Quislinge in Belgrad

An der Ermordung des serbischen Premiers Zoran Djindjic sollen die Gegner des Haager Tribunals schuld sein, meinen Djindjics Erbschleicher

Lügen werden zur Rechtfertigung von Kriegen immer gebraucht – beim Krieg gegen den Irak nicht anders als bei der Zerstörung Jugoslawiens. Doch während im ersten Fall inzwischen selbst die harmlosesten Provinzgazetten höhnen »USA suchen ihren Kriegsgrund«, hat auch vier Jahre nach der NATO-Aggression gegen Jugoslawien kein Abrücken von der damaligen Propagandalinie eingesetzt. »Der Serbe ist schuld« bleibt die nicht durch Fakten untermauerte, aber umso tiefer sitzende Gewißheit. »Der Serbe« wird dabei personifiziert vom jahrelang dämonisierten Slobodan Milosevic, und in Den Haag wird die Kriegsschuldlüge gerichtsnotorisch.

Die Belgrader Behörden helfen den Haager Tribunalisten in jeder Hinsicht. So brachten sie den Angeklagten in Verbindung mit der Ermordung des serbischen Premierministers Zoran Djindjic am 11. März und nutzten die Bluttat zur Kriminalisierung seiner Familie und zur Erschwernis seiner Verteidigung. Keinen Gedanken ließen sie daran aufkommen, daß die Verantwortlichen des Attentats aus Djindjics eigenem Mafia-Milieu kommen könnten. Dabei hat der Ermordete selbst eingeräumt, daß er der hauptverdächtigen Mördertruppe, den Roten Baretten, »eine gewisse Sympathie und Achtung« entgegenbringe, weil diese »schließlich Milosevic im März auch verhaftet und ausgeliefert habe« (Frankfurter Neue Presse, 1. 12. 2001).

Die direkten Kontakte Djindjics zum angeblichen »Drahtzieher des Attentats« Milorad »Legija« Lukovic, dem Kommandeur der Roten Barette, bei der Vorbereitung der staatsstreichartigen Entmachtung Milosevics am 5. Oktober 2000 sind mittlerweile selbst in hiesigen Medien nachzulesen. Der Belgrader Sender B 92 vermeldete am 19. Mai dieses Jahres darüber hinaus das Eingeständnis des serbischen Vizepremiers Nebojsa Covic, daß sowohl Legija wie die »auf der Flucht erschossenen« Hauptmordverdächtigen Dusan Spasojevic und Mile Lukovic an der gesetzwidrigen Verhaftung Milosevics am 1. April 2001 beteiligt waren. Doch nach dem Motto »Haltet den Dieb!« soll ausgerechnet Milosevic die politische Verantwortung für den Djindjic-Mord angehängt werden. Die Gelegenheit schien günstig, die gesamte politische Opposition zu kriminalisieren. Während des Ausnahmezustands nach dem 11. März wurden über 10000 Menschen festgenommen, über 3000 blieben in Haft. In Deutschland mit seiner zehnfach größeren Bevölkerung wären das über 100000 Festgenommene, über 30000 Gefangene gewesen. Dafür hätte man hierzulande schon das eine oder andere KZ wieder in Betrieb nehmen müssen.

Laut Eigenlob der serbischen Regierung hat diese Repressionswelle »dem von Milosevic aufgebauten Machtapparat den Todesstoß versetzt und die Verquickung von Politik, Geheimdienst und Kriminellen zerschlagen«. Der Djindjic-Nachfolger Zivkovic sah »einzelne Mitglieder aus einigen Parteien, die sich zu den >patriotischen Kräften< im Lande zählten, in den Mord verwickelt«. »Polizeierkenntnisse« wurden zitiert, nach denen hinter dem Attentat »Gegner der Zusammenarbeit mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal« stehen sollen. Von einem »Verschwörernetz« wurde berichtet, das »während des serbischen Präsidentenwahlkampfes im Herbst 2002 dem serbischen Ultranationalist Vojislav Seselj logistische Hilfe« geleistet habe. Da Slobodan Milosevic dessen Kandidatur für die Volkseinheit gegen die NATO politisch unterstützte, ist auch hier die Botschaft klar: Milosevic = Seselj = patriotische Kräfte = Gegner des Haager Tribunals = Mörder von Djindjic.

Schluß mit der antiwestlichen Stimmung, verlangen die NATO-Paten der neuen Regierung, und dazu bot der 24. März, Jahrestag des Überfalls auf Jugoslawien, eine tolle Gelegenheit. Seit 1999 ein Tag öffentlicher Protestdemonstrationen, wurden 2003 im Zeichen des Ausnahmezustands alle Veranstaltungen verboten. Fast alle, bis auf eine: Im Belgrader Parlament tagte – die Parlamentarische Versammlung der NATO! Und könnte es zu diesem Anlaß eine würdigere Festrednerin geben als die Haager Chefanklägerin Carla del Ponte? Zum Jahrestag der NATO-Aggression hat nur der Aggressor das Recht der öffentlichen freien Rede!

Voll Genugtuung titelten deutsche Zeitungen nach dem Djindjic-Mord »Familie Milosevic rückt ins Visier« (Kölner Stadtanzeiger, 1. April). In Belgrad wurden Bogoljub Bjelica und weitere Mitglieder von SLOBODA, der Vereinigung für die Verteidigung von Slobodan Milosevic, verhaftet. Gegen Milosevics Ehefrau Mira Markovic wurde ein Internationaler Haftbefehl erlassen, um Besuche im Scheveninger Gefängnis unmöglich zu machen. Die Medienbehauptung, sie würde im Zusammenhang mit der Ermordung des Oppositionspolitikers Ivan Stambolic gesucht, war aber nur zur Verdummung der Öffentlichkeit bestimmt. Tatsächlich stützt sich der Internationale Haftbefehl auf den sagenhaften Vorwurf, Frau Markovic habe der Babysitterin ihres Enkels durch »Beziehungen« eine Wohnung verschafft! Da wird doch jeder Kabarettist ein Fall fürs Arbeitsamt.

Milosevic sieht die Kriminalisierung seiner Frau in einem Zusammenhang: »Der unmittelbare Einfluß liegt in der Absicht, meine Frau daran zu hindern, mir Hilfe und Beistand zu leisten.« Flankierend hat der Ministerrat der Europäischen Union am 14. April ein Ein- und Durchreiseverbot für Personen beschlossen, die dem ehemaligen jugoslawischen Präsidenten in seinem Verfahren Unterstützung leisten wollen. Der Angeklagte soll offensichtlich isoliert werden.

Wie sehr die Entwicklung in Serbien im Sinne des Tribunals ist, zeigt der Haager Beschluß, der Anklage 100 Verhandlungstage zusätzlich zur Zeugenvernehmung zu gewähren, »da die politischen Umstände in Serbien Einfluß auf die Aussagebereitschaft bestimmter Leute haben«. Vielleicht ist ja jemand darunter, der den ersten Beweis für die Anklage vorlegt?

Klaus HartmannBeilage "SLOBODA" der Tageszeitung
junge Welt vom 18. Juni 2003

Klaus Hartmann ist Vizepräsident des Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic


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