FREEDOM ASSOCIATION
SPECIAL BULLETIN No. 6

16. Mai 2002

Anklage in Nöten

Alle Zeugenanhörungen haben bisher gezeigt, dass die Autoren der Anklage gegen Slobodan Milosevic in großen Nöten sind. Den endgültigen Beweis lieferte die heutige Anhörung von Ratomir Tanic. Seine 40seitige schriftliche Aussage, zweitägige Antworten auf Fragen der Anklagevertretung, sowie die Sachverhalte, auf die er eingeht, zeigen, dass er einer der Kronzeugen der Anklage ist. Doch seine Antworten auf Milosevics heutige Fragen haben nicht nur die Zuverlässigkeit seiner Zeugenaussage auf Null gesetzt sondern auch seine Glaubwürdigkeit als Zeuge gravierend kompromittiert. Allen Prozessbeteiligten ist dies bewußt geworden, so dass Richter May selbst Tanic oft ernsthaft verwarnen mußte, was er bei den bisherigen Zeugen nicht zu tun pflegte.

Gestern, ganz zu Anfang der Anhörung hatte Milosevic nachgewiesen, dass Tanic seine Aussage unter der "Kontrolle" des britischen Geheimdienstes gemacht hatte, mit dem zusammen er die Anklage mitverfasst hatte. Heute gestand Tanic an einer Stelle, dass er seine umfangreiche Aussage in Englisch gemacht hat, was er als Entschuldigung dafür benutzte, warum er in seiner heutigen Zeugenaussage nicht ganz so genau war.

Es gab praktisch keine Frage, bei der Tanic sich nicht widersprochen hätte. So sagte er, dass Milosevic und seine Mitstreiter 1997, mit Plänen für eine ethnische Säuberung im Kopf, behaupteten, dass weniger als eine Million Albaner in Kosovo und Metohia lebten. Als Milosevic ihn zu dem Eingeständnis veranlaßte, dass damals Vorbereitungen für Präsidentschaftswahlen in Serbien in Vorbereitung waren, und dass ein positives Umfeld für Verhandlungen mit den Kosovo-Albanern geschaffen wurde (ihre Wahlbeteiligung wurde erwartet), konnte Tanic nicht leugnen, dass ihre Bevölkerungszahl im Rahmen von Vorausschätzungen der Wahlergebnisse diskutiert und dabei berücksichtigt wurde, dass sie ihre Zahl immer übertrieben hatten.

In seiner Erklärung hatte Tanic ferner behauptet, Milosevic habe in seiner Rede in Pristina am 25. Juni 1997 die Albaner provoziert und alle bis dahin getroffenen Vorbereitungen für eine politische Lösung annulliert. Doch als Milosevic aus dieser Rede zitierte, deren Akzent ganz auf der Gleichstellung aller ethnischen Minderheiten und auf gegenseitiger Toleranz lag, antwortete ein verwirrter Tanic: "So weit ich erinnere, hat Milosevic darauf bestanden, dass Kosovo ein integraler Bestandteil Serbiens ist." Durch einige völlig private und geheimdienstliche Aktivitäten hatte Tanic die Unabhängigkeit des Kosovo unterstützt, was aus einem Dokument eines im Ausland abgehaltenen Round-Table-Gesprächs ersichtlich ist, an dem er teilgenommen und sich dabei praktisch den albanischen Teilnehmern angeschlossen hat, die für ein unabhängiges Kosovo plädierten (was der Zweck der Zusammenkunft war). Tanic versucht vergebens zu beweisen, dass er dort im Namen von Regierungsbehörden war, deren Partner damals seine Partei, die Neue Demokratie, war. Insbesondere zitierte Milosevic ein Dokument dieser Partei, in dem Kosovo als integraler Bestandteil Serbiens betrachtet wurde.

Die Unzuverlässigkeit des Zeugen Tanic war bei jeder Frage erkennbar. Als Milosevic ihn aufforderte, sich deutlicher über die Lokalitäten seines Präsidialbüros auszulassen, wo Tanic mit ihm Besprechungen gehabt haben will, erklärte Tanic, es befand sich links am Eingang zum Gebäude der serbischen Präsidentschaft. Als Milosevic erläuterte, sein Büro sei im Stockwerk darüber gewesen, antwortete Tanic verwirrt, dass er ihn aus der Halle im Erdgeschoss herauskommen gesehen und geglaubt habe, dies sei sein Büro gewesen.

