Das Tribunal der Lüge Die Schweizer Juristin Carla del Ponte wird diese Woche in Eisenach mit dem Wartburgpreis ausgezeichnet. Ein Blick auf Geschichte und Rechtspraxis des »Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien« in Den Haag
Wenn Carla del Ponte, die Chefanklägerin des »Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien« (engl. Abkürzung ICTY), am 23. März, dem Vorabend des achten Jahrestages des Beginns der Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO, in Eisenach den Wartburgpreis entgegennimmt, der seit 1992 »herausragende Verdienste um die europäische Einigung« auszeichnet, wird in den deutschen Medien keine helle Aufregung um sich greifen. Ganz anders war es im vergangenen Jahr, als der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf dem Schriftsteller Peter Handke zugesprochen wurde. Handke, bekannt als einer der wenigen, die ihre Stimme gegen die antiserbische Hetze erhoben, die den ersten offenen Angriffskrieg der Bundesrepublik Deutschland (aber den dritten deutschen Krieg gegen Serben im 20. Jahrhundert) begleitete und bis heute rechtfertigen soll, hatte eben noch an der Beerdigung von Slobodan Milosevic am 18. März 2006 im serbischen Städtchen Pozarevac teilgenommen und das wütende Geschrei der publizistischen Kriegshetzer geerntet. Und nun sollte er den Heine-Preis erhalten - ein Skandal!
Del Ponte dagegen ist für eben diese Kriegshetzer eine Heldin, die mit Auszeichnungen überhäuft wird. 2002 erhielt sie den »Westfälischen Friedenspreis« in Münster. Wo 1648 das Ende des Dreißigjährigen Krieges mit einem Friedensvertrag besiegelt wurde, in dem zum ersten Mal in der europäischen Geschichte das Prinzip der Staatssouveränität zur Geltung kam und die Parteien sich verpflichteten, unter keinem Vorwand, auch nicht »unter dem Anschein des Rechts«, Gewalt gegeneinander auszuüben, wurde jetzt die Person geehrt, die maßgeblich daran beteiligt ist, der Gewaltanwendung gegen Jugoslawien den »Anschein des Rechts« zu verleihen. Denn es ist die einzige Funktion, die ihre Anklagebehörde und der ganze sogenannte Gerichtshof, der zum Spott auf den regulären Internationalen Gerichtshof (IGH) ebenfalls in Den Haag angesiedelt ist, erfüllen sollen - jene Staaten zu schützen, die vor nunmehr 16 Jahren begonnen hatten, die Sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien zu zerschlagen, wobei die NATO-Aggression gegen Jugoslawien von 1999 nur den militärischen Höhepunkt darstellte.
Wozu der Aufwand?
1993 hatte der UNO-Sicherheitsrat das ICTY gegründet und schon damit der UN-Charta ins Gesicht geschlagen: Der Sicherheitsrat kann als höchstes Exekutivorgan der Vereinten Nationen kein Justizorgan unter seiner Schirmherrschaft einrichten. Und während im Statut des IGH, der höchsten Rechtsinstanz im UNO-System, ausdrücklich erklärt wird, daß nur Staaten als Parteien vor dem Gerichtshof auftreten können, baut das Statut des ICTY auf dem Prinzip der »persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit« auf. Damit wurde dem damals noch bestehenden Jugoslawien und auch den neu gegründeten Teilstaaten (und theoretisch jedem Staat auf der Welt) ohne ihre Zustimmung, ohne irgendein Abkommen, das souveräne Recht auf ihre Justizhoheit entrissen. So spielte das ICTY - genau wie das identische Ad-hoc-Tribunal für Ruanda (ICTR) - schon durch seine Gründung eine bedeutende Rolle in der Auflösung des bestehenden internationalen Rechtssystems zugunsten einer »neuen Weltordnung«.
