»Das Tribunal hat den Tod Milosevics zu verantworten«

Interview mit Tiphaine Dickson

Die kanadische Rechtsanwältin Tiphaine Dickson wirkte als führende Verteidigerin im ersten Völkermordprozeß der UNO vor dem Ruanda-Tribunal (ICTR) in Arusha/Tansania. Sie ist Sprecherin des Rechtskomitees des Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM)und vertritt derzeit Mira Markovic bei der Aufklärung der Todesumstände ihres Mannes Slobodan Milosevic.

Sie vertreten Mira Markovic bei der Aufklärung der Todesumstände ihres Mannes, des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der im März 2006 tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden wurde, während ihm vor dem Jugoslawien-Tribunal (ICTY) in Den Haag der Prozeß gemacht wurde. Offiziell heißt es, Milosevic sei an einer natürlichen Todesursache, einem Herzinfarkt, verstorben.

Bisher liegen zur Klärung der Todesumstände lediglich die Ergebnisse eines "internen Untersuchungsausschusses" des ICTY vor, der von Kevin Parker, selbst Richter am Tribunal, geleitet wurde. Der so genannte "Parker Report", um es auf den Punkt zu bringen, entlastet das ICTY und schreibt Präsident Milosevic die Schuld für seinen Tod zu. Der Bericht zeichnet sich durch erstaunlich schlotterige Beweisführung und einen Mangel an Logik aus. Ohne eine unabhängige Untersuchung und die Hilfe außenstehender Experten war vielleicht kein anderes Ergebnis zu erwarten.

Die Familie Milosevics misstraut folglich der Untersuchung des Tribunals?

Nun, Slobodan Milosevic wurde nicht nur die adäquate medizinische Versorgung verwehrt, die er wiederholt beantragt hat, sondern auch die Ursache seines Todes wurde nicht transparent und unparteiisch untersucht. Die Angehörigen haben das Recht auf eine vollständige Prüfung der Umstände, die mit seinem Tod in Verbindung stehen können und welche ihnen mit dem Parker Report verwehrt wurde. Marko Milosevic bezeichnete vor gut einem Jahr in einem offenen Brief an Parker den Inhalt und die Ergebnisse der Untersuchung als "inakzeptabel". Zu Recht kritisierte er, daß die Autopsie ohne die Anwesenheit von unabhängigen Experten stattgefunden hat. Die Familie äußert überzeugende Einwände bezüglich der Frage der Legitimität, Objektivität und Korrektheit der ICTY-Untersuchung. Neben all der inhaltlichen Unzulänglichkeiten der Expertise leide die Kommission doch an einem Mangel an Objektivität. Nemo iudex in sua causa. Niemand darf in seiner eigenen Sache richten. Eine sorgfältige, wissenschaftlich einwandfreie und vor allem unabhängige und vorurteilsfreie Untersuchung ist notwendig.

Die gesundheitlichen Probleme Milosevics waren allseits bekannt.

Ohne Frage. Spezialisten hatten seinen Zustand schon Ende 2005 als lebensbedrohlich bezeichnet. Seine Gesundheitsprobleme wurden breit diskutiert, oft wurden dabei die Fakten verdreht, um in den Blickwinkel der Medien zu passen, selbst wenn das zu eklatanten Widersprüchen führte. Zum Beispiel wurde oft behauptet, Präsident Milosevic würde Unwohlsein simulieren, wenn er mit "einschlägigen Beweisen" der Ankläger konfrontiert würde. Doch es war genau zu Beginn der Beweisaufnahme seiner Verteidigung, als es hieß, er sei "zu krank" um sich selbst zu verteidigen. Es ist anzunehmen, daß in diesem Fall Krankheit kein Ausdruck der Angst vor Beweisen war, zumindest nicht seitens Präsident Milosevic. Während die Presse immer wieder die angebliche Verzögerungstaktik Milosevics durch Krankheitssimulation beklagte, hat dieser sich auch schwer angeschlagen selten beschwert. Er pochte auf sein Recht auf adäquate Behandlung, doch konzentrierte sich voll auf seine Verteidigung, die maßgeblich darin bestand, aufzuzeigen, dass es, wie er es mehrfach ausdrückte, nur einen Krieg gab, den gegen Jugoslawien. Er starb zwei Wochen nachdem die Richter des ICTY seinen Antrag auf Behandlung in der Moskauer Herzspezialklinik Bakulew abgewiesen hatten.

Seitens der Angehörigen wurde wiederholt gar vom Mord an Slobodan Milosevic gesprochen.

Marko Milosevic sagte, es sei unerheblich, ob sein Vater ermordet oder vergiftet wurde. Sein Zustand war bekannt und die von ihm beantragte notwendige medizinische Hilfe in Moskau wurde ihm versagt, obwohl die kurz zuvor vom Tribunal geforderten Garantien der Russischen Föderation, einem Mitglied des Sicherheitsrats, vorlagen. All das wurde, so der Sohn, ganz offensichtlich bewusst ignoriert, mit der Folge, daß Milosevic starb. In seinen Augen bedeutet das, daß das Tribunal und jeder, der dafür verantwortlich war, damit den Tod seines Vaters zu verantworten hat.

Würde er noch leben, wenn das Tribunal ihm die Behandlung ermöglicht hätte?

Erlauben sie mir, es so auszudrücken: Ich bezweifele stark, daß Präsident Milosevic im März 2006 gestorben wäre, wenn er sich der Therapie in der Bakulew-Klinik in Moskau hätte unterziehen können.

Cathrin Schütz

Leicht gekürzt erschienen in junge Welt vom 16.07.2007


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