»Unsere Arbeitsbedingungen sind katastrophal«

Kleinstes Team im größten Prozeß: Die Verteidigungsgruppe um Slobodan Milosevic hat kaum Unterstützung. Gespräch mit Cathrin Schütz

Cathrin Schütz (33) ist Diplompolitologin aus Frankfurt am Main und arbeitet im Verteidigungsteam des jugoslawischen Expräsidenten Slobodan Milosevic

F: Sie arbeiten im Verteidigungsteam des in Den Haag angeklagten Slobodan Milosevic und stehen mit diesem in regelmäßigem Kontakt. Zunächst, wie steht es um den Gesundheitszustand des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten?

Für alle, die den Prozeß live oder im Internet (www.un.org/icty) verfolgen, ist offensichtlich, daß er sich derzeit guter Gesundheit erfreut. Nichtsdestotrotz hat er chronischen Bluthochdruck, und es gab Phasen, in denen sein Zustand nicht gut war. Ich sehe die letzten Richterentscheidungen daher als große Bedrohung für seine Gesundheit. Die Haager Richter haben Milosevic zu Beginn seiner Verteidigungszeit Anfang September das Recht auf Selbstverteidigung entzogen und ihm gegen seinen Willen in rechtlich mehr als fragwürdiger Weise zwei britische Anwälte als Zwangsverteidiger vorgesetzt.

Obwohl man ihm derzeit die Führung seiner Verteidigung erlaubt, kann der Prozeß gegen Milosevic jederzeit in dessen Abwesenheit fortgesetzt werden: Fällt er krankheitsbedingt aus, sollen die Briten den Prozeß ohne ihn weiterführen. Um sich nicht aus dem Gerichtssaal verdrängen zu lassen, könnte Milosevic sich also gezwungen sehen, weit über seine Kräfte zu gehen und mögliches Unwohlsein verschweigen.

F: Wer gehört dem Verteidigungsteam an?

Das Verteidigungsteam vor Ort in Den Haag besteht seit Prozeßbeginn aus den Belgrader Anwälten Dragoslav Ognjanovic und Zdenko Tomanovic. Vor einem Jahr wurde das Team um den Belgrader Rechtsprofessor Branko Rakic erweitert. Ich arbeitete seit Prozeßbeginn als wissenschaftliche Mitarbeiterin zunächst in Belgrad – dort gibt es ein Team von freiwilligen Helfern, das Milosevic zuarbeitet – und seit knapp einem Jahr am Tribunal in Den Haag.

F: Milosevic erkennt das Tribunal nicht an und verteidigt sich selbst. Welche Aufgaben kommen dann seinem Team zu?

Als Person, die sich selbst verteidigt, ist er auf Assistenten angewiesen, um Informationen zu erhalten. Während der Anklagezeit waren viele tausend Seiten zu lesen und das Kreuzverhör für knapp 300 Zeugen vorzubereiten. Parallel dazu mußten erste Zeugen der Verteidigung kontaktiert und vorbereitet werden. Während der Anklage für diese Aufgaben ein riesiges Team und ein großes Budget zur Verfügung steht, müssen wir versuchen, hundert Dinge gleichzeitig zu erledigen.

F: Wie sehen Ihre Arbeitsbedingungen aus?

Aus finanziellen Gründen sind wir das kleinste aller Verteidigungsteams, obwohl wir in den größten Prozeß am Haager Tribunal involviert sind. Meine Belgader Kollegen müssen sich abwechseln, so daß nur jeweils einer in Den Haag ist. Da das Arbeitsvolumen seit Beginn der Verteidigung drastisch zugenommen hat, versuche ich, die meiste Zeit in Den Haag zu verbringen, so daß unser Team wenigstens aus zwei Kräften vor Ort besteht. Die Arbeit vor allem mit den Zeugen ist spannend, doch unsere Arbeitsbedingungen sind alles in allem katastrophal.

F: Aber in den Medien war doch früher immer zu lesen, Milosevic hätte Millionen, wenn nicht Milliarden, auf Privatkonten im Ausland?

Fragt sich bloß, warum weder Interpol noch Schweizer Bankenaufsicht in jahrelanger Suche nicht einen Dollar, nicht ein Fränkli fanden. Doch selbst wenn sie allesamt unfähig wären, und ein geheimer Schatz existierte: Nach EU-Beschluß wären alle auftauchenden Gelder sofort einzufrieren, stünden also auch nicht für die Verteidigung zur Verfügung.

In den Medien war und ist viel über Milosevic zu lesen – und das meiste ist nicht richtig. Es ist eine Tatsache, daß wir uns in einem finanziellen Desaster befinden. Das Geld kommt mehrheitlich durch Spenden aus Serbien und des Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM) zusammen. Doch die politische und soziale Lage in Serbien versprechen keine Linderung der Finanzprobleme. Deshalb sind wir gezwungen, mit einem minimalen Budget auszukommen, obwohl die Arbeit stetig ansteigt.

Interview: Rüdiger Göbel

junge Welt vom 15. Dezember 2004


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