Halbzeit in Den Haag
Anklage unbewiesen, Vorsitzender "Richter" hört auf

Die Beweiserhebung der Frau del Ponte endete ein paar Tage vorzeitig, wegen erneuter Erkrankung von Slobodan Miloševic - und einem neuen Erkrankten. Ersterer leidet unter lebensbedrohlichen Bluthochdruck, ihm wird die erforderliche fachärztliche Behandlung nicht gewährt. Der Zweite wurde sofort des öffentlich versicherten Mitgefühls von Frau del Ponte teilhaftig: Richard May, Vorsitzender Richter, wirft das Handtuch zum 31. Mai, vor Beginn von Miloševics Gegenrede zur Anklagekonstruktion. Der auf Verkehrsdelikte spezialisierte englische Provinzrichter May glich seinen Mangel an Qualifikation durch gesteigerte Bosheit aus, aber genau dies trug ihm die Anerkennung der Medienmeute ein: weil er angeblich Miloševic bei Kreuzverhören "in die Schranken wies". Das ging so: "Stellen Sie die Fragen, die wir Ihnen befohlen haben zu stellen, oder Sie werden nicht in der Lage sein, überhaupt noch Fragen zu stellen."

Nach den Regeln des "Tribunals" darf ein neuer Richter nicht ohne Zustimmung des "Angeklagten" berufen werden - aber im "Dienste der Gerechtigkeit" dürfen sie sich darüber hinwegsetzen. Der "Neue" muss bestätigen, dass er mit "dem gesamten Fall" vertraut ist, also mit über 500 000 Seiten Dokumenten, 5 000 Videokassetten, und den Aussagen in 33 000 Seiten Verhandlungsprotokoll. Da dies niemand bis zur Fortsetzung Anfang Juni schaffen kann, wird man sich über die eigenen Regeln hinwegsetzen. Nach diesen Regeln müsste das Spektakel ohnehin eingestellt werden. Ramsey Clark, ehemaliger Justizminister der USA, bilanzierte die Leistungen del Pontes gegenüber UN-Generalsekretär Kofi Annan: "Es ist der Anklagevertretung nicht gelungen, erhebliche oder zwingende Beweise für irgendeine strafbare Handlung oder Absicht von Präsident Miloševic vorzulegen." Ohne Beweise keine Anklage, ohne bewiesene Anklage ist das Verfahren einzustellen, so das Fazit von Ramsey Clark.

Der für die Veranstalter katastrophale Verlauf ist der Grund dafür, dass fast jede Information über den einst gepriesenen "Jahrhundertprozess" eingestellt wurde. Wenn es ausnahmsweise vereinzelte Berichte gab, waren die oft gelogen, wie am 4. 11. 2003 in der "Neuen Zürcher Zeitung" zur Zeugenaussage des früheren britischen Außenministers Lord Owen. Unter der Überschrift "Schwere Vorwürfe an den Förderer der bosnischen Serben" wurde mitgeteilt: "Er glaube nicht, so Owen, dass es sich bei Miloševic um einen fundamentalistischen Rassisten handle. Dies übrigens im Unterschied zu dessen Ehefrau, die er als Befürworterin ethnischer ,Reinheit´ kennen gelernt habe." Tatsächliche Aussage laut Protokoll: "Zweifellos ist Miloševic kein fundamentaler Rassist. Ich denke, er ist ein Nationalist, aber auch das nur sehr am Rande. Ich denke, er ist Pragmatiker. Tatsache ist, dass Muslime in Serbien gelebt haben und leben. Es gibt Regionen in Serbien, in denen viele Muslime leben - wenn wir einmal vom Kosovo und vom Sandzak absehen. Auch in Belgrad selber gibt es eine große Zahl von Muslimen, die da immer gelebt haben. Ich glaube, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass es alte kommunistische Jugoslawen gibt, die dem ethnischen Nationalismus sehr entschieden widersprechen und dass manche Kommunisten den Nationalisten opponiert haben, ganz gewiss einigen ihrer ethnisch-rassistischen Haltungen, und zu denen würde ich auch Präsident Miloševics Frau zählen, und ich würde ihn dazu zählen ..." Der prominente Zeuge sagte also ziemlich exakt das Gegenteil des von unserer allzu "freien" Presse berichteten!

Dass die Anklage gescheitert ist, stellt auch Kommentator Neil Clark im Londoner "Guardian" (12. 2. 04) fest, wo früher nie ein Zweifel an der "Schuld Miloševics" zu lesen war: "Viele Zeugen der Anklage wurden als Lügner bloßgestellt - so wie Bilall Avdiu, der behauptete, in Racak ´etwa ein halbes Dutzend verstümmelte Leichen´ gesehen zu haben, auf dem Schauplatz der umstrittenen Tötungen, welche den US-geführten Kosovo-Krieg auslösten. Gerichtsmedizinische Beweise bestätigten später, dass keine der Leichen verstümmelt war. Insider, die, wie uns gesagt wurde, alles über Miloševic ausplaudern würden, erwiesen sich als nichts dergleichen. Rade Markovic, der ehemalige Leiter des jugoslawischen Geheimdienstes, sagte am Ende zu Gunsten seines ehemaligen Chefs aus und sprach davon, dass er anderthalb Jahre ´des Drucks und der Folter´ unterworfen worden war, um eine von dem Gericht präparierte Erklärung zu unterzeichnen. Einem anderen ´Insider´, Ratomir Tanic, wurde nachgewiesen, im Sold des britischen Geheimdienstes gestanden zu haben. ... Im Falle des schlimmsten Massakers von Srebrenica im Jahre 1995 hat die Mannschaft von del Ponte nichts zutage gefördert, was das Urteil der von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebenen fünfjährigen Untersuchung entkräftet hätte, die zu dem Ergebnis kam, es gebe ´keinen Beweis, dass Befehle für das Gemetzel von serbischen politischen Führern in Belgrad kamen´."

Eine Erkenntnis des "Guardian"-Kommentators sollten sich manche Friedensfreunde hinter die Ohren schreiben: Er charakterisierte Milosevics als "sturen, verdammten ´alten´ unrekonstruierten Sozialisten - deshalb haben die neuen Parteien der Designer-,Linken´ Europas ihn so gnadenlos bis nach Den Haag verfolgt. ... Hätte Miloševic sein Land an die Multis verkauft, hätte er ehrerbietig um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und in der Nato angestanden und wäre ein westlicher Ja-Sager geworden, dann hätte er freie Hand gehabt, seinen eigenen ´Krieg gegen den Terrorismus´ zu führen."

Beim internationalen Aktionstag am 20. 3. 2004 erinnern wir nicht nur an den Beginn des Irakkrieges vor einem Jahr, sondern auch an den 5. Jahrestag der NATO-Aggression gegen Jugoslawien am 24. März, als die Schröder-Fischer-Regierung hemmungslos mitbombte. Und wir fordern die Freilassung von Slobodan Milosevic und allen politischen Gefangenen der NATO!

Klaus Hartmann

unsere zeit - Zeitung der DKP, vom 5. März 2003


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