Wozu aber der ganze Aufwand? Wozu brauchte man das »Tribunal«? Wie der Weltöffentlichkeit erzählt wurde, sollen hier die Verantwortlichen für den jugoslawischen Bürgerkrieg zur Rechenschaft gezogen und die in ihm begangenen Verbrechen verfolgt werden. Wer die Schuldigen seien, stand für Politiker und Medien der westlichen Staaten schon damals fest: die Serben und Milosevic. Schon als vor allem deutsche und US-amerikanische Politiker die Gründung des Strafgerichtshofs forderten, machten sie kein Hehl daraus, daß das ICTY ein Tribunal über die Serben sein würde. (Vgl. u.a. die Rede des damaligen US-Außenministers Lawrence Eagleburger am 16.12.1992 im Rahmen der »International Conference on the Former Yugoslavia« in Genf, in der er ausschließlich serbische Politiker und Militärs namentlich beschuldigt.) Zu den beliebten Vergleichen der serbischen Führer mit den Nazikriegsverbrechern fügte man die Behauptung hinzu, daß das ICTY an den Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg (International Military Tribunal, IMT) anknüpfe. Sofern man sich damit erhoffte, auch die Herzen der fortschrittlich denkenden Menschen zu gewinnen, ging diese Rechnung auf. Bei näherem Hinsehen jedoch entpuppt sich dieser Vergleich als reinste Verdrehung der Tatsachen. Führte das Statut des IMT in der Reihe der zu ahndenden Verbrechen an erster Stelle das Verbrechen gegen den Frieden, also den Angriff gegen die Souveränität eines anderen Staates auf und erklärten die Nürnberger Richter dieses für das »oberste Verbrechen zwischen Völkern, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur darin unterscheidet, daß es das aufgehäufte Übel im ganzen in sich schließt«, so wird man die Erwähnung eines Verbrechens gegen den Frieden oder des Verbrechens der Aggression gegen einen anderen Staat im Statut des ICTY vergeblich suchen. Wurden alle Taten, die den Nürnberger Angeklagten vorgeworfen wurden, im Licht der objektiven Rolle Deutschlands als des Aggressors im Zweiten Weltkrieg betrachtet, blenden die Haager Ankläger die objektive Rolle des Staates Jugoslawien aus - als eines souveränen Staates, der sich gegen illegale Sezession und separatistische Bestrebungen zur Wehr setzte, die von ausländischen Kräften gelenkt bzw. direkt unterstützt wurden. Ein Anerkenntnis dieser grundlegenden Konstellation, eine Anerkennung der souveränen Rechte Jugoslawiens würde das ganze juristische Gebäude der Anklageschriften zusammenbrechen lassen. Und saßen in Nürnberg Richter aus den Staaten der Anti-Hitler-Koalition zusammen, stellvertretend für alle Länder, die von den Nazis überfallen worden waren, so haben wir es am ICTY meist mit Richtern aus Staaten zu tun, die an der gegen das sozialistische Jugoslawien gerichteten Politik und am NATO-Angriffskrieg von 1999 direkt beteiligt waren, oder solchen, die auf deren Seite standen. Als das ICTY seine Arbeit aufnahm, wurden zahlreiche Richter aus jenen muslimischen Staaten gestellt, die tief in die Unterstützung und Bewaffnung der bosnisch-muslimischen Kriegspartei verstrickt waren. Gleichzeitig wurde ein russischer Kandidat für das Richteramt abgelehnt, um eine »pro-serbische Voreingenommenheit« zu vermeiden.
Von außen geschürter Krieg
Das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal stand an der Wiege einer internationalen Rechtsordnung, die fest auf dem Prinzip der Staatssouveränität gründete und die Freiheit der Völker gegen das Recht des wirtschaftlich und militärisch Stärkeren verteidigte - das ICTY steht an ihrem Grab. Es ist kein Zufall oder unglückliches Versäumnis, daß das ICTY den Angriffskrieg, sprich die Verletzung des zwischenstaatlichen Friedenszustandes, nicht unter Strafe stellt. Es waren mit der US-amerikanischen und deutschen Regierung genau jene beiden Staaten, die auf die Gründung eines Jugoslawien-Tribunals drängten, die selbst mit ihrer aggressiven Politik den Krieg schürten.
Die deutsche Regierung preschte im Dezember 1991 im Alleingang mit der diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens vor und vereitelte Verhandlungslösungen, die die blutigen Bürgerkriege in Jugoslawien hätten verhindern können. Damit traten Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher in die Fußstapfen Hitlers und Mussolinis, die 1941 ein unabhängiges Kroatien geschaffen hatten, geführt von der faschistischen Ustascha. (Vgl. Cathrin Schütz, Aus den Trümmern Jugoslawiens. Die Militarisierung deutscher Außenpolitik im Spiegel der Zerschlagung eines Staates, Neues Deutschland, 26. März 2004) Das neue unabhängige Kroatien orientierte sich unter Präsident Franjo Tudjmans Partei offen an der Politik der Ustascha, die einen der schrecklichsten Völkermorde des 20. Jahrhundert begangen hatte, dem Hunderttausende Serben zum Opfer fielen. Wieder setzte ein systematisch und von oben gesteuerter Terror gegen die Serben in Kroatien ein. Schon Monate vor der Anerkennung durch Deutschland kam es zu gewaltsamen Übergriffen. In der »dalmatinischen Reichskristallnacht« wurden über hundert serbische Geschäfte und Häuser in Zadar zerstört, in der »Nacht der langen Messer« mehr als 100 serbische Zivilisten exekutiert. (Vgl. Kurt Köpruner, Reisen in das Land der Kriege, Espresso, Berlin 2001, S. 42 ff.)
