Anklagezeuge Wesley Clark?

Kati Goldmann sprach mit der kanadischen Anwältin Tiphaine Dickson, die zur Gruppe der juristischen Assistenten des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševic gehört, dem vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag seit Februar 2002 der Prozeß gemacht wird.

F: Frau Dickson, Sie sind Mitglied des Anwaltsteams, das Slobodan Miloševic berät, der das Tribunal nicht anerkennt und sich selbst verteidigt. Warum haben Sie Sich entschieden, für den ehemaligen jugoslawischen Staatschef tätig zu werden?

A: Herr Miloševic zeigt einen unglaublichen Widerstand gegen das Den Haager Tribunal (ICTY), das er nicht für einen Gerichtshof, sondern für eine illegale und nicht legitime Einrichtung hält. Ich habe für das andere ad-hoc Tribunal des UNO-Sicherheitsrats, das Ruanda-Tribunal, gearbeitet. Daher weiß ich aus eigener Erfahrung, daß die Einschätzung von Herrn Miloševic richtig ist. Ich glaube, daß fortschrittliche Anwälte und Anwältinnen die Pflicht haben, zur sozialen Gerechtigkeit beizutragen und sich gegen eine politische Instrumentalisierung des Rechts zu stellen.

F: Am 15. und 16. Dezember wird der ehemalige Oberkommandierende der NATO, der derzeitige US-Präsidentschaftskandidat Wesley Clark, als Zeuge der Anklage im Miloševic-Prozeß aussagen. Kürzlich sagten Sie, daß die von der US-Regierung festgesetzten und den Richtern des Tribunal akzeptierten Bedingungen, unter denen Clark aussagen wird, die politische Natur des Tribunals besser zeigen als alles zuvor.

A: Es ist ein Skandal, daß die NATO, NATO-Regierungen und Individuen wie Clark offensichtlich Immunität genießen. Ihre Verbrechen sind gut dokumentiert. Ein Belgrader Gericht hatte Clark und andere der Kriegsverbrechen Schuldig gesprochen, während das Tribunal - das von NATO-Staaten eingerichtet wurde und finanziert wird - über diese gleichen Kräfte, die einen Krieg in Verletzung internationalen Rechts führten, gar nicht erst verhandelt. Es sind keine unabhängigen Richter und es ist nicht nur eine Ungerechtigkeit, die geschieht, sondern eine Perversion des Rechts.

F: Wesley Clark wird unter völligem Ausschluß der Öffentlichkeit aussagen. Danach wird die Bush-Regierung entscheiden, welche Teile der Mitschrift der Öffentlichkeit zugängig gemacht werden. Welche juristischen Einwände sind gegen diese vom Tribunal angenommen und der US-Regierung auferlegten Bedingungen im Rahmen der Zeugenaussage von Clark vorbringen?

A: Slobodan Miloševic lehnt es ab, vor dem Tribunal Eingaben zu machen, weil juristische Schritte eines rechtlichen Körpers bedürfen. Er hat folglich dem Tribunal nie die Legitimation gegeben, ein juristischer Körper zu sein, in dem er die Richter geben hätte, über rechtliche Fragen zu entscheiden.

