Der "Fall Milosevic" im Schöneberger Rathaus

Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln

Ärger gab es für die PDS des Berliner Stadtbezirks Tempelhof-Schöneberg schon im Vorfeld einer vom Internationalen Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic organisierten und von der PDS ausgerichteten Veranstaltung.

Zwei Berliner Tageszeitungen witterten "unerlaubte" Solidarität, worauf sich der PDS-Landesvorstand umgehend distanzieren zu müssen glaubte, weil er nicht in den Geruch zu kommen wollte, Milosevic verteidigen zu wollen.

Doch davon konnte vor und nach der Veranstaltung am 2. März im Schöneberger Rathaus überhaupt keine Rede sein. Der Bezirksverordnete der PDS, Gert Julius, hatte schon angesichts der Angriffe und in seinen Begrüßungsworten betont, dass es darum gar nicht gehe, allerdings mit dem Kolloquium die Absicht verbunden wird, "einseitiger Medienberichterstattungen entgegenzuwirken, um den Anwesenden ein objektives Bild zu verschaffen".

Diesem Anspruch wurde das Kolloquium durchaus gerecht. Beiträge von Klaus Hartmann (Vorsitzender der Weltunion der Freidenker), Prof. Dr. Norman Paech, den Rechtsanwälten Peter Koch (Heidelberg) und Eberhard Schultz (Bremen), Ralph Hartmann (ehemaliger DDR-Botschafter in Jugoslawien und Autor des Buches "Der Fall Milosovic") und der Schauspieler Rolf Becker (ver.di/Medien) stellten vor rund 200 Zuhörern unterschiedliche Sichtweisen und Aspekte zur Diskussion.

Prof. Dr. Norman Paech z. B. nahm den "gegenwärtigen Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Staatspräsidenten Milosevic vor dem Tribunal in Den Haag" als einen dringenden Anlass, "sich grundsätzliche Gedanken über die Wege oder Abwege zu machen, die die internationale Gerichtsbarkeit derzeit einzuschlagen sich anschickt". Dabei kam er u. a. zu der Schlussfolgerung, dass der Prozess - "unabhängig von seinem Ausgang als ein Menetekel, als warnendes Beispiel für die Abwege einer Strafjustiz zu nehmen (sei), die eher der Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln dient als der Sicherung des internationalen Friedens". Dass er einen zukünftigen Weltgerichtshof als Fortschritt sah, ergab sich aus den von ihm vorgetragenen Fakten für viele Teilnehmer des Kolloquiums allerdings nicht; insbesondere Rechtsanwalt Peter Koch hielt das für eine idealisierende Vorstellung.

Der Schauspieler Rolf Becker beschäftigte sich mit der gegenwärtigen Situation der Bevölkerung in Jugoslawien und verwies daneben auch auf erhebliche Irritationen in den bundesdeutschen Gewerkschaften, in denen endlich die Haltung zu kriegerischen Einsätzen geklärt werden müsse.

Ralph Hartmann versuchte die Gratwanderung für diejenigen deutlich zu machen, die Licht in Verdunklungen und Vernebelungen im "Fall Milosovic" bringen wollen. Es sei nicht die Frage von Schuld oder Unschuld des Angeklagten, stellte Hartmann fest und unter ausführlichem Verweis auf die Lage im damaligen Jugoslawien fragte er: "Wie heißt es doch sinngemäß im Johannes-Evangelium? Wer frei von jeglicher Schuld ist, der werfe den ersten Stein. Auch Slobodan Milosevic wird diesen Stein ganz gewiss nicht werfen können."

Den bürgerlichen Berichterstattern sind solche Differenzierungen glatt "entgangen". Die Schere ist in ihren Köpfen fest installiert. Deshalb spien sie auch "Gift und Galle"!

Gerald Schwember

unsere zeit - Zeitung der DKP, vom 8. März 2002


Karikatur: Bernd Bücking


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