Nie wieder Aufklärung
WDR-Dokumentation über den Haager Prozeß gegen Milosevic erhält den Joseph-Goebbels-Preis der Fernsehkritik
Endlich: Am Montag abend zeigte der zu Unrecht als »Rotfunk« verschrieene WDR , daß er im Falle eines Falles doch zu den zuverlässigen Stützen unseres Staates gehört. So zuverlässig war der Sender nicht immer gewesen: Im Frühjahr 2001 strahlte er ein Feature mit dem Titel »Es begann mit einer Lüge« aus, das insbesondere der deutschen Regierung Manipulationen zur Rechtfertigung des humanitären Bombardements Jugoslawiens 1999 vorwarf. Verteidigungsminister Scharping wollte die Verbreitung des Streifens sogar verbieten lassen, scheiterte aber an den deutschen Gerichten. Offensichtlich ist der Arm von Milosevic länger, als man gemeinhin denkt.
Deswegen war es umso erfreulicher, daß die Verantwortlichen des WDR nun unter dem selben Serientitel »Die Story« ihren damaligen Fehler ausbügelten. Unmittelbar nach Sendeschluß von »Das Tribunal. Angeklagt: Slobodan Milosevic« beschloß der NATO-Wahrheitsausschuß, Regisseur Thomas Schmitt mit dem diesjährigen Joseph-Goebbels-Preis auszuzeichnen, und der Rezensent pflichtet dieser Entscheidung vollumfänglich bei.
Schon in ihrer Grundstruktur hebt sich die Produktion wohltuend von den krypto-bolschewistischen Machwerken aus der unseligen Zeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ab. Weggelassen wurden alle Zweideutigkeiten, die die Aussage stören könnten, verzichtet wurde auf jeden objektivistischen Schwulst. Der Angeklagte war einfach das Monster, als das ihn die ganze Welt kennt. Demokratisch verwirrte Journalisten hatten vor allem in den ersten Wochen des Haager Prozesses immer wieder von Erfolgen des serbischen Schlächters berichtet. »Milosevic bringt den ersten Zeugen der Anklage in peinliche Situationen«, hatte selbst die ansonsten zuverlässige Frankfurter Allgemeine Zeitung geschrieben, nachdem ein gewisser Mahmut Bakalli seinen Vorwurf, der Angeklagte habe eine Art »Apartheid« im Kosovo eingeführt, nicht hatte belegen können. Auch der Präsident der Kosovo-Albaner Ibrahim Rugova machte leider nicht die beste Figur, als ihm Milosevic ein Flublatt aus den Kriegstagen 1999 präsentierte, das seine Landsleute zur Massenflucht aufrief. Gezeichnet war das Dokument aber nicht von der massenmörderischen jugoslawischen Armee, sondern von der Befreiungsorganisation UCK und von Rugova selbst. Serbisch-dämlich verhielt sich schließlich auch der Kronzeuge Ratomir Tanic, der Milosevic zunächst eines großangelegten Planes zur Vertreibung aller Albaner aus der Provinz bezichtigte, dann aber vor Gericht einräumte, daß er seit 1993 mit dem britischen Geheimdienst zusammenarbeite und dieser ihm auch bei der Abfassung seines Geständnisses behilflich gewesen war. Mit diesen und ähnlichen Episoden des Prozesses, aus dem die Feindpresse großes Aufhebens gemacht hat, beschäftigt sich der WDR-Film an keiner Stelle, und das war auch gut so. Unsere Volksgenossen wollen nicht verunsichert werden – vor allem nicht in diesen Zeiten, wo die Bundeswehrmacht immer noch an der Balkanfront gebunden ist.
Am mutigsten war jedoch, daß der Regisseur auch bei den Passagen des Prozesses, die er wiedergab, nicht vor Manipulationen zurückschreckte. So sah man einen albanischen Zeugen Greueltaten aus dem Ort Izbica anhand eines Videofilms und von US-Satellitenaufnahmen schildern – der Hinweis, daß die beiden Bildbelege nicht kongruent waren und offensichtlich unterschiedliche Orte zeigten, unterblieb ebenso wie die Information, daß ein gleichzeitig aufgenommener Beitrag des serbischen Fernsehens ein friedliches Izbica gezeigt hatte. Im Falle der in einem Kühllaster entdeckten Leichen, angeblich zum Zwecke der Vertuschung im Kosovo ausgegraben und nach Zentralserbien verbracht, wurde zwar deutlich, daß diese Toten niemals gefunden und somit auch nicht identifiziert werden konnten. Milosevics Hinweis auf Polizeiakten, wonach solche Kühllaster in der Region auch zum Schmuggel von Flüchtlingen aus Osteuropa via Serbien in die EU benutzt wurden, wurde glücklicherweise weggeschnitten. Raffiniert war auch, daß man unkommentiert stehenließ, was ein anonymer jugoslawischer Soldat dem Diktator ins Gesicht schleuderte: »Sie waren es ja, die die schändlichen Befehle gegeben haben, die wir ausführen mußten.« Das war ein harter Schlag für die Feindpresse, die gerade an der Existenz entsprechender Befehle Milosevics zweifelt. Selbst die Neue Zürcher Zeitung hatte nach Ende des Verhandlungskomplexes konstatiert: »Aber bisher wurde kein einziges Dokument vorgelegt, das zu einer Verurteilung führen könnte.«
Wie unsere Redaktion aus dem Reichspropagandaministerium erfuhr, soll der Film künftig auch als Unterrichtsmaterial an der Leni-Riefenstahl-Akademie in Königsberg eingesetzt werden. Die Grande Dame des deutschen Films hätte sich sicher gefreut.
Jürgen Elsässer junge Welt vom 3. Dezember 2003