Medienshow in Haag - buntes Treiben hinter den Kulissen

Zwangsverteidiger für Miloševic?

Lange angekündigt, sollte am Montag der Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Staatschef Slobodan Miloševic vor dem ad-hoc Tribunals zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) in die zweite Runde gehen. Für die Journalisten im gefüllten Gerichtssaal des ICTY kam es zu einer Überraschung, waren sie doch zur Eröffnung der Verteidigung aus aller Welt angereist. Zwar wurden sie informiert, dass sich die Sitzung um zwei Stunden auf 11.00 Uhr verschiebe, doch wurde mit keinem Wort berichtet, was Herrn Miloševic und seinem Assistenten, Zdenko Tomanovic, 6 Tage zuvor durch das Tribunal mitgeteilt wurde: der vom Tribunal ernannte Arzt hatte wegen des schlechten Gesundheitszustandes von Miloševic einen Aufschub angeordnet. Ein paar Journalisten hatten durch Tomanovic von diesem Umstand erfahren, doch seitens des Tribunals wurde die Presse sichtlich fehlinformiert.

Offenbar wollte man eine neu einberufene administrative Sitzung abhalten und dazu ein großes Medienaufgebot anlocken. Und so ereignete sich am Montag ein komisches Spektakel: Die Presse erscheint in Scharen, weil sie glaubt, das die Verteidigung beginnt und bekommt statt dessen vorgeführt, wie Richter, Ankläger und "Freunde des Gerichts" just an jenem Morgen entdecken, wie schlimm die Krankheit von Miloševic eigentlich ist - ganz so, als hätten diese das nicht seit zwei Jahren gewusst! Dann spielte man sich die Bälle gegenseitig zu: Steven Kay, der einzig verbliebene der einst drei sogenannten "Freunde des Gerichts", die von den Richtern gegen den Willen vom sich selbst verteidigenden Miloševic eingesetzt wurden, um für einen fairen Prozess zu sorgen, oder, will man böse Zungen sprechen lassen, um dem illegalen und unfairen Prozess den Mantel der Gerechtigkeit umzuhängen, äußerte die Maximalforderung: Einstellung des Prozesses. Diese Aussage wurde von BBC daraufhin wiederholt ausgestrahlt. Damit halfen Kay und BBC, die Öffentlichkeit auf alle Maßnahmen vorzubereiten, die nun folgen könnten. Die Richter gaben ihre Entscheidung, ob und wie fortgefahren werden soll, am Dienstag bekannt. Wahrscheinlich scheint, dass sie der Forderung der Anklage stattgeben und Miloševic einen Pflichtverteidiger aufzwingen, was dieser zurecht strikt ablehnt. Das Statut des ICTY gibt jedem Angeklagten das Recht auf Selbstverteidigung. Auch ist dort festgehalten, dass kein Anwalt gegen den Willen eines Angeklagten agieren kann.

Klar ist, dass der Prozess kurz vor der Sommerpause am 14. Juli weitergeht, sollte es der Zustand des Angeklagten erlauben. Offensichtlich geht es darum, Möglichkeiten auszuloten, Miloševic mundtot zu machen und ihn weitgehend aus seinem Prozess zu verdrängen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, welch für die westlichen Staaten unliebsame Fakten er präsentieren will. Ihm wird die Verantwortung für schwerste Kriegsverbrechen in Kroatien und Kosovo und Völkermord in Bosnien vorgeworfen und eines seiner Ziele ist, die Verwicklung vor allem der deutschen und US-amerikanischen Regierung in das Kriegsgeschehen der 1990er Jahre nachzuweisen. In diesem Sinne könnte man auch nach dem Grund fragen, warum das Tribunal hinter verschlossenen Türen exakt in den für die Zukunft des Miloševic-Prozesses entscheidenden Tagen zwei hochkarätige Besucher empfangen hat: die von Insidern des ICTY als "Mutter des Tribunals" bezeichnete ex-US-Außenministerin Madeleine Albright, nach der die NATO-Agression gegen Jugoslawien als "Albrights Krieg" bezeichnet wird, und den US-Botschfater für Kriegsverbrechen, Pierre-Richard Prosper.

Cathrin Schütz, Den Haag

erschien leicht gekürzt in junge Welt vom 8. Juli 2004


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