Macht triumphiert über Gerechtigkeit
Internationaler Künstlerappell für die Unterstützung des jugoslawischen Expräsidenten Slobodan Milosevic
Ende April haben sich international renommierte Künstler mit einem Appell für die Unterstützung des »Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic« an die Öffentlichkeit gewandt. junge Welt dokumentiert Auszüge:
Seit nunmehr zwei Jahren steht Slobodan Milosevic vor dem Internationalen Jugoslawien-Tribunal (ICTY) einer Institution des UNO-Sicherheitsrats mit zweifelhafter Legalität , in 66 Punkten Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Völkermords angeklagt. Über 500 000 Seiten Unterlagen und 5 000 Videokassetten wurden von der Anklage als Beweismittel eingebracht. Es gab fast 300 Verhandlungstage. Über 300 Zeugen haben ausgesagt. Die Mitschriften des Prozesses füllen etwa 33 000 Seiten. Trotz all dieser Zeit und Mühen ist es der Anklagebehörde nicht gelungen, signifikante oder überzeugende Beweise für eine kriminelle Handlung oder Absicht von Präsident Milosevic vorzulegen.
Tatsächlich hat sich herausgestellt, daß einige Zeugen der Anklage gezwungen wurden, unter Eid zu lügen, andere haben Meineid geleistet. Der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark konnte in Verletzung der Prinzipien eines öffentlichen Prozesses in einer geschlossenen Sitzung aussagen. Zugleich wurde Washington erlaubt, alle Stellen seiner Aussage, die sich gegen das nationale Interesse der USA richteten, aus dem öffentlich zugänglichen Protokoll streichen zu lassen.
Präsident Milosevic wurde bereits während des 78tägigen Dauerbombardements Jugoslawiens angeklagt. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die von den USA geführten NATO-Streitkräfte Splitterbomben und Munition mit abgereichertem Uran gegen Jugoslawien einsetzten, sie versuchten, Milosevic durch die Bombardierung seines Hauses zu ermorden, sie Tausende Zivilisten töteten und dem Land und seiner Infrastruktur einen schweren Schaden zufügten. Dieser illegale Akt des nicht erklärten Krieges stellt eine klare Verletzung des NATO-Statuts, der UNO-Charta und des internationalen Rechts dar. Trotzdem wurden weder Wesley Clark noch die Staatsspitzen der NATO-Mitgliedsländer für Verbrechen angeklagt, wie sie Slobodan Milosevic zur Last gelegt werden.
Im Prozeß gegen Slobodan Milosevic vor dem ICTY werden, wie eine große und wachsende Zahl internationaler Juristen öffentlich bekundet, die Prinzipien von Gerechtigkeit nicht gewahrt, noch nicht einmal deren Anschein. Nach Ansicht des ehemaligen US-Justizminister Ramsey Clark wird das Spektakel durch den Geist des Unfairen, der Verfolgung charakterisiert. Der gewaltige Angriff der riesigen Anklagebehörde, ausgestattet mit enormen Ressourcen, richtet sich auf einen einzigen Mann, der sich abgeschnitten von effizienter Hilfe selbst verteidigt, seine Unterstützer überall attackiert sieht und dessen Gesundheit gefährlich angegriffen ist. Und nun, nachdem der vorsitzende Richter Richard May aus unbestimmten gesundheitlichen Gründen zurückgetreten ist, wird der Prozeß weitergehen, obwohl es unmöglich scheint, daß ein neuer Richter in der Lage sein wird, sich mit den Bergen der bisher präsentierten Unterlagen vertraut zu machen.
Wenn Rechtssprechung nicht gerecht ist, wenn Anklage Verfolgung darstellt, wenn internationales Recht mißbraucht wird, um eine Verurteilung zu erzwingen, dann leben wir heute in der Tat in George Orwells Welt von »1984«. Die Auswirkungen dieser unglaublichen Machtpolitik gehen weit über den unfairen Prozeß gegen Slobodan Milosevic hinaus: Die errichtete neue Weltordnung ist schlicht unmenschlich und nicht zu tolerieren. Wie kann man gegen diese grausamen und kriminellen Machenschaften vorgehen?
Erinnern wir uns, daß es noch nicht lange her ist, als weltweit 15 Millionen Menschen am gleichen Tag als Zeichen internationaler Solidarität marschierten, um nein zum illegalen Krieg von Bush und seiner Junta gegen den Irak zu sagen. Jetzt ist es an der Zeit für eine andere dieser Gesten. Wenn dieser Prozeß fortgesetzt wird, triumphiert Macht über Prinzipien, Desinformation über Wahrheit.
Als Künstler ist es unsere Aufgabe, unseren Horizont zu vergrößern, für Menschlichkeit einzutreten. Zerstörung können wir nicht tolerieren. Es ist nicht zu akzeptieren, daß Gerichte dazu benutzt werden, die Tötung von Zivilisten, die Zerstörung eines souveränen Staates und die Dämonisierung und Inhaftierung des führenden Vertreters dieser Nation zu rechtfertigen. Jetzt ist die Zeit gekommen, um uns Gehör zu verschaffen, um diese Ungerechtigkeit öffentlich anzuprangern. Wir bitten Sie dringend darum, die Arbeit des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic zu unterstützen.
Erstunterzeichner: Dimitri Analis (Griechenland/Frankreich), Rolf Becker (Schauspieler, Hamburg/BRD), Mick Collins (USA/Frankreich), Robert Dickson (Kanada), Valery Ganichev (Rußland), John Goodrich (USA), Fulvio Grimaldi (Italien), Peter Handke (Österreich/Frankreich), Vyacheslav Klykov (Rußland), Vladimir Kostrov (Rußland), Harold Pinter (Großbritannien), Milos Raickovich (USA/Jugoslawien), Valentin Rasputin (Rußland), John Steppling (USA/Polen), Nadja Tesich (USA/Jugoslawien), Alexander Zinoviev (Rußland)
Übersetzung und Bearbeitung: Cathrin Schütz
junge Welt vom 05.05.2004