Slobodan Milosevic stellte sich nicht gegen das Selbstbestimmungsrecht, sonderte forderte es für alle Völker Jugoslawiens gleichermaßen ein. Die über 600000 in Kroatien lebenden Serben, die in einzelnen Regionen klar die Bevölkerungsmehrheit stellten, entschieden sich für den Verbleib in Jugoslawien. »Da es der Wille der dort lebenden Serben war, wollte Belgrad die Krajina an das Mutterland binden. Kroatien und später Bosnien aber wollten historische serbische Gebiete in die Unabhängigkeit mitnehmen.« (Malte Olschewski, Von den Karawanken bis zum Kosovo. Die geheime Geschichte der Kriege in Jugoslawien, Braumüller, Wien 2000, S. 14) Die Milosevic-Regierung warnte vor einer Wiederholung der Verbrechen des Zweiten Weltkrieges, doch die Ängste, die bei Serben erwachten, wurden ignoriert; statt dessen unterstellte man ihnen, ein aggressives »Großserbien«-Projekt zu verfolgen. Deutschland und die USA lieferten Waffen und Militärinstrukteure an Kroatien. 1995 konnte Tudjmans Armee in der »Operation Sturm« mit Unterstützung der Vereinigten Staaten die ethnische Säuberung der Krajina von Serben beenden, die 1941, unterstützt von den Nazis, begonnen hatte. Im Falle Bosniens trägt die Clinton-Regierung die Hauptverantwortung für das Blutvergießen, drängte sie zunächst zur Anerkennung Bosniens und hielt später den Krieg durch illegale Waffenlieferungen und Behinderung der Friedensverhandlungen am Laufen. Doch der von drei Seiten geführte Bürgerkrieg mit ausländischer Einmischung wurde umgehend als serbische Invasion bezeichnet. Unter gleichen Vorzeichen standen die Konflikte im Kosovo und in Mazedonien.
Legitimatorische Funktion
Kurzum, ausländische Staaten haben heftig mitgemischt in den Bürgerkriegen, und vor allem Deutschland und die USA haben Blut an den Händen. Daß sie mit der Einrichtung eines Jugoslawien-Gerichts ein politisches Instrument schufen, um ihre eigene Politik der Zerstörung des Landes abzusichern und die Schuld dafür anderen zuzuweisen, kann vor diesem Hintergrund nicht überraschen. Der politische Charakter des ICTY geht nicht nur aus der Arbeit des Tribunals hervor, sondern wird auch von Insidern bestätigt. Mit Blick auf ihren Einfluß bei der Schaffung des ICTY gelten die ehemaligen Außenminister der BRD und der USA Klaus Kinkel und Madeleine Albright als »Eltern« des Strafgerichtshofs. NATO-Sprecher Jamie Shea bezeichnete das Militärbündnis als »Freundin des Tribunals«, da die NATO-Staaten das ICTY finanzieren. Michael Scharf, als Berater des US-Außenministeriums an der Errichtung des ICTY maßgeblich beteiligt, enthüllte in der Washington Post vom 29. August 2004 den eigentlichen Plan: »Bei Schaffung des Statuts des Jugoslawien-Tribunals legte der UN-Sicherheitsrat drei Ziele fest: erstens das serbische Volk, das lange von Milosevics Propaganda irregeleitet war, über Aggressionsakte, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von seinem Regime begangen worden sind, zu belehren; zweitens nationale Versöhnung zu erleichtern, indem Milosevic und anderen Spitzenpolitikern die Hauptverantwortung zugeschrieben wird ...; und drittens eine politische Katharsis zu fördern und dabei neugewählte Führer Serbiens in die Lage zu versetzen, sich von den repressiven politischen Praktiken der Vergangenheit zu distanzieren.« Und was man hier 1992/93 festgelegt hatte, wurde umgesetzt.
