Interview

Milosevic in Den Haag: Ist das Verfahren legitim?

junge Welt sprach mit Hans-Eberhard Schultz. Er ist Autor des Buches »Zehn Jahre grenzüberschreitende Kurdenverfolgung. Bausteine für eine Menschenrechtschronik«, erschienen im GNN-Verlag. Der Rechtsanwalt für Menschenrechte besuchte den Prozeß gegen Slobodan Milosevic als Beobachter

F: Der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic ist am gestrigen Montag zum dritten Mal vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag geladen worden. Wie verlief die Sitzung?

Zunächst einmal haben drei Anwälte gesprochen. Das waren keine Verteidiger, sondern sogenannte »amici curiae«, eine juristische Einrichtung, die es in unserem kontinental-europäischen Strafrecht nicht gibt. Die drei bekannten Rechtsanwälte und Strafverteidiger aus den Niederlanden, England und Jugoslawien waren auf Vorschlag des Gerichtes eingesetzt worden. Sie haben ihren schriftlich vorbereiteten Schriftsatz vorgetragen und betont, nicht in Auftrag und Vollmacht des Beschuldigten zu handeln. Ihr Antrag lautete vor allem auf Niederschlagung der Anschuldigung und sofortige Freilassung von Milosevic. Sie begründeten das damit, daß seine fundamentale Kritik an dem Gericht ihrer Ansicht nach richtig sind und juristisch untermauert werden können.

F: Lassen sich diese »amici curiae« mit Pflichtverteidigern vergleichen?

Dieser Vergleich trifft insofern nicht zu, als sie eine unabhängige Rolle einnehmen, die man zwischen einem Sachverständigen und Gerichtshelfer verorten müßte. Sie handeln nicht im Auftrag des Angeklagten.

F: Welche Bedeutung messen Sie dem Geschehen in Den Haag als Beobachter bei?

Schon die Gründung des Ad-Hoc-Tribunals zu Jugoslawien ist illegal und durch den UN-Sicherheitsrat nicht legitimiert. Nach der UN-Charta können zwar Maßnahmen zur Friedenssicherung ergriffen werden, es gibt aber keine Ermächtigung zur Errichtung eines Gerichtshofs. Zweitens läßt das Tribunal Unparteilichkeit und Unabhängigkeit missen.

Carla del Ponte arbeitet als Chefanklägerin massiv mit den Medien und versucht, diese zu beeinflussen. Das Gericht selber veröffentlicht Pressemitteilungen, während es Milosevic verboten wird, Kontakt zu Journalisten aufzunehmen. Das ist ein ebenso offensichtlicher Verstoß gegen die Grund- und Menschenrechte, wie schon die Entführung des Angeklagten, mit der die staatliche Souveränität ad absurdum geführt wurde.

F: Inwieweit berühren diese Vorwürfe den weiteren Verlauf des Verfahrens?

Dem Gericht sind die Fragen nach der Unabhängigkeit offensichtlich unangenehm. Es wurde angekündigt, diesen Punkt durch den Internationalen Gerichtshof, der ja ein Organ der UNO ist, überprüfen zu lassen.

F: Wie hat sich Milosevic bei der Anhörung verhalten?

Er betonte einleitend, keinen Antrag stellen zu wollen, da er das Gericht als illegal ablehne. Er habe von den Sorgen des Gerichts gehört, daß er die ganzen Unterlagen und Anklagen gar nicht lesen würde, versicherte aber, daß er die Anklage sehr wohl kenne. Er sei angeklagt worden, weil er seine Nation gegen die kriminelle Aggression der NATO und gegen den Terrorismus verteidigt habe. Er hat noch mal betont, daß er nichts mit den amici curiae gemein habe, weil die praktisch auf der Seite der Staatsanwaltschaft stünden.

F: Nach Willen del Pontes soll dem Angeklagte das Wort entzogen werden, sofern er politische Aussagen macht. Ist es dazu gekommen?

Nein, aber nach meiner Einschätzung ist es inzwischen internationaler Standard, daß der Angeklagte selbstverständlich das Recht hat, sich so zu verteidigen, wie er das möchte. Wenn er das politisch tun möchte, dann hat er das Recht dazu. In Ansätzen war das auch möglich. Er hat ein paar Sätze dazu gesagt, während ihm letztes Mal das Mikrophon abgedreht wurde.

F: Hat del Ponte erklärt, wie sich Milosevic Ihrer Meinung nach verteidigen soll?

Das hat sie nicht. Sie hat ihre Anklage verteidigt und die Ausführung der »amici curiae« abwegig seien. Am Mittag wurden in mehreren Stunden Ergänzungen zur Anklage verlesen, in denen auf Details der Beschuldigungen dargelegt wurden. Im Kern ging es um die militärischen Aktionen Anfang der 90er Jahre in Kroatien. Del Ponte stellt sich auf den Standpunkt, daß Milosevic als Mittäter gemeinsam mit anderen Verbrechen angeordnet oder zumindest in Kenntnis geduldet hat.

Interview: Harald Neuber
junge Welt vom 30.10.2001


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