NATO-konform - das Gegenteil von kritischem Journalismus Sehr geehrt Damen und Herren,
die Produktionsfirma Ihres Films "Das Tribunal. Angeklagt: Slobodan Milosevic", "Tag/Traum" erhebt in ihrer Selbstdarstellung den Anspruch, "die etwas anderen Filme" zu machen. Nun, "ein etwas anderer Film", das wäre in diesem Fall einer gewesen, der die Wahrheit über den Milosevic-Prozeß ans Licht bringt, wie der Ende September vom niederländischen Fernsehsender VPRO ausgestrahlte Film "De Zaak Milosevic" von Jos de Putter und Germinal Civikov. Dort wurde ausführlich dargestellt, wie an diesem sogenannten "Gerichtshof" Recht verzerrt und gebrochen wird, soweit dies dem von vornherein feststehenden Ziel dient: Der Verurteilung Slobodan Milosevic´. Ein ähnlicher Film, der diesem Propaganda-Instrument der NATO bei der Arbeit zusähe, ja, das wäre in Deutschland "ein etwas anderer Film" gewesen.
Aber Ihr Film ist an Konformität nicht zu überbieten. Die trotzige, kleinkarierte Masche - wenngleich von Ihnen mithilfe der Suggestion ausgeführt -, Milosevic als zynisch und arrogant zu porträtieren, jetzt, da vom "Auschwitz auf dem Amselfeld" nur mehr 577 namentlich in der Anklageschrift erwähnte getötete Kosovo-Albaner übrig geblieben sind, paßt auch ebenso gut in den "Spiegel" wie in die "FAZ" wie in die "Bild"-Zeitung. Es ist vor allem lächerlich und nichtssagend. Worauf es ankommt, ist nicht die Form, persönliche Verhaltensweisen, sondern der Inhalt, darauf, welche Tatsachen in der Zeugenvernehmung und im Kreuzverhör aufgezeigt werden.
Doch der Inhalt wird in Ihrem Film völlig "ausgeblendet". Besser gesagt: der Inhalt wird als bekannt vorausgesetzt. Es wird als bekannt vorausgesetzt, daß Milosevic der schlimmste europäische Diktator seit Hitler ist; ein serbischer Rassist und Nationalist, insbesondere mit "großserbischen" Plänen; ein Kriegshetzer, der in seiner sagenumwobenen Rede auf dem sagenumwobenen Amselfeld Haß unter den Völkern säte; und schließlich ein Kriegstreiber, Kriegsverbrecher, schuldig am zehn Jahre währenden grausamen Bürgerkrieg, in dem Jugoslawien auseinanderbrach. Und das alles ist ja auch bekannt: aus der Presse zumeist, aber auch sattsam aus Funk und Fernsehen.
Im berechtigten Vertrauen auf dieses geistige Fundament in den Köpfen der Zuschauer fällt es Ihnen nun leicht, durch ein paar geschickt zusammengeschnittene Szenen die bestehenden Vorurteile noch zu festigen.
Doch jede ernsthafte Berichterstattung über den "Prozeß" in Den Haag hätte die entgegengesetzte Wirkung gehabt.
Die Kosovo-Phase des Anklage-Verfahrens, von der Ihr Film ausschließlich handelt, nahm 97 Verhandlungstage ein, an denen 112 Zeugen geladen wurden (mehrmaliges Erscheinen nicht mitgezählt.) Allein diese Tatsache spricht schon für sich. 112 Zeugen, um den Balkan-Hitler zu überführen - und wenn Sie schon überhaupt einmal von dem "Jahrhundertprozeß" berichten, dann zeigen Sie nur 6.
Slobodan Milosevic konnte in seinen Kreuzverhören vielen angeblichen Zeugen von serbischen Verbrechen Widersprüche in ihren Aussagen nachweisen, weil er über sehr detaillierte Informationen verfügte. So auch den in Ihrem Film auftretenden Zeugen Merita Dedaj und Mustafa Draga. Frau Dedaj hatte zwei Aussagen zu Protokoll gegeben: Eine vor Mitarbeitern der International Crisis Group und eine vor Mitarbeitern des Office of the Prosecutor des Tribunals. Auf Milosevic´ Frage nach dem Grund inhaltlicher Diskrepanzen zwischen beiden Aussagen antwortete die Zeugin nur, sie könne sich nicht erinnern. Ebenso antwortete Herr Draga auf die Frage eines "Amicus Curiae", vom Gericht zur Sicherstellung eines "fairen" Prozesses eingesetzt, nach Unstimmigkeiten zwischen der von ihm zu Protokoll gegebenen Aussage und seiner Aussage im Zeugenstand. Außerdem war Herr Draga nicht der einzige, der das Massaker, von dem er berichtet, "durch Gottes Hilfe" überlebt hat. Auch der drei Wochen zuvor im Zeugenstand erschienene Milazim Thaqi will demselben Massaker wie durch ein Wunder entronnen sein. An diesen zwei Beispielen wird klar, daß Sie die gezeigten Szenen absichtlich so aus dem Zusammenhang geschnitten haben, wie es der zu erzielende Effekt verlangt.