Demaskiert wurde auch die Behauptung von Tanic, er sei Mitglied irgendeiner Delegation von Neue Demokratie gewesen sei (nach seiner schriftlichen Aussage nur aus Dusan Mihajlovic und ihm bestehend), die mit Milosevic verhandelt habe, da er nun angab, dass es eine ziemlich zahlreiche Delegation gewesen sei. Nachdem Milosevic ihn daran erinnert hatte, dass sein ehemaliger Boss gestern abend erklärt hat (in einer live-Sendung des Belgrader Fernsehens), dass Tanic in diese Vorgänge nicht mehr als jeder andere Bürger Serbiens einbezogen war, versuchte Tanic Erklärungen zu finden, die nicht einmal ihm klar waren. Ähnliches geschah mit seiner Behauptung, dass er Besprechungen mit Milosevic bei Empfängen im Hauptquartier der Vereinigten Jugoslawischen Linken (JUL) gehabt habe. Tanic beharrte darauf, dass diese Gespräche in einem Raum des JUL-Gebäudes statt fanden, während Milosevic erklärte, dass alle JUL-Empfänge im Garten dieses Gebäudes gegeben wurden. Dies wurde heute früh von einem ehemaligen Vertreter von JUL in Belgrad bestätigt.

Tanic ließ sich in einer ganzen Reihe von Widersprüchen fangen, die sich aus Unterschieden zwischen seiner schriftlichen Aussage und der laufenden Anhörung ergaben, so bei seiner schriftlichen Behauptungen, er sei der "Hauptverhandlungsführer" (heute nach seinen eigenen Worten heruntergestuft auf "talks engine"), so hinsichtlich der Aufnahme seiner Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst im Jahre 1993 "während der Vorbereitungen für Dayton" (Milosevic erinnerte ihn daran, dass die Dayton-Verhandlungen erst zwei Jahr später vereinbart wurden), so auch bei seinen Äußerungen über Milosevic, der versucht habe Ende 1996 einen Bürgerkrieg in Serbien zu provozieren und danach unter eine "milde Kontrolle der Armee und der Polizeikräfte" gestellt worden sei, um ihn von der Verwirklichung solcher Absichten abzuhalten (was für alle, die damals in Serbien lebten, wie ein Science-Fiction-Plot aussah).

Auf die Frage, wer ihn die Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst aufnehmen ließ, antwortete Tanic: "Beide Seiten - die serbischen und britischen Dienste". Befragt nach seiner Stellung innerhalb von Neue Demokratie, behauptete Tanic, von Dusan Mihajlovic ermächtigt gewesen zu sein, mit den Albern als "Berater des Parteiführers", "Mitglied ihres Executive Board" und "Mitglied des Kabinetts des Präsidenten von Neue Demokratie" zu verhandeln. Richtig ungemütlich wurde es für Tanic, als Milosevic beantragte, Tanics Parteiaufnahmeantrag einzusehen, aus dem unzweideutig hervorgeht, dass er ein schlichter Sympathisant und nicht einmal ein ordentliches Mitglied von Neue Demokratie gewesen ist.

Was die Natur von Tanics Einlassung als Zeuge betrifft, so spricht die Aussage aus seiner schriftlichen Erklärung für sich selbst, "Albaner sollten das Piedmont Südeuropas sein", was nur bedeuten kann: Schaffung eines Großalbanien unter Abtrennung von Teilen von Montenegro, Serbien, Mazedonien und Griechenland. Erst leugnete Tanic, dies ausgesagt zu haben. Dann, nachdem er das Original eingesehen hatte, erklärte er dies einfach für einen Druckfehler!

Nach allem, was wir in diesen wenigen Tagen von Tanic gehört haben, ist mehr als offenkundig, dass wir es mit einem Mitarbeiter eines fremden Geheimdienstes zu tun haben, der an der Vorbereitung der Anklage gegen Milosevic beteiligt war; aber noch offenkundiger ist, dass er völlig unfähig ist, die Rolle eines Kronzeugen für die Anklage zu spielen , wie diese Dienste sich das vorgestellt haben.

Tanics Kreuzverhör durch Milosevic und die "Amici Curiae" wird morgen und wahrscheinlich auch noch nächsten Dienstag fortgesetzt.

Übersetzung aus dem Englischen:
Internationales Komitee für die
Verteidigung von Slobodan Milosevic
- Deutsche Sektion -


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