Milosevic muß schweigen »Spinne« und »Skorpione« westliche Geheimdienste und Srebrenica. Haager Richter verhindern Aufdeckung unliebsamer Fakten
Eklat in Den Haag: Am gestrigen Mittwoch wollte der ehemalige jugoslawische Staatschef Slobodan Milosevic die Schlußbefragung seines Zeugen Obrad Stevanovic nutzen, um unterdrückte Fakten über das sogenannte Massaker von Srebrenica zu präsentieren. Doch der leitende Richter Patrick Robinson unterbrach den Angeklagten mehrfach, beendete das Kreuzverhör vorzeitig und verlor sogar die sprichwörtliche angelsächsische Coolness. »Sie mißbrauchen das Gericht! Sie beleidigen uns!«, schrie Robinson Milosevic an. Noch nie zuvor seit Prozeßbeginn im Frühjahr 2002 hat ein Richter seine Voreingenommenheit so offensichtlich zum Ausdruck gebracht.
Der Serbe wird frech
Was war geschehen? Milosevic wird wegen der Ereignisse nach der Einnahme von Srebrenica im Juli 1995 des Völkermordes beschuldigt. In dem ostbosnischen Städtchen seien über 7 000 wehrlose Muslime von serbischen Einheiten massakriert worden, behauptet die Anklageschrift. Schon die Ankündigung Milosevics, dieses Dogma vom Völkermord in Srebrenica beweiskräftig in Frage stellen zu wollen, brachte den beisitzenden Richter Ian Bonomy gestern in Harnisch. Ob der Serbe »denn bestreiten wolle, daß es in Srebrenica ein Massaker gegeben«, brauste er auf. »Keineswegs«, erwiderte Milosevic. Es gehe jedoch darum, endlich der Wahrheit über die Abläufe näher zu kommen. Zum einen glaube er nicht, daß die offizielle Todeszahl haltbar sei, zum anderen gebe es ernsthafte Gründe anzunehmen, daß ausländische Geheimdienste mitgemischt hatten, so Milosevic. Dazu wollte der Angeklagte eine Aussage des französischen Blauhelm-Generals Philippe Morillon zitieren. Doch dazu kam es nicht.
Mit allen Mitteln soll offenbar erreicht werden, daß zum zehnten Jahrestag der Ereignisse in Srebrenica am 10. Juli ist der Jahrestag des Falls der Stadt ausschließlich über die serbische Schuld diskutiert wird. Dazu war ein Videofilm recht nützlich, der im Gericht zu Monatsanfang ausgestrahlt und danach in den internationalen Medien breit diskutiert wurde. Er zeigt eine serbische Polizeisondereinheit, die »Skorpione«, bei der kaltblütigen Exekution von sechs wehrlosen muslimischen Gefangenen. Obwohl die Authentizität des Streifens auch von Milosevic nicht bestritten wird, ist der vielbehauptete Zusammenhang der Bluttat mit der Eroberung von Srebrenica alles andere als bewiesen. Vor allem aber ist strittig, ob diese Einheit ihre Befehle aus Belgrad bekam. Nach Aussage des Gründers der Einheit, eines gewissen Milan Milanovic, unterstanden die Skorpione nicht den jugoslawischen Behörden, sondern jenen der abtrünnigen Serbenrepubliken in der Krajina und in Bosnien. Dies sagte Milanovic vor dem Haager Gericht am 14. Oktober 2003 aus und zwar als Zeuge der Anklage. Nachdenklich macht auch, was ein weiterer Gewährsmann der Anklage am 2. April 2003 aussagte, der geschützte (anonyme) Zeuge B-071: Er sah die »Skorpione« während des bosnischen Bürgerkrieges in NATO-Tarnuniformen.
Die »Spinne« sticht
Während in diesem Fall noch reichlich unklar ist, wer die giftigen Insekten zum Töten schickte, verdichten sich in einem anderen die Indizien und genau deswegen mußte Milosevic gestern am Sprechen gehindert werden. »Die Spinne« ist der Name einer zweiten serbischen Sondereinheit, die im Sommer 1995 grausige Massaker an mehreren hundert moslemischen Zivilisten verübte im Unterschied zu den »Skorpionen« sogar in unmittelbarer Nähe von Srebrenica, nämlich auf einer Farm im Dörfchen Pilica. Einer der deswegen in Den Haag Verurteilten, Drazen Erdemovic, gab bei seiner Vernehmung an, daß ihm und den anderen Soldaten ein Befehl der obersten Armeeführung bekannt gemacht worden sei, wonach »unter keinen Umständen« Zivilisten angegriffen werden dürften. Doch von ihren unmittelbaren Vorgesetzten hätten sie andere Order bekommen. Zu diesen Vorgesetzten gehörten unter anderem die »Spinne«-Mitglieder Jugoslav Petrusic und Milorad Pelemis. Petrusic hat neben der jugoslawischen auch die französische Staatsbürgerschaft und ist wohl ein Mann des französischen Geheimdienstes. Fakt ist jedenfalls, daß er 1997 einen Trupp von 180 serbischen Söldnern nach Zaire führte, wo sie sich auf der Seite des von Frankreich gestützten Diktators Mobutu schlugen. Aufhorchen läßt auch, daß die FAZ am 7. Dezember 1999 schrieb, daß Angehörige der Spinne »mit der Sonderpolizei des montenegrinischen Republikspräsidenten Djukanovic zusammenarbeiteten«. Der war zu dem Zeitpunkt vom Westen schon zum Gegenspieler Milosevics aufgebaut worden. Ende November 1999 wurden »Dominik Yugo« so der Spitzname von Petrusic und vier weitere »Spinne«-Kombattanten von den jugoslawischen Behörden unter dem Vorwurf verhaftet, ein Attentat auf Milosevic vorbereitet zu haben.
Eine Vernehmung Petrusic wurde damals gefilmt und auf Pressekonferenzen gezeigt. An einer Stelle hält er Dokumente des französischen Innenministeriums in die Kamera. »Von denen« erhalte er kein Geld, beteuert Petrusic. Er werde bezahlt, indem er gute Jobs als Leibwächter angeboten bekomme, »zum Beispiel für die Prinzessin von Katar«.
Ob man dieses Video auch einmal in Den Haag zu sehen bekommen wird?
Anna Gutenberg / Jürgen Elsässer junge Welt vom 16.06.2005