Freie Hand für Milosevics Gegner

Pflichtverteidiger des jugoslawischen Expräsidenten stützen die Anklage. Rücktritt angekündigt

Mit Beginn der zweiten Phase des Prozesses gegen den ehemaligen jugoslawischen Staatschef Slobodan Milosevic vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag traten diese Woche die beiden ersten Zeugen der Verteidigung auf. Überschatten wird der Start der Verteidigungshalbzeit jedoch vom Umstand, daß die Richter in der Woche zuvor Zwangsverteidiger für Milosevic eingesetzt haben, gegen dessen erklärten Willen. Die beiden Pflichtverteidiger, die Briten Steven Kay und Gillian Higgins, haben bis zum Antritt dieser Funktion als "Freunde des Gerichts" gedient, die dem sich selbst verteidigenden Milosevic von den Richtern zur Seite gestellt wurden, um für einen faieren Prozeß zu sorgen. Zahlreiche Juristen kritisieren die Entscheidung heftig. Milosevic erkennt die Entscheidung der Richter nicht an und weigert sich, an der Zeugenbefragung teilzunehmen. Kay mißachte seine Verteidigungsstrategie und führe das Verhör zu seinen Ungunsten. Tatsächlich sahen sich die ersten Zeugen im Verhör einem sichtlich unvorbereiteten Kay ausgesetzt. Trotz der Angriffe von Nice und dem unprofessionellen Handeln von Kay brachten die Zeugenaussagen viele wichtige Aspekte ans Licht. Die Belgrader Rechtsprofessorin Smilja Avramov, juristsiche Beraterin in Milosevics Verhandlungsdelegationen Anfang der 1990er, nahm dem Konstrukt der Anklage, Milosevic einen "kriminellen Plan" der Errichtung eines "Groß-Serbiens" zu unterstellen, ein Konzept, das alle Verbrechen, denen er beschuldigt wird, von Kraotien über Bosnien bis hin zum Kosovo, in einen logischen Zusammenhang setzten soll, jede Existenzberechtigung. Es sei absurd, Milosevic eine solche Absicht zu unterstellen. Dieser habe daran festgehalten, Jugoslawien erhalten zu wollen: "Er hat durchgängig mit der Internationalen Staatengemeinschaft kooperiert, um eine friedliche Lösung zu finden". Er habe niemals für eine Politik der ethnischen Säuberung gestanden, eine Aussage, die im Einklang mit der Stellungnahme eines der lezten Zeugen der Anklage, David Owen, steht.

Als zweiter Zeuge trat der US-Amerikanische Jurist James Jatras auf. Als Mitglied der Republikanischen Partei war er lange Jahre als Politikanalyst im Senat tätig. Seine Aussage bezog sich auf die Verwicklungen der Clinton-Regierung in Waffenlieferungen aus dem Iran an die bosnischen Muslime und die Teilnahme von Mudschahedin am Bürgerkrieg in Bosnien. Den Charakter der Izetbegovic-Regierung in Bosnien stellte er als "muslimisch-fundamentalistisch" dar und stellte dieses in Kontras zur öffentlichen Position der Clinton-Regeirung, die wider besseren Wissens von einem "multikulturellen demokratischen Regime" gesprochen hatte. Ankläger Nice versuchte den Zeugen zunächst über dessen griechisch-orthodoxen Familienhintergrund als parteiisch abzubilden. Auch dessen "Verstrickungen in die serbische Diaspora in den USA" - die tatsächlich lediglich darin bestehen, daß Jatras dort als Referent aufgetreten ist - seien fragwürdig. Er unternahm alles, um den Zeugen mit Hilfe wild zusammengetragener Zitate als Islamistenhasser abzubilden. Das moralisch fragwürdige Verhalten von dem vom Gericht ernannten Verteidiger Kay gipfelte darin, daß dieser gegenüber den fragwürdigen Methoden von Nice in dieser ersten Woche nicht ein einziges mal Einspruch einlegte.

Wie es weitergeht, muß offen bleiben. Kay sah sich offenbar gezwungen, am Ende der Verhandlung bekannt zu geben, daß die für die nächste Woche vorgesehen Zeugen teils unsicher sind, ob sie unter den neuen Bedingungen aussagen wollen oder dies öffentlich bereits ablehnten, um sich so gegen die Richterentscheidung zu stellen, Milosevic das Recht auf Selbstverteidigung zu entziehen.

Anna Gutenberg, Den Haag

erschien leicht gekürzt in junge Welt vom 10. September 2004


zurück