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Kurzer Prozeß gegen Milosevic: Medizinische Argumente nur vorgeschoben?

jW sprach mit Klaus Hartmann, Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes und Vizepräsident des Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic

F: Das Haager Tribunal hat mit dem Hinweis auf Zeitprobleme verfügt, daß der Expräsident von Jugoslawien, Slobodan Milosevic, sich nicht mehr selbst verteidigen darf. Wollen die Richter jetzt kurzen Prozeß machen?

Das Tribunal will Milosevic nur 150 Tage zu seiner Verteidigung einräumen – was im Vergleich mit den fast 300 Tagen, die die Anklage zur Verfügung hatte, in der Tat an einen kurzen Prozeß denken läßt. Das ist eine eindeutige Verletzung des international anerkannten Rechtsgrundsatzes der Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung. Ein weiteres elementares Recht des Angeklagten wird dadurch verletzt, daß ihm ein Verteidiger aufgezwungen wird. Das Recht, sich selbst zu verteidigen, hatten nicht einmal die Nazis im Reichstagsbrand-Prozeß gegen Georgi Dimitroff in Frage gestellt. Ebenso wenig die südafrikanischen Apartheid-Rassisten im Prozeß gegen Nelson Mandela.

F: Wird mit dieser Entscheidung nicht auch die Prozeßordnung verletzt?

Auf jeden Fall. In der vom Gericht selbst geschaffenen Prozeßordnung steht, das Recht des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, sei unangreifbar. Die von der Anklage nun vorgebrachten Präzedenzfälle, in denen Ausnahmen von dieser Regel gemacht wurden, beziehen sich darauf, daß der jeweilige Angeklagte nicht in der Lage war zu verstehen, um was es geht. Hier haben wir es ja umgekehrt mit dem Fall zu tun, daß der Angeklagte für die intellektuellen Zwerge auf der Richter- und Anklägerbank zu intelligent ist.

F: Aber muß man nicht die medizinischen Argumente ernst nehmen?

Die sind vorgeschoben. Drei Jahre hat sich niemand dafür interessiert, wie es ihm geht. Nur jetzt, wo er eigene Zeugen bringen darf, wird die Sorge um seine Gesundheit als Vorwand genommen, um ihm elementare Rechte zu nehmen. Milosevic selbst sagte dazu, das sei die Panik der Anklage, demnächst die Wahrheit auch aus dem Mund von Zeugen hören zu müssen.

F: Sie waren in den letzten Tagen beim Prozeß in Den Haag. Welchen Eindruck machte Milosevic?

Er ist von ungebrochener Kampfmoral – das war wohl für Tribunal und Anklage ausschlaggebend, zu diesen rechtswidrigen Mitteln zu greifen. Milosevic selbst sagte, er habe das Privileg, den wichtigsten Verbündeten auf seiner Seite zu haben: die Wahrheit. Und das ist exakt das, was die Vertreter dieses kriminellen Unternehmens fürchten.

Was die Anklage indirekt bestätigt: Wenn Milosevic sich selbst verteidige, so führte sie aus, bestehe die Gefahr, daß er seine Zeugen selbst vorbereite. Das ist ein offenkundiger Versuch der politischen Zensur, den man eher dem Volksgerichtshof der Nazis unter Roland Freisler zugetraut hätte.

Der Ankläger bezog sich auch darauf, daß Milosevic den Gerichtshof als illegal bezeichnet. Es könne doch nicht hingenommen werden, sagte er, daß Milosevic seine Zeugen mit den Worten aufrufe: »Und jetzt erzählen Sie bitte diesem illegalen Gerichtshof, was Sie wissen.«

Interview: Peter Wolter

junge Welt vom 3. September 2004


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