Doch in dieser Weise verliefen die Kreuzverhöre oft. Ein Zeuge weigerte sich deshalb schlicht, weiter auszusagen; er konnte diesem "Zynismus" nicht standhalten.
Mit politischen Zeugen wie Mahmut Bakalli, Ibrahim Rugova, Paddy Ashdown, William Walker, Klaus Naumann und anderen führte der "Angeklagte" Diskussionen, in denen die Zeugen erkennen ließen, daß es sich bei ihren Anschuldigungen gegen ihn um nichts weiter als Meinungen, Interpretationen, Ideologie handelte.
Aber auch Experten, die in ihrer Eigenschaft als Kriminalisten, Soziologen, Historiker in den Zeugenstand traten, konnten keineswegs unbestreitbare Tatsachen vorlegen. Der Polizist Bosko Radojkovic beispielsweise, dessen Aussage über die Entdeckung des berühmten Kühllasters Sie auszugsweise bringen, erklärte im Kreuzverhör, daß die Leichen keine Anzeichen davon aufwiesen, daß sie schon einmal begraben worden waren, daß sie - mit einer Ausnahme - nicht durch Schußverletzungen zu Tode gekommen seien, und auch, daß man ihre Herkunft nicht feststellen könne. Radojkovic kann also den Vertretern der These nicht dienen, daß Leichen von massakrierten Kosovo-Albanern exhumiert und ins Innere Serbiens gebracht worden seien. Viel eher bestätigte er, daß es sich bei den Toten möglicherweise um ins Land geschmuggelte Asylsucher gehandelt haben könne. Außerdem fiel ihm auf, daß das Protokoll seiner Aussage vor Ermittlern des Tribunals gewisse Informationen enthielt, die er selbst den Ermittlern nie gegeben hat.
Und einen echten "Hammer" hätte wirklich kein seriöser Berichterstatter unterschlagen können: Daß der ehemalige jugoslawische Geheimdienstchef Markovic im Kreuzverhör berichtete, er sei unter Androhung von Folter zur Falschaussage gegen Milosevic gezwungen worden.
Mit geschlossenen Sitzungen und "geschützten" Zeugen, wie dem von Ihnen gezeigten "K41", findet ein nicht unerheblicher Teil der Beweisaufnahme ohne Kontrolle der Öffentlichkeit statt - wer darüber wissentlich hinweggeht, beteiligt sich an der Propaganda.
Die "Richter", die in Ihrem Film als weise und gerecht erscheinen, machen sich gewohnheitsmäßig zu Komplizen der Ankläger, indem sie Slobodan Milosevic in seinen Kreuzverhören beschränken, seine Fragen und die von ihm vorgelegten Dokumente als "irrelevant" abweisen oder Zeugen, die sich in Widersprüche zu verstricken drohen, "unter die Arme greifen". Auch hierfür ein Beispiel, das in Ihrem Film unter den Tisch fällt: Sie zeigen, daß Herr Milosevic im Zusammenhang mit der Aussage von Shyrhete Berisha die Aussage eines gewissen Marjan Krasniqi als Beweisstück aufzunehmen beantragt, in der das Verbrechen, von dem Frau Berisha berichtet, als die Tat einer kriminellen Bande dargestellt wird. Was Sie nicht zeigen, ist, daß die Aussage von Herrn Krasniqi vom Office of the Prosecutor aufgenommen worden war und er als möglicher Zeuge der Anklage in Frage kam. Sieben Tage nach Frau Berishas Aussage entschieden die "Richter" dann, daß Herr Krasniqi nicht geladen werden soll, obwohl Herr Milosevic dagegen Einspruch erhob.
Eine Beschäftigung mit dem Inhalt des "Prozesses" - selbst nur mit dem Kosovo-Teil - hätte also das hierzulande geprägte Bild von Milosevic und der jüngsten Geschichte des Balkans zerstört. Sie wissen das, aber es widersprach Ihrer Absicht. Sie wollten eben dieses Bild noch weiter aufrecht erhalten. Deshalb haben Sie jeden Bezug zum wirklichen Inhalt vermieden und sich höchst selektiv auf die suggestive Wirkung einiger Szenen gestützt. (An einigen Stellen wurden sogar zeitlich auseinanderfallende Äußerungen zu scheinbar zusammenhängenden Dialogen geschnitten.) Das Ergebnis ist ein Streifen, der das Gegenteil von kritischem Journalismus vermittelt: Er verbreitet Propaganda.
Mit freundlichen Grüßen,
Sebastian Bahlo
"Das Tribunal. Angeklagt Slobodan Milosevic" - ein Film von Thomas Schmitt; Redaktion: Klaus Antes/Peter Winterberg - gesendet am 01.12.2003, 22:30-23:30 Uhr
Offener Brief an die Redaktion "Die Story" des WDR
Darmstadt