Anschuldigung wegen Völkermord bleibt bestehen
Am gestrigen Donnerstag wurde vor dem Jugoslawien-Tribunal (ICTY) in den Haag die Vorbereitungskonferenz der Verteidigung im Fall Slobodan Miloevic abgehalten, die deutlich zu dessen Ungunsten verlief. Man werde dem ehemaligen jugoslawischen Staatschef keine zahlenmäßige Begrenzung seiner Zeugen auferlegen, so die Richter, sondern Zeugen nach ihrer Relevanz zulassen oder ablehnen. Die Zeit wird 150 Sitzungstage betragen und damit, so die Kritik Miloevics, nur etwa halb so lange wie die Anklagehalbzeit, was die Zahl der Zeugen naturgemäß begrenzt. Miloevic kritisierte scharf die kurze Zeit, die ihm zur Vorbereitung zur Verfügung steht, die keine adäquate Vorbereitung erlaube. Die Richter hatten ihm dafür schon urprünglich nur drei Monate gestattet. Nun beantragte Miloevic eine Verlängerung, weil es nicht einmal zu diesen drei Monaten gekommen sei. Für 41 Tage sei ihm vom Arzt das Arbeiten verboten worden und er durfte auch seine Assistenten nicht sehen. Seit er seine Arbeit wieder aufgenommen habe, dürfe er nur drei Tage die Woche arbeiten. Doch der leitende Richter, Patrick Robertson, schien den 5. Juli als Beginn der Verteidigung bleibehalten zu wollen, ohne sich endgültig festzulegen. Miloevic sieht die Entscheidung der Richter als Verletzung seiner elementarsten Rechte. Wie er die Auflagen der Richter erfüllen solle, bleibe dahingestellt. Obwohl er jeden Arbeitstag voll nutze, habe er erst um die zehn Zeugen treffen können und halte es für unmöglich, unter diesen Umständen die Forderung zu erfüllen, die ersten 50 Zeugen innerhalb der nächsten Tage nennen zu können.
Miloevic hob hervor, dass er nur einen Krieg im ehemaligen Jugoslawien sehe, den eine Dekade andauernden Krieg GEGEN Jugoslawien. Daher lehne er es strikt ab, die Verteidigung an Hand der drei Anklagen (Kroatien, Bosnien und Kosovo) nach und nach abzuhandeln. Auch diese Einwände wurden jedoch von den Richtern abgeschmettert. Um Clinton, Schröder und andere, wie es Miloevic nennt "feindlichen Zeugen" gerichtlich zum Erscheinen zu zwingen, wurde Miloevic auferlegt, schriftliche Anträge zu stellen, was von ihm direkt abgelehnt wurde, da er das Gericht nicht anerkenne. Das ICTY sei ein Mittel der Kriegführung gegen sein Land. Auffällig war das Verhalten von Robertson, der den Vorsitz von Richard May nach dessen Rücktritt übernahm. Ganz wie May verfolgte Robertson gestern eine harte Linie gegenüber Miloevic und entzog ihm mehrfach das Wort.
Schon einen Tag zuvor hatten die Richter ihrem Ruf als parteiische NATO-Vassallen alle Ehre gemacht. Kritiker des rechtlich fragwürdigen ICTY wurden einmal mehr bestätigt, als die Antwort der Richter auf den Antrag der Amici Curiae am Mittwoch veröffentlicht wurde. Die Amici ("Freunde des Gerichts"), die dem sich selbst verteidigenden Miloevic vom ICTY gegen seinen Willen zur Seite gestellt sind und auf einen fairen Prozess achten sollen, hatten den Richtern zum Ende der Anklagehalbzeit im März ein Schriftstück vorgelegt, in dem sie forderten, bestimmte Anklagepunkte zu streichen. Neben maßgeblichen Veränderungen in der Kosovo-Anklage forderten sie die Streichung der Verbrechen in Kroatien, die begangen worden sein sollen, als noch kein internationaler Konflikt vorlag.
Schlagzeilen machte ihre Forderung, den Anklagepunkt des Völkermordes aufzuheben. Chefanklägerin Del Pontes Team hätte nicht bewiesen, dass Miloevic an der Planung oder Durchführung von Völkermord teilgenommen hätte. Die internationale Presse hatte sich damit abgefunden, dass dieser Anklagepunkt gestrichen würde und auch aus ihren Reihen hieß es fast einhellig, es wären keine Beweise für Völkermord vorgelegt worden. Selbst Del Ponte widersprach in diesem Punkt nicht. Nicht die Ablehung so gut wie aller Einwände der Amici kam daher überraschend, doch mit dem Beibehalten der Völkermordanklage ließen die Richter eine Bombe platzen. Es gebe ausreichende Beweise, dass in sechs bosnischen Orten, darunter Srebrenica, Völkermord begangen wurde. Richter Robinson und Iaia Bonomy überstimmten nicht nur die Meinung der Presse und Prozessbeobachter, sondern auch ihres Kollegen O-Gon Kwon, als sie feststellten, dass es Beweise gebe, dass Miloevic gemeinsam mit der bosnisch-serbischen Führung einen kriminellen Plan verfolgte mit dem Ziel, einen Teil der bosnischen Muslime als Gruppe zu zerstören. Besonders verwundern darf, dass Bonomy die Entscheidung von Kwon mit seiner Stimme zum Fallen brachte, obwohl er erst kürzlich als Nachfolger Mays ernannt wurde. Man darf bezweifeln, dass er sich in den zwei Monaten seit seiner Ernennung mit dem Fall, dessen Protokolle und Beweismittel hunderttausende Seiten betragen, schon im Detail vetraut gemacht hat, ja den Fall su gut kennt, um Kwon, der dem Prozess seit Beginn beisitzt, zu überstimmen.
Anna Gutenberg, Den Haag
Neuer Richter bringt Einwand von Kwon zum Fallen - keine Verlängerung der Vorbereitnugszeit für Miloevic in Sicht