe, die einen wie die anderen zu schützen ...

Milosevic: Hast du irgendwann einmal gehört, daß irgend jemand bei der Polizei oder dem Militär die Vertreibung oder nationalistische Diskriminierung von Zivilisten befohlen, angestiftet, geplant oder nahegelegt hat?

Markovic: Nein, so etwas habe ich niemals gehört ...

Milosevic: Lag dir im hier behandelten Zeitraum irgendein Bericht darüber vor, daß Angehörige der Staatssicherheit oder der Sicherheitsorgane irgendwelche Kriegsverbrechen im Rahmen eines Planes begangen haben, den die Staatssicherheit, die Polizei oder die Sicherheitsorgane ... konzipiert hatten?

Markovic: Nein. Kein Verbrechen. Ich bekam keinerlei Informationen über solche Kriegsverbrechen. Im Kosovo haben einzelne Militär- oder Polizeiangehörige Straftaten verübt. Die uns bekannt gewordene Vorfälle wurden gemäß der Vorschriften geahndet und vor Gericht verhandelt. Und dazu wurde gestern hier ein Dokument (der Armee; Anm. KONKRET) vorgelegt, in dem in Punkt 8 steht, daß man alle Straftäter identifizieren muß ...

Milosevic: ... Kannst du dich an Befehle aus dem Oberkommando erinnern, die durch alle Kommandoebenen zirkulierten ... , in denen verlangt wurde, die Kriegsgefangenen in Einklang mit den Bestimmungen und Richtlinien des internationalen humanitären Rechts, des Kriegsrechts und der Genfer Konvention zu behandeln? ...

Markovic: Ja ...

Milosevic: Kannst du dich ... an die Sonderbefehle des Oberkommandos erinnern, in denen Brandschatzungen albanischer Häuser und Entwendung des persönlichen Eigentums von Albanern verboten wird?

Markovic: Das wurde mehrfach befohlen, und auf das Verbot der Brandschatzung und der Plünderung haben Sie, Vertreter des Innenministeriums und Vertreter des Militärs insistiert ...

Milosevic: ... Ist es richtig, daß man dich verhaftet hat, um Druck auf dich auszuüben, damit man mich anklagen kann?

Markovic: Ja, deswegen haben sie mich verhaftet.

Milosevic: Hier steht, was du gegenüber den Untersuchungskommissionen der (jugoslawischen; Anm. KONKRET) Bundesregierung ausgesagt hast: "Sie verlangten von mir, Slobodan Milosevic zu belasten, und sie verlangten, daß ich Straftaten zugebe und dazu aussage, sie seien mir von Milosevic befohlen worden." Ist das so?

Markovic: Ja, so ist es. Mir ist gesagt worden, daß ich persönlich in diesem Falle nicht zur Rechenschaft gezogen werden würde, sondern daß ich frei in ein Land meiner Wahl ausreisen könnte und eine neue Identität bekäme ...

Milosevic: ... Vom Ende deines Studiums bis zu deiner Verhaftung hast du bei der Polizei gearbeitet. Ist es richtig, daß ein Untersuchungshäftling ausschließlich in der Obhut des Gerichts sein darf und nicht in der der Polizei?

Markovic: Nach unserer Strafprozeßordnung befindet sich ein Gefangener ausschließlich in der Obhut des Gerichtes ...

Milosevic: Ist es richtig, daß im Gefängnis sogar die Wärter keine Angehörige des Innenministeriums, sondern Angehörige des Justizministeriums sind, also nach der staatlichen Gewaltenteilung der Judikative unterstehen?

Markovic: Die Wärter im Gefängnis unterstehen dem Justizministerium.

Milosevic: Ist es richtig, daß dich Angehörige der Staatssicherheit illegal und ohne Genehmigung des Gerichts aus dem Gefängnis geholt haben, um auf dich Druck auszuüben ...?

Markovic: Die Angehörigen der Staatssicherheit hatten keine Genehmigung des Untersuchungsrichters, mich hinauszubringen. Sie hatten nur eine Genehmigung, mit mir innerhalb des Gefängnisses zu sprechen.

Milosevic: Ist es auch richtig, daß man dich nach einem Monat U-Haft zu einem Gespräch, an dem auch Innenminister Mihajlovic beteiligt war, hinausbrachte ...?