Es war im Mai 1999, Tag und Nacht ging ein Bombenhagel aus NATO-Flugzeugen auf serbische Städte und Dörfer nieder, als del Pontes Amtsvorgängerin Louise Arbour Anklage gegen den amtierenden jugoslawischen Staatspräsidenten Milosevic erhob. Ihm wurde die Verantwortung für Verbrechen zur Last gelegt, die von »Streitkräften der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbiens« in der serbischen Provinz Kosovo begangen worden sein sollen. Doch mit nur einer Ausnahme haben alle diese Ereignisse angeblich in der Zeit seit dem 24. März 1999, dem Tag, an dem der NATO-Bombenkrieg begann, stattgefunden. Das einzige vermeintliche Verbrechen vor dem NATO-Krieg war das angebliche »Massaker an Zivilisten in Racak«, das als Rechtfertigungsgrund für den NATO-Angriff angeführt worden war. Die in der Anklageschrift aufgelisteten Ereignisse beruhten bestenfalls auf Darstellungen von Kosovo-Albanern, nicht auf Ermittlungen des ICTY vor Ort - es herrschte Krieg, und Vertreter des ICTY hatten somit keinen Zugang.
Der westlichen Öffentlichkeit konnte dieser befremdliche Umstand jedoch nur nebensächlich erscheinen, war die Anklage Milosevics doch die scheinbar unerläßliche Folge aus allem, was Politiker und Medien seit Wochen und Monaten verbreiteten: War Milosevic nicht der »Schlächter vom Balkan«? War nicht vom »Auschwitz auf dem Amselfeld« die Rede und von der »Fratze unserer eigenen Geschichte«? Hatten nicht die Serben im Fußballstadion von Pristina ein »KZ« errichtet?
Milosevic auf der Anklagebank
Nun also war Milosevic anklagt. Seine Auslieferung an das ICTY erfolgte nach dem 5. Oktober 2000 - als die von den USA, Deutschland und anderen EU-Staaten aufgebaute, ausgestattete und dirigierte Oppositionsbewegung OTPOR, gedeckt von US-amerikanischen Kriegsschiffen in der Adria, den Rücktritt Milosevics erreichte. (Vgl. Timothy Garton Ash, The last Revolution, The New York Review of Books, 16.11.2000, Vol. XLVII, #18, der beschreibt, wie jeder einzelne Schritt dieses Putschs durch die USA geplant war.) Um Blutvergießen zu verhindern, hatte dieser auf die verfassungsmäßig vorgesehene zweite Wahlrunde verzichtet. Milosevic auf der Anklagebank, das sollte offenbar die »neugewählten Führer Serbiens in die Lage ... versetzen, sich von den repressiven politischen Praktiken der Vergangenheit zu distanzieren«, dazu, so lehrte uns Michael Scharf, war das ICTY schließlich da. Die USA und die EU untermauerten ihre Forderung einer Auslieferung Milosevics an das ICTY mit der Drohung einer Aussetzung der dringend benötigten Finanzhilfen für die soeben Dank ihrer Einmischung an die Macht gelangte Regierung unter Zoran Djindjic. Diese kam der Forderung nach und verschleppte den ehemaligen Präsidenten symbolträchtig am 28. Juni, dem serbischen Nationalfeiertag, unter Bruch der jugoslawischen Verfassung nach Den Haag.
Slobodan Milosevic hatte ganz und gar nichts gemein mit dem Bild, das die westlichen Regierungen und die gehorsamen Medien von ihm zeichneten. Auch die Anklageschrift des ICTY - nachdem sich Milosevic bereits in Haft in Holland befand, wurden die Anklagepunkte in Sachen Kosovo offenbar wegen der allzu schwachen Beweislage erweitert und man beschuldigte ihn nun auch der Verbrechen in Kroatien und Bosnien - hat nichts mit dem Politiker Milosevic zu tun, als vielmehr mit dem, was die politischen Hintermänner des Tribunals zu verbergen haben. Und so kann es eigentlich nicht verwundern, daß es Milosevic gelang, die Anklageschrift Punkt für Punkt auseinanderzunehmen. Er begegnete der gängigen Version des Balkan-Konfliktes, die bereits in Schulbücher Eingang gefunden hat, mit einer allumfassenden Richtigstellung, die zum Schaden jener, die das ICTY gründeten, um ihre eigene Verwicklung zu vertuschen, keinen Stein auf dem anderen ließ. (Die Rede, die Milosevic zu Beginn seiner Verteidigung gehalten hat, findet sich in deutscher Übersetzung in: Die Zerstörung Jugoslawiens. Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern, Zambon Verlag, Frankfurt am Main 2006; Einblick in das Prozeßgeschehen bietet das Buch Der Milosevic-Prozeß von Germinal Civikov, ProMedia Verlag 2006)
Ein jeder glaubt zu wissen, daß Milosevic am 28. Juni 1989 in Gazimestan im Kosovo anläßlich des 600. Jahrestages der Schlacht auf dem Amselfeld mit einer Haßrede den serbischen Nationalismus entfachte und den Stein ins Rollen brachte, der zum Krieg führte. Im Rahmen seiner Verteidigung hat Milosevic vor dem ICTY eine Aufnahme der Rede vorgespielt und gezeigt, wie hier Tatsachen verdreht wurden. In der Rede hob Milosevic nämlich die Bedeutung der Völkerfreundschaft für den Erhalt Jugoslawiens, insbesondere für den Sozialismus hervor und sagte jeder willkürlichen Teilung der Menschen nach Nationalität oder Religion den Kampf an. Milosevic präsentierte Dokumente und Zeugen, um zu zeigen, daß es »im ehemaligen Jugoslawien nur einen Krieg gab. Einen Krieg gegen Jugoslawien«. Milosevic lieferte Beweise für die illegalen Machenschaften von Clinton, Kohl, Schröder und ihresgleichen, von Kroatien über Bosnien bis hin zum Kosovo, wo 1998 die separatistische kosovo-albanische Terrororganisation UCK, die von US-amerikanischen, deutschen und britischen Geheimdiensten ausgebildet und mit Waffen beliefert wurde, zum militärischen Angriff auf den jugoslawischen Staat überging.
