Justiz als Teil des Krieges:

Kolloquium in Berlin über den Fall Milosevic und die Folgen für die internationale Strafgerichtsbarkeit

Wir dürfen gespannt sein über den Fortgang des Prozesses gegen Jugoslawiens Expräsidenten Slobodan Milosevic in dieser Woche. Am vergangenen Freitag hatten die Richter des UN-Tribunals in Den Haag kurzerhand Presse und Öffentlichkeit vom Prozeß ausgeschlossen. Eine Begründung für die bedenkliche Sondermaßnahme des Sondergerichts am 14. Verhandlungstag gibt es bis dato keine, vorher angekündigt war die »closed session« nicht. Das Haager Tribunal stellt seit dem 19. Februar auch keine Protokolle der einzelnen Verhandlungstage mehr ins Internet. Halten wir dem Gericht zugute, daß es viel Arbeit macht, fünf Tage die Woche mehrstündige Kreuzverhöre abschreiben und übersetzen zu lassen. Vielleicht werden ja noch in dieser Woche der interessierten Öffentlichkeit Zeugenaussagen sowie die für die Anklage blamablen Kreuzverhöre der letzten neun Verhandlungstage nachgereicht.

Klaus Hartmann, Vorsitzender der Weltunion der Freidenker und der deutschen Sektion des »Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic«, kritisierte am Sonnabend neben der Gerichtszensur vor allem die mediale Darstellung des als »Jahrhundertprozeß« angekündigten Strafverfahrens in Den Haag. »Wir werden ähnlich wie zu Kriegszeiten belogen«, erklärte er vor rund 200 Teilnehmern des Kolloquiums »Der Fall Milosevic - das internationale Strafrecht und die neuen Kriege der Großmächte«, zu dem die Berliner PDS-Bezirksgruppe Tempelhof-Schöneberg eingeladen hatte. »Die Hauptverantwortlichen für die Tragödie auf dem Balkan sitzen in den NATO-Hauptstädten«, so Hartmann weiter. Diese gehörten »vor die Richter der Völker« - wer auch immer diese sein mögen - und ihre Opfer entschädigt.

Mehrfach betonte Gastgeber Gert Julius, der für die PDS im Rathaus Schöneberg sitzt, daß es sich bei der Veranstaltung »um keine Sympathiebekundung für Slobodan Milosevic« handelt. Die Tatsache, daß es jemand wagt, Theorie und Praxis des Haager Tribunals erörtern oder gar in Frage stellen zu wollen, avancierte in der deutschen Hauptstadt in der vergangenen Woche zum kleinen medialen Skandal. Die Antikriegspartei PDS war ob des Kolloquiums in städtischen Räumen unter Beschuß geraten und so ging man lieber ein wenig in Deckung. Tatsächlich hatte sich draußen vor der Tür am Sonnabend morgen ein Häufchen Elend zum Protest zusammengefunden. »PDS: Keiner wäscht Milosevic weißer« polemisierten ausgerechnet zwei Dutzend Anhänger der Kriegspartei Bündnis 90/Die Grünen auf der Rathaustreppe.

Der Hamburger Völkerrechtsprofessor Norman Paech referierte über »Sinn und Mißbrauch der internationalen Strafgerichtsbarkeit«. Auf dem Verfahren gegen Milosevic laste ganz offensichtlich »der dunkle Schatten« von »Siegerjustiz«. Die zwangsweise Einsetzung des Gerichts verletze die Souveränität von Staaten. So sei der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß die NATO-Staaten ihren Krieg gegen Jugoslawien in Den Haag »nachträglich legitimieren« wollen. Damit sei der Milosevic-Prozeß die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln und diene nicht der Sicherung des Friedens. Trotz der eindeutigen Worte meinte Paech aber, das Ad-hoc-Tribunal in Den Haag spiele eine »ganz hervorragende Rolle« bei der Etablierung eines permanenten Internationalen Strafgerichtshofes - allen »Geburtsfehlern« zum Trotz. Zwar hätten die Staaten immer noch Angst vor der Einmischung in die inneren Angelegenheiten, doch der Weltstrafgerichtshof sei nicht mehr zu stoppen. Dort könnten dann alle gleichermaßen angeklagt werden.

Gerade dieser völkerrechtliche Idealismus stieß bei Peter Koch auf Widerspruch. Der Heidelberger Rechtsanwalt bewertete Paechs Ausführungen »eher skeptisch«. Der Prozeß gegen Milosevic habe »Präzedenzfallcharakter«. Das erste Mal in der Geschichte stehe nach einem Krieg nicht der Aggressor, die NATO, vor Gericht, sondern der Angegriffene, Slobodan Milosevic stellvertretend für Jugoslawien. Sinnfällig sei, daß die Anklageerhebung während der NATO-Angriffe 1999 erfolgte. Nicht nur sei damit die »Justiz Teil des Krieges« geworden, vielmehr werde mit den Haager Verfahren das in der UN-Charta vorgesehene Gewaltverbot unterhöhlt. Völkerrechtlich habe es sich beim Angriff auf Jugoslawien um einen Angriffskrieg gehandelt. Mit Den Haag »erfährt Krieg wieder Legitimität«. Der Prozeß gegen Milosevic verstoße zudem gegen das völkerrechtliche Prinzip der Staatenimmunität. Folge sei, so Koch, daß die Gleichheit der Staaten aufgehoben werde. Recht wird damit zum »reinen Popanz«. Zu befürchten sei, daß sich »all dies auch auf den Weltstrafgerichtshof niederschlägt«. Dort seien per Statut alle westlichen Staaten von der trafverfolgung »praktisch« ausgeschlossen.

Der Bremer Rechtsanwalt Eberhard Schultz verwies in seinen Auführungen auf den Reichstagsbrandprozeß gegen Dimitroff. Zum Verfahren gegen Milosevic gebe es wichtige historische Parallelen, aber auch Unterschiede. Der jugoslawische Expräsident »verteidigt« sich in Den Haag nicht. Milosevic nutze das Tribunal als Tribüne für die Anklage seiner Ankläger, »wie dies Revolutionäre, Kommunisten oder Demokraten in ähnlicher Situation auch getan haben«. Niemand wisse heute, wie der Prozeß enden wird, »wir können aber davon ausgehen, daß ein ›lebenslänglich‹ politisch gebraucht wird«, so Schultz. Im Unterschied zu Dimitroff habe Milosevic in seinem Verfahren heute noch keine internationale Solidaritätsbewegung hinter sich.

Lebhaft ging es zu bei den Ausführungen des Gewerkschafters und Schauspielers Rolf Becker. Ausführlich berichtete er über die desaströse Situation in Jugoslawien, vor allem im Kosovo, seit Ende des NATO-Krieges und dem Machtwechsel in Belgrad. Er berichtete aber auch von Reglementierungen des ver.di-Hauptvorstandes. Er, Becker, dürfe auf dem Kolloquium keinesfalls im Namen der Gewerkschaft sprechen, sei ihm telefonisch mehrfach erklärt worden. Die Antwort an die Gewerkschaftsführung: Unter dem Applaus der Anwesenden beantragte Becker am Sonnabend, in das Internationale Verteidigungskomitee von Milosevic aufgenommen zu werden.

Rüdiger Göbel

junge Welt vom 4. März 2002


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