Um gegen die US-amerikanischen Bedingungen, die vom Tribunal befolgt werden, vorzugehen, müßte man sich an ein legales Gericht wenden - wie etwa den Internationalen Strafgerichtshof. Die Bedingungen, die dem Tribunal von Washington auferlegt wurden, verletzen das universell anerkannte Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozeß. Die Öffentlichkeit hat das Anrecht, Prozesse zu verfolgen, um geheime oder politische Anklagen zu verhindern. Gerechtigkeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit kann keine Gerechtigkeit sein. Die Fairness und Transparenz von Prozesses sind der Maßstab für die Einhaltung von nationalen und internationalen Standards. Das ICTY, das behauptet, Menschenrechte nicht nur einzuhalten, sondern zu propagieren, war unfähig, sich dem Diktat Washingtons zu widersetzen, Wesley Clark in einer völlig geschlossenen Sitzung anzuhören. Derzeit stellt die USA eine Viertel des Budgets des ICTY, entgegen den Bestimmungen in seinem Statut, die verlangen, daß Finanzmittel aus dem UNO-Haushalt kommen. Interessenkonflikte gehöre somit zum Alltag. Entscheidungen, die klar zum Vorteil der USA ausfallen - besonders wenn sie derart mit geltendem Recht kollidieren - können nur im Lichte der politischen Funktion des ICTY verstanden werden. Das juristisch neblige "nationale Interesse", das die USA als Begründung geltend machen, um das Recht nach öffentlicher Gerichtsbarkeit auszuhebeln, kann juristisch gar nicht gemessen werden. Es ist ein politisches Konzept. Der Zugang zu Prozesses kann aus Gründen "nationaler Sicherheit" - nicht "nationalen Interesses" - beschränkt werden, aber nur, wenn die territoriale Unversehrtheit eines Landes auf dem Spiel steht oder die Gefahr eines bewaffneten Angriffs besteht! "Nationale Sicherheit" könnte nicht geltend gemacht werden, nur um einem Staat eine Peinlichkeit zu ersparen. Das Recht auf einen fairen Prozeß ist das Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht. Wenn die USA geschlossene Verhandlungen diktieren, dann verletzt das die fundamentalsten Rechte, die international anerkannt sind. Daneben wird Wesley Clark als ehemaliger NATO-Oberkommandierender aussagen. NATO-Sprecher Jamie Shea hat mehrfach geäußert, das Tribunal und die NATO seien eins, daß NATO-Staaten das Tribunal ins Leben gerufen hätten und es finanziell unterhielten. Den Anforderungen nach Unabhängigkeit und Parteilosigkeit, denen ein Gericht entsprechen muß, wird das Tribunal seit seiner Gründung nicht gerecht. Von Beginn hatte Länder ein bestimmtes Interesse am Ausgang der Verhandlungen.

Am Montag, dem Morgen von Clarks Aussage, wird es vor dem Haager Tribunal um 8.00 Uhr einen Protest geben. Daneben wird die kanadische Anwaltsinitiative, die der Anklagebehörde des ICTY Beweismaterialien zur Anklage der NATO-Vertreter unterbreitete (die Anklagebehörde lehnte es dann jedoch ab, gegen NATO-Vertreter zu ermitteln, KG), neue Anklagepunkte und Beweise gegen Wesley Clark als Kommandierender der NATO während des Krieges gegen Jugoslawien vorlegen.

F: Warum greift Washington im Falle Wesely Clarks zu solchen Methoden?

A: Wie gesagt, behauptet die US-Regierung, es gehe um den Schutz ihres "nationalen Interesses". Mit dem US-amerikanischen "nationalen Interesse" wird auch ein offensichtlich endloser "Krieg gegen den Terror" geführt, der Zehntausende Menschenleben kostet. Und die illegale Besatzung des Iraks, welche von den USA wegen einer angeblichen Verbindungen zwischen Saddam Hussein und Al-Qa´eda legitimiert wurde, ist eine Katastrophe. Wesley Clark ist verletzlich, kommt es zu Fragen nach seiner Unterstützung für die kosovo-albanischen UCK und die Verbindung der UCK mit Al-Qua´eda und Bin Laden. Clark und die NATO waren mit Kräften verbunden, deren Verbindung zum Terrorismus außer Frage stehen.

Und natürlich wird Clark auch über seine Rolle im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien und der Tötung von Zivilisten befragt werden.

Tiphaine Dickson wird am 15.12.2003 ab 9.00 Uhr in Hotel Bel Air neben dem Haager Tribunal eine Pressekonferenz über die aktuellen Entwicklungen im Prozeß geben.

Neues Deutschland vom 13.12.2003


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