»Das Tribunal ist illegal«

junge Welt sprach mit dem ehemaligen US-amerikanischen Justizminister Ramsey Clark über den Verlauf des Prozesses

F: Als Milosevic im Juni 2000 nach Den Haag ausgeliefert werden sollte, sind Sie nach Belgrad geeilt, um die Auslieferung zu stoppen. Warum?

Zunächst müssen Sie zehn Jahre zurückgehen. Die großen Mächte wollten Jugoslawien zerstören, um die Ausbeutung eines stolzen und eigenwilligen Volkes zu erleichtern. Die ausländische Aggression gegen Jugoslawien machte die Dämonisierung der Staatsführung notwendig. Ich bin mit dieser Staatsführung solidarisch, weil sie das Land gegen die ausländische Aggression verteidigt hat. Wenn Sie Frieden auf Erden haben wollen, müssen Sie Länder beschützen, die gegen die USA und andere Weltmächte aufstehen.

F: Sie unterstützen die Solidaritätsdemonstration für Slobodan Milosevic am 28. Juni in Den Haag...

... weil dieses Gericht nicht als rechtmäßig angesehen werden sollte und weil es wichtig ist, die Welt wissen zu lassen, was in Den Haag passiert. Wir wollen unter der Macht des Rechtes leben und nicht unter politischer Macht, die Menschen dämonisieren kann.

F: Warum ist das Tribunal nicht rechtmäßig?

Erstens wurde es nicht gesetzmäßig gegründet. Um ein Straftribunal zu bilden, mußte der UNO-Sicherheitsrat Macht an sich reißen, die ihm von der UNO-Charta nicht gegeben war. Er kann und muß aktiv werden, wenn der Weltfriede bedroht ist, wie auch schon sein Name sagt. Die Strafverfolgung gehört nicht zu seinen Kompetenzen.

Und trotzdem übte die US-Außenministerin Madeleine Albright auf den Sicherheitsrat Druck aus, sich diese Macht herauszunehmen und das Internationale Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) zu gründen. Mit der Behauptung vom Völkermord in Jugoslawien wollte man allen Feinden der USA zeigen, wie es ihnen ergehen kann. Obwohl alle Verbrechen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien verfolgt werden sollen, sind exklusiv fast nur Serben angeklagt. Das ist willkürlich und einschüchternd.

F: Neben dem Haager Kriegsverbrechertribunal gibt es in derselben Stadt mittlerweile auch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Was halten Sie davon?

Der IStGH wurde zumindest rechtmäßig gegründet. 90 Länder haben das IStGH-Statut ratifiziert, 130 zugestimmt, während das ICTY und andere ad-hoc-Tribunale in ihrer Konzeption illegal sind.

Neben der Illegalität des Tribunals möchte ich auch auf die unglaubliche Art hinweisen, in der die Anklage gegen Präsident Milosevic erhoben wurde. Mitten während des Bombenkrieges gegen Jugoslawien 1999, als die USA mit ihm verhandelten, um seine Kapitulation zu erreichen, erhob das Tribunal Anklage. Es wurde behauptet, Milosevic hätte eine Vertreibung erzwungen, während die NATO selbst es war, die mit ihrem Bombenkrieg Hunderte Menschen tötete und Hunderttausende vertrieb.

F: Sie haben Slobodan Milosevic im Scheveninger Gefängnis besucht. Welchen Eindruck haben Sie bekommen?

Das Gericht hat effektiv versucht, die Selbstverteidigung von Herrn Milosevic zu stoppen. Er ist eingeschränkt. Als ich ihn besuchte, hat das Gericht die Regeln so manipuliert, daß er keinen richtig privaten Besuch haben konnte. Seine Besucher waren abgehörte Besucher. Das macht es schwierig, eine Verteidigung zu planen, ohne die Strategie preiszugeben. Die jugoslawischen Anwälte wurden miserabel behandelt. Er hat entschieden, sich selbst zu verteidigen.

Auf Kosten seiner Gesundheit arbeitet er unbeschreiblich hart, um seine Verteidigung vorzubereiten. Erfahrung, ein unglaubliches Gedächtnis und ein umfassendes Wissen über Personen und Ereignisse versetzen ihn in die Lage, eine unglaublich gute Verteidigung durchzuführen. Sein Vorteil ist, daß er die Wahrheit und das Recht auf seiner Seite hat. Er muß nichts erfinden.

Er hielt ein starkes Eröffnungsplädoyer, und seine Kreuzverhöre waren ebenso stark. Er kennt die Persönlichkeit der Zeugen und kann ihre Aussage auseinandernehmen. Er bekommt etwas Hilfe, darf Assistenten haben. Ich denke, seine Selbstverteidigung ist ein beachtliches Zeugnis seiner Stärke, Ehre und Würde. Dieser heroische Kampf wird in die Geschichte eingehen.

Die Anklage hat enorme Probleme, das ist offensichtlich. Sie hat die Macht und das Geld, überall hinzugehen, kann aber keinen überzeugenden Fall vorweisen. Das Gericht versucht nun, Slobodan Milosevic den Zugang zu Dokumenten aus Jugoslawien zu verwehren, was illegal ist. Trotzdem wird seine Verteidigungszeit kommen, und sie wird stark werden.

Interview: Cathrin Schütz
Beilage "SLOBODA" der Tageszeitung
junge Welt vom 18. Juni 2003

Von Cathrin Schütz erscheint Anfang August das Buch »Die NATO-Intervention in Jugoslawien. Hintergründe, Nebenwirkungen und Folgen« (Braumüller Verlag, Wien 2003)


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