Juristischer Schutz für jugoslawische NATO-Opfer Menschenrechts-Gerichtshof unterstützt Klage im Fall des Angriffs auf Belgrader TV-Sender
Im Falle der Bombardierung der zivilen Fernsehanstalt in Belgrad im April 1999 durch die NATO könnte sich eine Sensation anbahnen: Den Familien der Opfer wurde jetzt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Rechtshilfe gewährt, damit sie gegen die Bundesrepublik Deutschland und andere europäische NATO-Länder auf Schadensersatz klagen können. Die Angehörigen der Opfer des NATO-Überfalls haben eine im britischen Colchester beheimatete Anwaltssozietät mit engen Verbindungen zum international bekannten Zentrum für Menschenrechte an der Universität von Essex mit der Vorbereitung einer Zivilklage gegen die NATO-Länder beauftragt.
Die NATO rechtfertigt ihren Angriff gegen die zivilen Fernsehstudios, bei dem 16 Menschen starben und mindestens 16 weitere verletzt wurden, immer noch damit, daß die Fernsehanstalt jugoslawische Propaganda gesendet hätte, die von westlichen Medien aufgenommen und weiterverbreitet worden sei. Die Anklage wirft den europäischen NATO-Ländern nun vor, gegen die »Europäische Menschenrechtskonvention«, insbesondere gegen das Recht auf Leben und das Recht auf freie Meinungsäußerung, verstoßen zu haben. Die Vereinigten Staaten und Kanada unterliegen jedoch nicht der europäischen Konvention.
Der Rechtsanwalt der serbischen Familien, Tony Fischer, erklärte gegenüber der Presse, daß der Europäische Gerichtshof den Klägern Rechtshilfe gewährt habe, um für die Anwaltskosten aufzukommen, die dadurch entstehen, daß sie auf die Darstellung der NATO in Form von »ersten Anmerkungen« antworten müssen. Bereits nächsten Monat soll die erste Verhandlung vor dem Gerichtshof in Strasbourg stattfinden. Allerdings wollen die Anwälte der NATO dabei nicht auf die Anklage eingehen, sondern vor allem die Zuständigkeit des Gerichtshofes in Frage stellen.
Wolf Reinhardt
junge Welt vom 06.09.2001