Markovic: Zum ersten Mal sprachen sie nach einem Monat Gefängnis mit mir. In den folgenden Monaten sprachen sie mehrmals mit mir. Ich habe buchstäblich meine Dienstübergabe im Gefängnis gemacht ... Nach vier Monaten Gefängnis brachten sie mich hinaus, zu einem Treffen mit Petrovic, dem Chef der Staatssicherheit, seinem Vertreter Zoran Mijatovic und mit Innenminister Mihajlovic. Das haben sie selber zugegeben, allerdings behaupteten sie, sie hätten damit einem Antrag von mir entsprochen.

Milosevic: Ist es auf deinen Antrag hin geschehen?

Markovic: Wenn es sich um einen von mir gestellten Antrag gehandelt hätte, hätten sie auch eine Genehmigung des Untersuchungsrichters vorlegen müssen, und sie hätten mich nicht zum Abendessen ausgeführt.

Milosevic: Ist es richtig, daß sie dir ... angeboten haben, daß du nur sechs Monate Gefängnis bekommst, wenn du bereit bist, mich fälschlich zu belasten? ...

Markovic: Sie sprachen über meine schwere Lage und machten mich auf alle möglichen weiteren Konsequenzen aufmerksam. Dann boten sie mir als Alternative an, Milosevic als Auftraggeber der Verbrechen zu beschuldigen, dadurch werde meine Verantwortung getilgt.

Milosevic: Ist es weiterhin richtig, daß sie dir auch eine neue Identität, die Ausreise in ein anderes Land und lebenslange finanzielle Unterstützung für dich und deine Familie angeboten haben, wenn du mich fälschlich beschuldigst? ...

Markovic: Ja, das ist richtig.

Milosevic: Ist dir auch bekannt, daß die UN-Generalversammlung im Jahr 1988 eine Erklärung gegen Folter verabschiedet hat, wonach ein solches Verhalten wie dir gegenüber, also Gefangene durch Drohungen und Erpressung zu Aussagen zu zwingen, ausdrücklich verboten ist? Ist dir bekannt ...

(Richter Richard May schaltet Milosevic das Mikrofon ab)

May: ... das ist nicht relevant für diesen Zeugen in diesem Verhör. ... Wir werden uns hier nicht darüber unterhalten, was in Jugoslawien in der Zeit seiner Verhaftung geschah. Wie Sie wissen, interessiert uns, was im Kosovo passiert ist.

Milosevic: Herr May, das Verhalten des Marionetten-Regimes in Belgrad ist vollkommen identisch mit der falschen Anklage, die ...

May: Genau das wollen wir hier nicht behandeln ...

Milosevic: Ich habe sehr viele Fragen zu stellen.

May: Bitte, Herr Milosevic, gehen Sie zu einem anderen Thema über ...

(Milosevic befragt Markovic zu dessen schriftlicher Aussage, wonach Milosevic auf einer Sitzung während des Krieges die Beseitigung von Albaner-Leichen aus dem Kosovo und ihre Verbringung nach Zentralserbien befohle habe.)

Milosevic: ... Ist es richtig, daß deine hier vorliegende Aussage von genau den Leuten vorgelegt wurde, die dich schon seit eineinhalb Jahren traktieren?

Markovic: Ja, das war ein Gespräch mit diesen Leuten ...

Milosevic: ... Habe ich in dieser Sitzung in irgendeiner Form darüber gesprochen, Beweise über irgendein Verbrechen zu beseitigen?

Markovic: Nein, Sie haben nur die Assanierung genehmigt. (Das serbische Wort asanacija, das Markovic hier verwendet, entspricht dem deutschen Fremdwort Assanierung, das dem Nomen Sanierung verwandt ist und laut Lexikon von dem Verb assanieren = "gesund machen, hygienisch verbessern" stammt; Anm. d. Ü.)

Milosevic: Versteht man unter Assanierung ... Minenräumung, Beseitigung giftiger Chemikalien, Versorgung von Verwundeten und Gefallenen, Instandsetzung von Wasserinstallation, Stromversorgung und Infrastruktur sowie überhaupt von allem, was nach dem Ende der Kampfhandlungen ein normales Leben ermöglichen kann? Stimmt das, oder stimmt das nicht?

Markovic: Ja, das versteht man unter Assanierung.

Milosevic: Benutzte irgend jemand in der Sitzung das Wort Assanierung im Sinne der Vertuschung von irgendwelchen Verbrechen? Sprach überhaupt jemand über Verbrechen und über deren Vertuschung?

Markovic: Nein, niemand ...

Milosevic: Wann hast du zum ersten Mal über den angeblichen Transport von Leichen nach Zentralserbien gehört?

Markovic: Das habe ich zum ersten Mal im Gefängnis gehört ...

Übersetzung aus dem Serbokroatischen:
Biljana van der Loo
Aus: konkret, Heft 09, September 2002


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