Alibiprozeß in Den Haag

Verfahren gegen früheren UCK-Führer Haradinaj eröffnet. Anklage könnte Separation des Kosovos von Serbien forcieren

Die drei Angeklagten plädierten in allen Anklagepunkten auf nicht schuldig«, erklärte Carmel Agius, Richter am Den Haager »Kriegsverbrechertribunal«, am gestrigen Montag. Damit begann mit einer ersten Anhörung der Prozeß gegen drei ehemalige Kommandeure der sogenannten Kosovo-Befreiungsarmee UCK, darunter deren hochrangiger Führer Ramush Haradinaj, von Dezember 2004 bis zu seinem Rücktritt in der vergangenen Woche Ministerpräsident der provisorischen Regierung im UNO-Protektorat Kosovo. Mit ihm stellten sich auch seine vormals Unterstellten Lahmi Brahimaj und Idriz Balaj am Mittwoch freiwillig. Die Anklageschrift umfaßt 37 Punkte, in denen den drei Kosovo-Albanern vorgeworfen wird, pro-jugoslawische Zivilisten, darunter Serben, Albaner und Roma, systematisch verfolgt, mißhandelt und getötet zu haben.

Vor zwei Jahren wurden erstmals drei Kosovo-Albaner an das Tribunal ausgeliefert. Auch ihnen wird Mord und Folter vorgeworfen. Genau wie im gestern begonnenen zweiten Prozeß gegen UCK-Angehörige bezieht sich die Anklage allein auf das Jahr 1998, während der damalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic mit Ausnahme des umstrittenen »Massakers von Racak« ausschließlich für Verbrechen angeklagt ist, die nach Beginn des NATO-Krieges im März 1999 begangen wurden. Eine fragwürdige Tatsache, wenn man dem Argument der NATO Glauben schenkt, das Militärbündnis habe sich zur Intervention entschieden, um die kosovo-albanische Bevölkerung vor dem kaltblütigen Wüten der Belgrader Sicherheitskräfte zu bewahren. Obwohl die Anklage der UCK-Kämpfer auch in Belgrad mit dem Argument gelobt wird, sie zeige, daß auch in den Reihen der UCK Verbrechen begangen wurden, darf nicht übersehen werden, daß die Kriegsverantwortung in den Anklagen des Tribunals weiter ausschließlich auf serbischer Seite ausgemacht wird. Absicht ist, den Eindruck eines unparteiischen Tribunals zu vermitteln – obgleich die Instanz von zahlreicher Juristen als illegal bezeichnet wird und hinter der politisch wie finanziell die NATO steht. Die Anklage Haradinajs wird letztlich den Zielen der NATO dienen, das Kosovo schnellstmöglich in die Unabhängigkeit zu führen. Søren Jessen-Petersen, derzeit Leiter der UNO-Mission im Kosovo, wies in diesem Sinne anläßlich der freiwilligen Auslieferung Haradinajs auf die »wachsende politische Reife« der Kosovaren hin.

Anna Gutenberg

junge Welt vom 15.03.2005


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