Eingeschränkte Verteidigung

Haager Tribunal: Slobodan Milosevic schließt Zusammenarbeit mit seinen Pflichtanwälten aus

Am gestrigen Dienstag begann die Verteidigung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Als erste Zeugin der Verteidigung erschien die Belgrader Rechtsprofessorin Smilja Avramov, die von den Richtern als die "Zeugin von Steven Kay" bezeichnet wurde. Dieser und Gillian Higgins wurden vergangene Woche von den Richtern gegen den erklärten Willen von Herrn Milosevic als dessen Verteidiger ernannt. Bis dato hatten sie die Funktion der "Freunde des Gerichts" erfüllt, die dem sich bis gestern selbst verteidigenden Milosevic zu Prozeßbeginn gegen dessen Willen zur Seite gestellt wurden, um über die Faineß des Prozesses zu wachen. Der ehemalige US-amerikansiche Justizminister Ramsey Clark wies nach der Entscheidung der Richter auf die Illaglitatet der Entscheidung hin. Wie Milosevic selbst hält er das Recht auf Selbstverteidigung für ein elemantares Menschenrecht, das auch im Statut des Tribunals verankert ist. Der ehemalige Kollege von Kay ud Higgins, Branisvlav Tapuskovic, hatte sich auf das Statut des Tribunals bezogen, als er kürzlich in einem Interview gegenüber jW erklärte, warum er das Angebot des Tribunals abgelehnt hatte, sich auf die Liste möglicher Zwangsverteidiger für Milosevic setzen zu lassen.

Milosevic machte gestern wie auch in der vergangene Woche deutlich, daß er die Entscheidung nicht anerkenne. Er weigerte sich, mit den ihm aufgezwungenen Verteidigern in Kontakt zu tereten, so Kay zu Beginn der gestrigen Sitzung. "Herr Kay ist nicht mein Verteidiger, sondern ihrer" lautete der Kommentar von Milosevic an die Richterkammer.

Der vorsitzende Richter Robinson verbot dem Angeklagten jede weitere Ausführung zu diesem Thema. Er rief Milosevic am Ende der Sitzung erneut dazu auf, mit Kay zu kommunizieren, was dieser kategorisch ausschließt. Er werde nicht an der illegalen Reduzierung seiner Rechte teilnehmen. Professor Avramov, die auf Wunschn ihres ehemaligen Studenten Milosevic seit 1991 in zahlreiche Friedensverhandlungen und Initiativen involviert war und auf Grund ihres beständigen Kontaktes mit Milosevic dessen Positionen darlegte, wurde von den Richtern wiederholt unterbrochen und ermahnt. Nichts desto trotz konnten diese Avramov nicht bremsen und mußten sich aus ihrem Munde anhören, wie absurd es sei, Milosevic die Planung eines "Groß-Serbiens" vorzuwerfen. Der ehemalige Präsident habe zum Mißfallen vieler Serben immer wieder auf Verhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft gesetzt, zu denen er keine Alternative sah.

Milosevic machte klar, daß die Befragung von Kay in keiner Weise mit seiner eigenen Verteidigungsstrategie übereinstimme. Ankläger Nice versuchte die alte Dame, die sich ähnlich wie Milosevic den Mahnung der Richter argumentativ zu widersetzen wußte, als "serbische Nationalistin" zu diskreditieren - auf einen Einspruch von Kay konnte man vergeblich warten. Avramovs Ausfürungen über die Ängste der serbischen Minderheit in Kroatien und die komplexe Situation im ehemaligen Jugoslawien beantwortete Nice mit der provokanten Frage, was eigentlich "so besonders an den Serben sei". Diese Frage bestätigt die Linie von Milosevic, den Balkankonflikt der 1990er Jahre immer wieder in den Kontext des Ersten und Zweiten Weltkriegs setzen zu müssen.

Die Richter unterbrachen Avramov immer dann, wenn sie für den Westen, vor allem die Kohl-Regierung unliebsame Fakten hervorbrachte. Milosevic selbst machte seine Position vergangene Woche deutlich, als er den Richtern vorwarf, das Argument seiner Krankheit vorzuschieben, um ihm die Kontrolle über seine Verteidigung zu entziehen. Wie der erste Tag im Gericht zeigte, ist dies den Richtern gelungen. Alles in allem spielte sich ein schlecht inszeniertes Spektakel ab, dem es an jeder Seriösität mangelt.

Anna Gutenberg, Den Haag

erschien leicht gekürzt in junge Welt vom 8. September 2004


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