Juristische Akrobatik

Anhörung zum weiteren Vorgehen im Milosevic-Prozeß: Richter wollten Abspaltung des Kosovo-Themas. Expräsident Jugoslawiens wies Ansinnen zurück

Alles bleibt offen, die Verhandlung wird trotz bedenklichem Gesundheitszustand des Angeklagten fortgesetzt - so der neuste Stand im Prozeß gegen Slobodan Milosevic vor dem Den Haager Jugoslawien-Tribunal. Die Idee der Richter, die Anklage gegen den jugoslawischen Ex-Präsidenten nach fast vier Verhandlungsjahren zu zerteilen, stieß in einer Anhörung am Dienstag auf massiven Widerstand Seitens Anklage und Verteidigung. Die Anklage befürchtet, daß die geplante Abtrennung der Kosovo-Anklage mit vorgezogener Urteilsfindung weitere Verhandlungen in Sachen Kroatien und Bosnien in eine ungewisse Zukunft befördern könnte.

Der sich in Nicht-Anerkennung des ad-hoc Tribunals selbst verteidigende Milosevic stellte sich vehement gegen Maßnahmen zur Beschleunigung des Prozesses. Derartige Versuche, die just seit Beginn seiner Verteidigungshalbzeit im Frühjahr 2004 unternommen würden, während die Anklage über zwei Jahre lang beliebig viel Zeit verschwenden konnte, hätten sich nur zu seinem Nachteil ausgewirkt. Dazu zähle die Entscheidung, seine gesundheitliche Lage zu mißbrauchen, um sein Recht auf Selbstverteidigung durch den Einsatz von Zwangsverteidigern zu beschneiden. Dieser Versuch, Milosevics Enthüllungen über die Verantwortung der NATO-Staaten für die blutigen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien zu ersticken, scheiterte bisher an der Weigerung der Zeugen der Verteidigung, sich mit Steven Kay und Gillian Higgins von Anwälten vernehmen zu lassen, die der Angeklagte nicht anerkenne.

Milosevic stellte sich gegen die am Dienstag wiederholt vorgebrachte Dauerforderung der Anklage, Kay erneut an die Spitze der Verteidigung zu stellen, um den Prozeß ungeachtet der Gesundheit Milosevics zu Ende zu bringen. Er forderte die Richter statt dessen auf, endlich den Empfehlungen der Ärzte zu folgen, ihm eine Schonzeit einzuräumen und ihm für die Präsentation der Verteidigung angemessen Zeit zu gewähren. Milosevic widersprach der Logik der Richter, wonach die Verteidigung im Kosovo-Fall fast abgeschlossen sei - die Grundlage ihres Vorschlages, den Kosovo-Fall abzutrennen. In Mitten seiner Beweisführung eine Teilung der einst von der Gegenseite zusammengeflickten Anklage durchzusetzen, wäre "juristische Akrobatik".

Während Kay und Higgins sich der Debatte um die Abspaltung der Kosovo-Anklage enthielten, ergriff der "Freund des Gerichts" (Amicus Curiae) Timothy McCormack, der ansonsten meist durch Abwesenheit glänzt, klar die Partei der Richter.

Im Falle der Prozeßunfähigkeit eines Angeklagten, die hier Dank mangelnder Zeit zur Schonung schon lange vorliegt, gilt allgemein die Niederlegung der Anklage. Doch weder wurde dieser Schritt bisher in Betracht gezogen, noch wurden Maßnahmen ergriffen, um der Krankheit des Angeklagten mit der nötigen Therapie zu begegnen.

Alles in allem handelt es sich bei der Idee, nun plötzlich im Falle von Bosnien und Kroatien die Verhandlungsfähigkeit Milosevics in Frage zu stellen, wohl um einen neuen Versuch, um Biegen und Brechen ungeachtet der Beweislage eine Verurteilung zu erwirken, bevor der Angeklagte eines Tages im Gerichtssaal zusammenbricht. Auch wenn es nur für den Kosovo-Fall ist - der Unterschied zwischen einmal lebenslänglich oder zehnmal ist im Ergebnis irrelevant. Laut Milosevic handelt es sich bei der Wahl des Zeitpunktes, ein Kosovo-Urteil unmittelbar vor Verhandlungen über den künftigen Status der serbischen Provinz erwirken zu wollen, um einen politischen Schachzug, darauf abzielend, den kosovo-albanischen Separatisten in die Hände zu spielen.

Wann die Richter in der Frage der Teilung der Anklage eine Entscheidung treffen werden, ist unklar, genau wie sie sich nicht festlegen wollten, wann über den Rat der Kardiologen, Milosevic eine mehrwöchige Ruhepause verordnen, entschieden wird. Und so wurde der Prozeß am Mittwoch ungeachtet der gesundheitlich kritischen Lage Milosevics fortgesetzt.

Anna Gutenberg

Dieser Artikel erschien gekürzt in: junge Welt vom 01.12.2005


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