Ein sich selbst verteidigender Milosevic, der es wagte, dies aufzudecken - das widersprach dem Sinn der Erfindung des ICTY und durfte nicht sein. Und so wurde mit ganz verschiedenen Maßnahmen versucht, den Starangeklagten mundtot zu machen. Da zu den Methoden, ihn zu schwächen, ganz offensichtlich auch die Mißachtung seines Gesundheitszustandes zählte, warnte Klaus Hartmann, Vorsitzender des Internationalen Unterstützungskomitees von Milosevic, schon Jahre vor dessen Tod davor, daß das ICTY offensichtlich auf eine »biologische Lösung« des Problems hinsteuere. Das sollte sich bewahrheiten. Am 11. März 2006 wurde der jugoslawische Expräsident tot in seiner Zelle gefunden. Obwohl die Garantien der russischen Regierung vorlagen, die das ICTY selbst verlangt hatte, um Milosevic auf eigenen Wunsch in eine Moskauer Spezialklinik zu überstellen, wurde ihm seitens des Tribunals die Behandlung verwehrt.
Es bleibt die Frage, warum der Westen so daran interessiert war, Jugoslawien zu zerstören und zuletzt 1998/99 die Krise im Kosovo anzuzetteln. Der Hintergrund läßt sich auf die einfache und kurze Formel des in Hamburg lebenden Politikwissenschaftlers Karam Khella reduzieren: »1991 bestehen die realsozialistischen Staaten nicht mehr - Jugoslawien besteht noch.« Milosevic störte dabei mit seinem Anspruch, die Hinterlassenschaft Titos zu beerben. Die Krise im Kosovo sollte letztendlich helfen, ihn zu stürzen. Passend hieß es etwa in der FAZ im Juni 1999, der Krieg um das Kosovo bekomme nur dann historischen Sinn, wenn er eine Epochenwende markiere. »Nach der Niederlage muß in Serbien die ... überfällige demokratische und marktwirtschaftliche Revolution stattfinden.« Im März 2003 warb Ari Fleischer, Sekretär des Weißen Hauses, für den Sturz Saddam Husseins. Dabei gab er offen zu, daß es den massiven Unterstützungsmaßnahmen des Westens zu verdanken ist, daß die zerstrittene Opposition im Oktober 2000 die Milosevic-Regierung stürzen konnte. »Mit ein wenig Hilfe der NATO und der USA« habe es sich auch in Jugoslawien um nichts anderes als einen erfolgreichen »Regime change« gehandelt.
Sebastian Bahlo und Cathrin Schütz
Sebastian Bahlo ist Mitautor des Buches »Die Zerstörung Jugoslawiens. Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern«, erschienen im Zambon Verlag, Frankfurt am Main 2006; Cathrin Schütz ist Diplom-Politologin. Sie war von 2002 bis März 2006 Mitglied des Verteidigungsteams von Slobodan Milosevic am Haager Tribunal. Von ihr erschien u.a. »Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Hintergründe, Nebenwirkungen und Folgen«, Braumüller Universitätsbuchverlag, Wien 2003. Zuletzt veröffentlichte sie einen Beitrag im Buch von Germinal Civikov, »Der Milosevic-Prozeß«, ProMedia Verlag, Wien 2006
Protestaktionen und Veranstaltungen am 23. März gegen die Preisverleihung an Carla del Ponte in Eisenach:
junge Welt vom 21.03.2007