Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Miloevic - Deutsche Sektion
Herrn Claude Jorda Herrn Richard May Fax: 0031-70-512 5252
06.11.2002 Sehr geehrte Herren,
im März d. J. appellierten wir an Sie (siehe Anhang), Slobodan Milosevic freizulassen, damit er seine Verteidigung künftig wenigsten unter minimalen Bedingungen der Fairness vorbereiten kann. Leider erfolgte darauf keine positive Reaktion, und wir erhielten auch keine Antwort auf unseren Brief.
Im Gegenteil:
Donnerstag, den 31. Oktober, abends, litt Slobodan Milosevic plötzlich unter ansteigendem Blutdruck, wie dies für seine Krankheit (Bösartiger Bluthochdruck und Angina pectoris) typisch ist. Danach fühlte er sich so krank, dass er am nächsten Morgen dem "Verfahren" nicht beiwohnen konnte. Ein solcher Vorfall kann zu seinem Tode führen.
Diese plötzliche Bedrohung der Gesundheit und des Lebens von Slobodan Milosevic ist eine unmittelbare, dramatische Folge der Haftbedingungen, der Art, in der das "Verfahren" geführt wird, sowie der Tatsache, dass das Tribunal sogar die Empfehlungen der Ärzte missachtet hat, die es selbst bestellt hatte, um den Gesundheitszustand von Slobodan Milosevic feststellen zu lassen.
Es könnte mit Recht davon gesprochen werden, dass verschiedene Mittel moderner Folter gegen Slobodan Milosevic angewandt wurden, und zwar seit dem ersten Tag seines Aufenthalts im UN-Gefängnis in Den Haag mit 24 Stunden täglich angeschalteten Reflektoren in seiner kleinen Zelle, die keinen Zugang zu natürlicher Luft und nur primitive sanitäre Einrichtungen hat, sowie unter permanenter Video-Kameraüberwachung. Er kann nur das öffentliche Telefon benutzen und bezahlt für seine Anrufe. Er ist in den letzten neun Monaten (allerdings mit einer Unterbrechung im August) gezwungen gewesen, an jedem Arbeitstag dem Verfahren beizuwohnen. Sein Arbeitstag beginnt um 7 Uhr morgens. Er ist erniedrigender Behandlung während des Transports von der Haftanstalt zum Gerichtssaal und zurück ausgesetzt. Das Verfahren findet von 9 Uhr morgens bis 16 Uhr 30 nachmittags statt. Während der Mittagspause ist er im Kellergeschoss des Tribunals eingeschlossen und kann nur ein Sandwich zu sich nehmen. Gegen 18 Uhr kehrt er in die Haftanstalt zurück und muss dann zwischen dem Abendessen und einem kurzen Gang an der frischen Luft wählen. Danach bereitet er sich bis spät in die Nacht auf den nächsten Verhandlungstag vor. Für das restliche Vorbringen der Anklagevertretung, das nach Plan im Mai 2003 beendet sein soll, muss er über 100.000 Seiten Text und über 600 Videoaufnahmen durchsehen, die von der Anklagevertretung vorgelegt wurden. Die Länge des Verfahrens und die Menge des ihm zugestellten Materials sind für die Anklage unerheblich, und ihr primärer Zweck besteht darin, Präsident Milosevic zu zermürben. Sein Rechtsbeistand kann ihn nicht an Wochenenden besuchen. Im Unteschied zu anderen Gefangenen, die ihre Familien jeden Tag sehen können, und sogar unbeaufsichtigt, kann Slobodan Milosevic seine Familie nur einmal im Monat an zwei bis drei Tagen sehen und immer unter Aufsicht. Auch alle übrigen Besuche für Präsident Milosevic unterliegen außergewöhnlichen Beschränkungen.
Es fehlt nicht nur an einer medizinischen Spezialbehandlung für Slobodan Milosevic, es fehlt überhaupt an jeglicher ärztlichen Betreuung. Nach vielfachen Appellen und Anträgen aus Belgrad, und nachdem umfassende medizinische Unterlagen an das Tribunal gesandt wurden, stimmte die Kammer einer medizinischen Untersuchung zu. Diese erfolgte nur einmal am 11. Juli 2002, und zwar durch vom ICTY bestellte niederländische Allgemeinmediziner. Gleichwohl bestätigten die Ärzte, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Präsident Milosevic ein Risiko für Leben und Gesundheit darstellten, und dass es notwendig wäre, die Anstrengungen, denen er ausgesetzt worden ist, zu reduzieren und für eine Untersuchung und Betreuung durch einen Kardiologen zu sorgen. Die Kammer beriet über ihren Bericht und ihre Empfehlungen am 25. Juli und 26. August 2002 und kam zu dem Schluss, dass diese nicht wörtlich sondern "sinngemäß" verwirklicht werden sollten. Doch bis zum heutigen Tag erhielt kein Kardiologe die Möglichkeit, Präsident Milosevic zu untersuchen, während die Verhandlungen, die zuvor um 14 Uhr unterbrochen wurden, wieder tagtäglich bis 16 Uhr 30 verlängert wurden.
Offenkundig verletzt das Tribunal damit Resolutionen und Dokumente der UN-Generalversammlung im Bezug auf die Gesundheit von Personen in Haft, und zwar
Darüber hinaus verletzt das "Tribunal" sein eigenes Statut, insbesondere Artikel 21, Punkt 4b, der dazu verpflichtet, jedem Angeklagten angemessene Zeit und Voraussetzungen für die Vorbereitung seiner Verteidigung zu gewähren.
Dies alles deutet darauf hin, dass das Verfahren nur ein organisierter Versuch ist, Präsident Milosevic umzubringen.
Nur seine Freilassung und anschließende medizinische Betreuung und Erholung in Belgrad unter der Aufsicht von Spezialisten, die ihn seit Jahren behandelt und seine Gesundheit überwacht haben, sowie die Gewähr, dass er sich als freier Mann in dem später fortzusetzenden Verfahren verteidigen kann, könnten weitere Risiken für das Leben von Präsident Milosevic ausschalten und dem elementaren Erfordernis der Gleichwertigkeit im Verfahren Rechnung tragen.
Wir warnen Sie, dass es Ihre Pflicht ist, Ihre Verfahrensregeln und -praktiken mit allen UN-Dokumenten über den Schutz der Menschenrechte sowie mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte in Übereinstimmung zu bringen.
Hochachtungsvoll
Kontakt: Klaus Hartmann, Schillstraße 7, D-63067 Offenbach am Main, T/F: 069 - 83 58 50; e-mail: vorstand@freidenker.de
Anhang: Fairness für Herrn Milosevic
Präsident des ICTY; Den Haag
Präsident der Dritten Kammer des ICTY, Den Haag
i. A.
Klaus Hartmann