Kuhhandel in Den Haag

Anklage gegen serbische Generäle steht offenbar im Zusammenhang mit Milosevic-Prozeß

Die Belgrader Regierung reagiert mit Protest auf die in dieser Woche durch das »Kriegsverbrechertribunal« in Den Haag (ICTY) öffentlich gemachten Anklagen gegen vier serbische Armee- und Polizei-Generäle, die während der NATO-Aggression 1999 eine Schlüsselrolle spielten. Die Haager Anklage unter Carla del Ponte beschuldigt sie, gemeinsam mit dem ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic eine »systematische Kampagne der Gewalt gegen kosovo-albanische Zivilisten angeordnet« zu haben.

Der serbische Premier Zoran Zivkovic beklagte mit Verweis auf die anhaltende Krise der prowestlichen Regierung in Serbien vor allem den Zeitpunkt der Bekanntmachung der Anklagen gegen die Generäle Vladimir Lazarevic, Nebojsa Pavkovic, Sreten Lukic und Vlastimir Djordjevic.

Pavkovic, während des Krieges zuständig für Südserbien und Kosovo, wurde später zum Oberkommandierenden der jugoslawischen Armee befördert. Im Oktober 2000 entzog er dem gegen Vojislav Kostunica kandidierenden Milosevic die Unterstützung und behielt im Gegenzug unter dem neuen Regime seinen Posten. Offenbar aus Furcht vor einer Anklage stellte er sich dann hinter den mit mehr Macht ausgestatteten Premier Zoran Djindjic, worauf Kostunica ihn in den Ruhestand schickte. In den ersten gescheiterten serbischen Präsidentschaftswahlen Ende 2002 kandidierte Pavkovic auf Drängen Djindjics, der hoffte, damit die Stimmen für den von Milosevic unterstützen Kandidaten Vojislav Seselj zu reduzieren. Pavkovic scheiterte kläglich und sah sich gezwungen, sich den Fragen der Haager Ankläger zu stellen. Offenbar weil er nicht die gewünschte Aussage machte, wurde er während des Ausnahmezustandes im Frühjahr inhaftiert.

Schon im April hatten Regierungsvertreter ihre Schwierigkeiten bei der befohlenen Kooperation mit dem Tribunal beklagt. Mit Blick auf Lukic, der 1999 die Polizeieinheiten im Kosovo kommandierte, hatten sie den Schutz der Schlüsselfiguren bei der Durchführung des nach Ermordung Djindjics verhängten Ausnahmezustandes gesucht. Die Anklage des nach dem Sturz Milosevics 2000 zum zweiten Mann hinter dem Innenminister beförderten Polizeichefs sorgt daher für heftigen Protest.

Die Anklagen stehen offensichtlich im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen Milosevic. Der Anklage bleiben nur noch etwa 30 Tage, um Beweise vorzubringen. Im Zuge seiner Selbstverteidigung konnte der Expräsident die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entkräften. Nachdem del Ponte kürzlich ankündigte, am Ende der Anklagehalbzeit hochkarätige Offizielle der Milosevic-Regierung zu laden, scheint auch im Falle der Generäle ein Handel »Belastungsaussage gegen Milosevic für eigene Strafmilderung« vorgesehen.

Sollte sich Belgrad auf einen von den USA angebotenen Deal einlassen und statt der Generäle den bosnischen Serbenführer Ratko Mladic an das Tribunal ausliefern, wird es in der Bevölkerung zu starkem Widerstand kommen. Für Haag ist es einerlei, ob die serbischen Generäle oder Mladic zur Konstruktion eines »Beweises« gegen Milosevic herhalten – nur Eile ist geboten.

Cathrin Schütz

junge Welt vom 23. Oktober 2003


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