Warum demonstrieren Sie am 28. Juni in Den Haag?

Cathrin Schütz sprach mit Klaus Hartmann, Vizepräsident des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Miloševic

F: Sie rufen für den 28. Juni zu einer Demonstration gegen das "Jugoslawien-Tribunal" in Den Haag auf. Machen Sie das öfter oder zum ersten Mal?

Zu bestimmten Anlässen traten wir in Den Haag schon demonstrativ in Erscheinung: Das begann mit einem einzelnen Solo-Demonstranten am 3. Juli 2001, bei der ersten "Vorführung" des früheren jugoslawischen Präsidenten, und auf dem Protestplakat war zu lesen: "Krieg ist Frieden - Sklaverei ist Freiheit - Den Haag ist Gerechtigkeit", das setzte sich fort bei verschiedenen Etappen des "Prozesses", vor dem Gebäude oder im Pressezentrum des "Tribunals". Aber diese Proteste von vielleicht ein bis zwei Dutzend Menschen waren "spontan" und wurden von der Polizei bald unterbunden. Die bevorstehende Demo hingegen ist "offiziell angemeldet", und soll auch ein paar Demonstranten mehr auf die Beine bringen.

F: Welche Forderungen sind mit ihrem Protest in Den Haag verbunden?

Wir fordern die Abschaffung des Haager "Tribunals", weil es völkerrechtswidrig zustande gekommen und somit illegal ist, und wir fordern demgemäß Freiheit für Slobodan Miloševic sowie alle anderen Inhaftierten, weil sie Gefangene einer illegalen Institution sind, sie sind politische Gefangene der NATO.

F: Also eine Demonstration für Slobodan Miloševic und gegen das das Haager Tribunal. Das wirft wohl bei manchem große Fragen auf. Können Sie Ihren Standpunkt erklären?

Die Fragen kommen erstens daher, dass die Völkerrechtswidrigkeit des "Tribunals" nicht begriffen ist, dass es mit einer Institution des Rechts verwechselt wird, sein politischer Charakter als Instrument der Fortsetzung der NATO-Aggression nicht ins Bewusstsein gedrungen ist. Und zweitens haben die Massenmedien jahrelang eine Kampagne zur Diffamierung der Serben gesteuert, die echt rassistisch war. Und die Krönung der Gehirnwäsche war die Dämonisierung des obersten politischen Repräsentanten und Verantwortlichen dieses Landes. Das diente alles zur propagandistischen Mobilmachung, zur Förderung der Kriegsbereitschaft.

F: Nach Ihrer Meinung ist Miloševic also unschuldig?

Unschuldig? Wie meinen Sie das? Jungfrau ist er sicher nicht. Aber im Ernst: Es geht nicht um die Bewertung seiner Person oder Politik, da gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Es geht um die Beschuldigungen in Den Haag, und da gibt es keinen Zweifel: Nicht schuldig im Sinne dieser falschen und illegalen Anklage! Das begann schon mit der "Anklageschrift", die ganz im Stile der Medienkampagne Miloševic beschuldigte, mit einer "Brandrede 1989 im Kosovo den Balkan in Brand gesetzt" zu haben. Gerade einen Satz trauten sie sich, aus dieser Rede zu zitieren! Lesen sie selbst! Die Rede ist das Gegenteil dessen, als das sie gehandelt wird, geradezu friedensnobelpreisverdächtig! Oder schauen Sie sich die Tragikomödie in diesem "Gericht" doch mal an - falls mal was gezeigt wird: Für die Sendung "Pleiten, Pech und Pannen" wär´ das der Renner, doch leider hatten die Auftraggeber ja was ganz anderes bestellt, deshalb der fast totale Ausschluss der Öffentlichkeit.

F: Haben Sie denn Hoffnung, dass inzwischen wenigstens ein Teil der Linken die brutalen Kriege gegen Afghanistan und den Irak sowie die neuen "Massenproteste gegen den Imperialismus" zum Anlass genommen hat, die "humanitäre" Rechtfertigung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien und vielleicht gar die Rolle von Slobodan Miloševic zu überdenken?

In immer schnellerer Folge wechseln die Kriegsschauplätze - viele Friedensfreunde verlieren den Überblick und übersehen die Zusammenhänge. Manche, zumindest in Deutschland, trauen sich offenbar nur gegen Kriege zu protestieren, gegen die auch die Bundesregierung ist; wo "rot-grün" hingegen eigenhändig mitbombt, marschieren sie zumindest im Geiste mit. Jedoch: Wie der Überfall auf den Irak war die NATO-Aggression 1999 gegen Jugoslawien ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Damals wie heute ging es den USA um die Durchsetzung globaler Weltmachtansprüche, die Kontrolle von Rohstoffquellen und Transportwegen. Diesmal, im Irak, waren die Interessen des deutschen Imperialismus graduell verschieden - bei der Wahl der Mittel, nicht grundsätzlich! Mit dem neuen strategischen NATO-Konzept von 1999 wurde die Aggression gegen Jugoslawien zum "Türöffnerkrieg", zum entscheidenden Präzedenzfall für die Missachtung des absoluten Gewaltverbots des Völkerrechts. Auf dem Balkan wurde die neue Strategie der selektiven Aufhebung der Staatensouveränität und des Selbstbestimmungsrechts der Völker vorexerziert.

