Politische Repression

Serbien: Verhaftungswelle richtet sich zunehmend gegen Opposition

Seit wenigen Tagen richtet sich die Verhaftungswelle in Serbien auch gegen Personen aus dem oppositionellen Spektrum. Mitglieder der Organisation SLOBODA, die für die Verteidigung von Slobodan Milosevic vor dem Haager Tribunal arbeitet, sowie Mitglieder der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) und der Vereinigten Linken (JUL) wurden polizeilich vernommen. Mehrere Büros und Privatwohnungen wurden durchsucht, Computer und anderes Material beschlagnahmt. Mindestens drei Personen, Uros Suvakovic (SPS), Goran Matic (JUL) und Boguljub Bjelica (SLOBODA), wurden in Haft genommen.

Am vergangenen Freitag wurden die Durchsuchungen von der Polizei zunächst in den Zusammenhang mit der Fahndung nach Milosevics Ehefrau Mira Markovic gestellt. Nach ihr würde zwecks Befragung im Mordfall Ivan Stambolic gesucht. Stambolic, ehemals Präsident Serbiens und politischer Gegner Milosevics, verschwand vier Wochen vor den Wahlen, die zum Regierungswechsel in Jugoslawien führten. Laut von der Presse wiedergegebenen Angaben des Innenministers Mihailovic sei die Ermordung klar politisch motiviert gewesen, ein politischer Rivale Milosevics sollte beseitigt werden.

In diesem Sinne wird die Frau von Slobodan Milosevic seit Tagen mit dem Mord in Zusammenhang gebracht. Der Fall Stambolic kam im Zuge der Fahndung nach den Verantwortlichen für das Attentat auf Premierminister Zoran Djindjic ins Rollen. Mitglieder der inzwischen aufgelösten Sondereinheit Rote Barette, in dessen Reihen der Schütze auf Djindjic ausgemacht wurde, hätten den Mord an Stambolic gestanden.

Nach früheren Angaben regierender DOS-Führer spielten Kommandierende der Roten Barette eine wichtige Rolle beim Sturz Milosevics sowie später bei dessen Inhaftierung. Einige Politiker nannten sie gar die »Helden der Revolution des 5. Oktobers«. Offensichtlich scheint, daß es für eineinhalb Jahre wenigstens eine Koexistenz zwischen ihnen und dem Regime gab. Innenminister Mihailovic hat Legija, jetzige Nummer eins auf der Fahndungsliste, einen Monat vor der Ermordung Djindjics öffentlich als »anständigen Bürger« bezeichnet, immer bereit, mit der Polizei zu kooperieren. Eine größere öffentliche Debatte über die Kommandierenden der Roten Barette als mögliche Angeklagte in Den Haag startete vor wenigen Wochen, als die Ankläger von Haag ein Video über einen Besuch Milosevics in ihrer Kaserne in Kula zeigten.

Von der ehemaligen »Oppositions«- und Anti-Milosevic-Gruppe OTPOR unterstützt, begann nun eine regelrechte Jagd auf »die rote Hexe« Mira Markovic, obwohl der Polizei offenbar jegliche Beweise für eine Verwicklung des Ehepaars Milosevic-Markovic in den Fall fehlen. Aus den Reihen von SLOBODA wurde seit Verhängung des Ausnahmezustandes gewarnt, daß sich die Maßnahmen des »Kampfes gegen die Mafia« auch gegen politisch Oppositionelle richten könnte. Die Inhaftierung von Bjelica, dem Vorsitzenden von SLOBODA, sowie die Beschlagnahmung der Computer dieser Organisation können mit dem Versuch, Milosevic und dessen Verteidigung in Den Haag zu schwächen, in Verbindung gebracht werden.

Am Samstag reagierte SLOBODA mit einer Pressekonferenz auf die Verfolgung ihrer Mitglieder. Meldungen, die daraufhin in der Presse erschienen, wurden nach wenigen Stunden durch polizeiliche Stellungnahmen ersetzt, nach deren Angaben »Markovic in Rußland ist« und die Verhaftung Bjelicas »mit andauernden Ermittlungen zum Tatbestand schlimmster Verbrechen« verbunden sei. Von SLOBODA dagegen wird die Attacke als politischer Angriff gewertet, der klar im Zusammenhang mit der Schwäche der Anklage im Fall Milosevic in Den Haag stehe. Einige Fakten stützen diese These. Neben der Verhaftung von Personen, die direkt für die Verteidigung des Expräsidenten arbeiten, gehen diese Entwicklungen Hand in Hand mit der Entscheidung der Führung von DOS, das Gesetz zur Kooperation mit Den Haag so zu verändern, daß nun doch wieder neu Angeklagte ausgeliefert werden können. Die Ankläger von Den Haag haben am Samstag angekündigt, dies seien weitere 35 Politiker und Generäle. SLOBODA rief unterdes alle fortschrittlichen Kräfte auf, Protestbriefe an die Botschaften Serbiens-Montenegros zu richten und die Beendigung der Verfolgung politischer Gegner zu fordern.

Cathrin Schütz, Belgrad

junge Welt vom 1. April 2003


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