Juristen fordern die Einstellung des Miloevic-Prozesses aus Mangel an Beweisen
Anläßlich des bevorstehenden Endes der Anklagehalbzeit im Prozeß gegen Slobodan Miloevic vor dem Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag erheben Juristen erneut scharfe Kritik gegen das Tribunal. Der ehemalige US-amerikanische Justizminister Ramsey Clark richtet sich in einem Schreiben an Präsident George W. Bush, UNO-Generalsekretär Kofi Annan sowie an den UNO-Sicherheitsrat und die Generalversammlung. Er hebt hervor, dass es den Anklägern trotz der Einberufung von weit mehr als 200 Zeugen in fast 300 Prozeßtagen nicht gelungen sei, signifikante Beweise gegen den angeklagten ehemaligen jugoslawischen Präsidenten vorzubringen. Trotz einem Materialumfang von mehr als 500.000 Seiten und 5.000 Videokassetten konnte die Anklage unter Carla Del Ponte Miloevic weder eine kriminelle Handlung noch Absicht nachweisen. Die Anklage habe offensichtlich versucht, durch die Quantität der Zeugen und Materialien eine unabhängige wissenschaftliche Prüfung der Beweise weitgehend zu unmöglich zu machen, so Clark.
Die Untersuchungen gegen Miloevic wurden bereits 1994 unter dem damaligen ICTY-Chefankläger Richard Goldstone aufgenommen. Bis zum Ende seiner Amtszeit im Dezember 1996 konnte er keine ausreichenden Beweise für eine Anklage hervorbringen. Angeklagt wurde Miloevic erst im Mai 1999, just während des NATO-Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, einen Monat nachdem NATO-Bomben auf das Wohnhaus Miloevics fielen, der Mordanschlag jedoch scheiterte.
Die Anklage bezog sich auf Verbrechen, die im Kosovo begangen worden sein sollen, Bosnien und Kroatien blieben ursprünglich unerwähnt. Wie Clark feststellt, wurde zum Zeitpunkt der Anklageerhebung in Anbetracht des NATO-Bombardements keine Untersuchung vor Ort durchgeführt, die Beschuldigungen wurden auf Behauptungen gestützt. "Die Anklage war ein rein politischer Akt, um Präsident Miloevic zu dämonisieren und das illegale NATO-Bombardement zu rechtfertigen". Laut Clark stehe Miloevic vor einem Gericht, das der UNO-Sicherheitsrat in Überschreitung seiner Kompetenzen gegründet habe, weil er versuchte, Jugoslawien und damit den Frieden auf dem Balkan zu retten und damit den Plänen westlicher Regierungen zuwider lief. Das ICTY sei illegal und, wie die einseitige Anklage der serbischen Führung der Republiken zeige, höchst parteiisch.
Clark forderte die Verhängung eines Moratoriums über alle UNO-ad-hoc Verfahren und die Einberufung unabhängiger Expertenkommissionen zur Prüfung der Lagalität des Tribunals und des Verfahrens gegen Miloevic.
Auf einer Pressekonferenz des Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Miloevic (ICDSM) forderten die kanadische Anwältin Tiphaine Dickson, vormals Verteidigerin in einem der ersten Völkermordprozesse vor dem ad-hoc-Tribunal für Ruanda, sowie der Rechtsgelehrte Velko Valkanov aus Bulgarien am Dienstag in Den Haag die Einstellung des Verfahrens aus Mangel an Beweisen. Valkanov, Ehrenvorsitzender der Antifaschistischen Allianz Bulgariens und Vorsitzender des ICDSM, erinnerte daran, daß es in den Nürnbergerer Prozessen gelang, die Schuld von 24 Nazis in weniger als einem Jahr nachzuweisen. Bezogen auf Miloevic sei es doch merkwürdig, daß es im dritten Jahr nicht gelinge, einen überzeugenden Beweis zu erbringen. "Doch", so Vulkanov, das alle Regeln des Strafverfahrens verletzende ICTY ein "Verbrechen gegen die Justiz" bezeichnend, "kann es Beweise für eine Schuld geben, wenn die Schuld nicht existiert?".
Während Dickson die noch immer unzulängliche medizinische Versorgung Miloevics kritisierte, verurteilte Prof. Valkanov die eben zum zweiten mal verlängerte völlige Kontaktsperre Miloevics. Die anläßlich der Wahlen in Serbien verordnete Isolation umfaßt damit 90 Tage. Indem das ICTY jeglichen politischen Einfluß Miloevics unterbinde, um die Entwicklung zu steuern, mache es sich um aktiven Teilnehmer im serbischen Wahlkampf.
Laut Plan sollte die Anklagehalbzeit in dieser Woche beendet werden. Wegen der anhaltend schwachen Gesundheit Miloevics mußte die Verhandlung jedoch abgesagt werden.
Cathrin Schütz, Den Haag