Kein Interesse an gefallenen Serben

Arbeit des Haager Tribunals im Fall Racak bemängelt

SARAJEVO/HELSINKI, im Januar. Unverständnis über die Arbeit des Haager UN-Tribunals im Fall des so genannten Massakers von Racak hat die finnische Pathologin Helena Ranta geäußert. Die damalige Leiterin des forensischen Teams, das von der EU zur Untersuchung der Vorgänge im Kosovo-Dorf Racak im Januar 1999 entsandt wurde, bemängelte im Gespräch mit der Berliner Zeitung, dass Hinweisen auf schwere Kämpfe zwischen serbischen Soldaten und albanischen Kämpfern in der Nacht vom 15. zum 16. Januar 1999 im Raum Racak durch das UN-Tribunal nur unzureichend nachgegangen wurde.

Die Tragödie in dem Kosovo-Dorf, bei dem vor genau fünf Jahren mehr als 40 Albaner starben, wurde von westlichen Politikern genutzt, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit des bevorstehenden Nato-Angriffs auf Jugoslawien zu überzeugen. Eine zentrale Rolle spielte der US-Diplomat William Walker. Der Chef der Kosovo-Mission der OSZE bezichtigte umgehend die Serben, in Racak 45 unbewaffnete albanische Zivilisten aus nächster Nähe exekutiert zu haben. Die serbische Seite wies die Darstellung zurück und sprach von im Kampf gefallenen UCK-Kämpfern.

Fotos nicht veröffentlicht

Sie wisse, dass damals "UCK-Kämpfer in der Nähe von Racak begraben wurden", sagte Ranta. "Ich habe schon seinerzeit Informationen erhalten, die beweisen, dass dort auch mehrere serbische Soldaten erschossen wurden. Leider werden wir die genaue Zahl der in dieser Nacht gefallenen Serben wohl nie erfahren." Es sei "beim Tribunal nachzufragen, warum es sich für deren Zahl nicht interessiert".

Ranta bemängelte, dass die Anklageschrift gegen den jugoslawischen Ex-Präsidenten Milosevic im Fall Racak weitgehend der von Walker überlieferten Tatversion folgt. "Wenn Botschafter Walker sagt, dass es sich in Racak um ein Massaker gehandelt habe, hat diese Aussage keinerlei rechtliche Wirkung. Ich habe schon damals erklärt, dass die OSZE-Beobachter sämtliche Schritte, die man bei der Sicherung eines Tatorts normalerweise erwartet, vergessen haben: die Isolierung des Geländes etwa, den Ausschluss unautorisierter Personen sowie das Einsammeln aller Beweisstücke."

Ranta forderte, zusätzlich zu den OSZE-Fotos vom Tatort auch die Bilder von zwei weiteren Fotografen zu veröffentlichen, die einige Stunden vor Ankunft der OSZE-Beobachter gemacht wurden. Die Bilder zeigten, "dass mindestens einer der Körper nachträglich bewegt wurde - dieser Leichnam ist auf den OSZE-Bildern nicht zu sehen".

Im Stich gelassen

In den Tagen vor Beginn der Nato-Angriffe auf Jugoslawien sei klar gewesen, "dass eine ganze Reihe von Regierungen Interesse an einer Version der Ereignisse von Racak hatten, die allein die serbische Seite verantwortlich machten", so Ranta. "Diese Version konnte ich ihnen aber nicht liefern."

Ihre Instruktionen habe sie von dem deutschen Diplomaten Botschafter Pauls erhalten. Der Vertreter der damaligen deutschen EU-Präsidentschaft habe gebeten, eine schriftliche Stellungnahme vorzubereiten. "Danach musste ich diese persönlichen Äußerungen William Walker zeigen, der offensichtlich alles andere als begeistert war, als er sie las." Dennoch habe sie der Teilnahme an der wichtigen Pressekonferenz vom 17. März 1999 zugestimmt. "Bei dieser saß ich gemeinsam mit dem deutschen Botschafter in Belgrad, Gruber, und einem finnischen Diplomaten auf dem Podium. Ich hoffte, die beiden Herren würden mich unterstützen." Das sei leider nicht der Fall gewesen. "Ich hatte eher das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein", sagte Ranta.

Im Ergebnis der von Walker dominierten Pressekonferenz sahen die meisten Medien die Version von einem serbischen Massaker an albanischen Zivilisten bestätigt. Wenige Tage später begannen die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien.

Markus Bickel

Berliner Zeitung vom 17.01.2004


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