F: Wie wollen Sie denn einen Zusammenhang zwischen Irak-Krieg und Haager "Tribunal" begründen?

Gegenfrage: Was fällt Ihnen zu der ständig zitierten "US-Fahndungsliste der 55 meistgesuchten Iraker" ein? Wer sucht wen und warum? Und insbesondere: Mit welchem Recht? Dem Recht der Mächtigen, natürlich, aber das ist das Gegenteil von Recht. Dagegen bedrohen die USA gegenwärtig Belgien wegen der Klage irakischer Opfer gegen US-Militärs. Die USA weigern sich, dem Internationalen Strafgerichtshof beizutreten. Slobodan Miloševic hingegen soll als Symbol des Widerstandes gegen die neue Weltkriegsordnung exemplarisch in einem Schauprozess abgeurteilt werden - zur nachträglichen Legitimation der Aggression und Kriegsverbrechen der NATO, und als warnendes Beipiel zur Abschreckung aller "Unwilligen", Dissidenten und Abweichler, die nicht Vasallen der neuen Weltordner sein wollen. Hierfür wurde dieses völkerrechtswidrige Sondergericht geschaffen, das keine Institution des Rechts, sondern eine Kolonialbehörde darstellt. Es ist von der gleichen rechtsstaalichen Güte wie die Anstalt in Guantanamo. Deshalb ist die Forderung nach Abschaffung des Haager "Tribunals" und nach Freiheit für Slobodan Miloševic sowie alle politischen Gefangenen der NATO unverzichtbares Element des Kampfes für eine andere Weltordnung.

F: Und warum haben Sie ausgerechnet den 28. Juni für Ihre Demo in den Haag ausgesucht?

Nach dem "Regimewechsel" wurden auch in Belgrad willige Lakaien eingesetzt, die das Land und seine Verteidiger für einen Judaslohn verkaufen. Ausgerechnet am 28. Juni 2001, dem höchsten serbischen Feiertag, der an die Schlacht auf dem Amselfeld 1389 erinnert, wurde Slobodan Miloševic vom Djindjic-Regime nach Den Haag entführt. Symbolträchtig wollten die Kidnapper deutlich machen, dass die Besiegten nun die Geschichtsdeutung der Sieger zu übernehmen hätten. Doch immer war und ist der 28. Juni Tag des Verrats und der Erniedrigung und zugleich Tag des Widerstandes gegen imperialistische Fremdherrschaft. Deshalb ist es auch das optimale Datum für den Protest gegen Carla del Ponte und ihre Auftraggeber.

F: Damit richtet sich der Protest auch gegen die aktuelle Regierung in Belgrad?

Heute agiert in Belgrad eine Marionettenregierung von Gnaden der USA nach den Direktiven des CIA-Residenten und US-Botschafters William Montgomery. In Komplizenschaft mit dem Haager Tribunal verweigern sie den "Angeklagten" aus ihrem Land jede Unterstützung, inzwischen selbst den Zugang zu Beweismitteln. Bisher hat die "Anklage" an jedem Verhandlungstag ein Fiasko erlebt, trotz nachgewiesener Versuche der Zeugenbestechung und -bedrohung. Deshalb ist es nun ihre offenkundige Absicht, Slobodan Miloševic, der als Ankläger der NATO auftritt, physisch und psychisch zu brechen - eine "biologische Lösung" als kalkulierter rettender Ausweg für die Veranstalter dieses Justizverbrechens. Dazu gehört, dass die Belgrader Komplizen jetzt mit einem Haftbefehl gegen Miloševics Frau versuchen, jeden Besuch von Angehörigen im Scheveninger ehemaligen Nazigefängnis unmöglich zu machen. In den Medien wurde verbreitet, seine Ehefrau Dr. Mira Markovic würde "im Zusammenhang mit Ermittlungen im Mordfall Stambolic" gesucht. Das war aber nur für die Verdummung der Öffentlichkeit bestimmt. Tatsächlich stützt sich der Internationale Haftbefehl auf den sagenhaften Vorwurf, Frau Markovic habe der Babysitterin ihres Enkels durch "Beziehungen" eine Wohnung verschafft! Da wird doch jeder Kabarettist blass vor Neid, und kann sich gleich beim Arbeitsamt melden! Aber, warum sollen die Marionetten in Belgrad hinter denen in Den Haag zurückstehen?

F: Und wie viele Demonstranten erwarten Sie in Den Haag?

Ich liebe nur positive Überraschungen. Und ich erwarte, mit einem Wort, jene Menschen, die sich das Denken mit dem eigenen Kopf noch nicht haben abtrainieren lassen.


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