KASSELER FRIEDENSFORUM:

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KOPFGELD 2,8 MRD. DM - MILOSEVIC NACH DEN HAAG AUSGELIEFERT

Die NATO-Krieger haben ihr Ziel erreicht: Sie sind vorerst aus der Schusslinie

Kann jetzt, wenn die Akte Milosevic in Den Haag geöffnet wird, die Akte "NATO-Krieg gegen Jugoslawien" geschlossen werden? Es sieht zunächst alles so aus. Zwei Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Krieg ist der ehemalige Präsident Serbiens und Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, unter seltsamen Bedingungen und Begleitumständen an das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien nach Den Haag überstellt worden. Seine Anwälte und politischen Freunde sprechen von einer "Entführung" und sie haben damit nicht einmal Unrecht.

Zur Erinnerung: Vor wenigen Tagen ist eine Gesetzesinitiative der jugoslawischen Regierung unter Ministerpräsident Djindjic im Parlament gescheitert, die eine Auslieferung des Häftlings Milosevic ermöglichen sollte. Die jugoslawische Verfassung verbietet nämlich eine Auslieferung von Staatsbürgern an das Ausland. Darauf hat Djindjic ein Regierungsdekret zusammengebastelt, das im Wesentlichen darauf abstellte, die UNO-Einrichtung in Den Haag sei in Wirklichkeit gar nicht "Ausland", somit verstoße eine Auslieferung auch nicht gegen die Verfassung. Gegen diesen Erlass der Regierung erhob Milosevic Klage beim Verfassungsgericht. Das Gericht beriet am 28. Juni und kam zu dem Ergebnis, dass es zu einer eingehenden rechtlichen Würdigung des Regierungsdekrets noch mehr Zeit brauche. Insoweit also sei das Dekret vorläufig auszusetzen.

Doch mit der Rechtsstaatlichkeit scheint es im neuen, demokratischen Jugoslawien nicht weit her zu sein. Der jugoslawische Innenminister Zoran Zivkovic erkannte die Gerichtsentscheidung nicht an und erklärte, die von Milosevic ernannten Richter hätten mit ihrer Entscheidung versucht, den Expräsidenten zu schützen. Auch Djindjic wollte keinen Tag länger auf seinen großen Triumph warten. Er verkündete, das Verfassungsgericht habe kein Recht gehabt, über das Dekret zu entscheiden. Wörtlich sagte er: "Die Entscheidung war ein Versuch, die gesamte Zukunft unseres Landes aufs Spiel zu setzen." Wie das? Am Freitag, den 29. Juni sollte eine so genannte "Geberkonferenz" für Jugoslawien in Brüssel stattfinden. Dort beraten die EU, die Weltbank und die USA immerhin über 2,8 Mrd. DM Finanzhilfe an Belgrad. Ursprünglich hieß es aus Washington, die USA nähmen nur dann daran teil, wenn Milosevic an das Tribunal in Den Haag ausgeliefert worden sei. (Mit einer ähnlichen Erpressung erreichten die USA am 1. April die abenteurliche Verhaftung des Staatsfeinds Nr. 1.) Diese allzu direkte Einmischung in die Rechtsangelegenheiten Jugoslawiens ging selbst manchen westlich orientierten Politikern in Belgrad zu weit. Die Bush-Administration merkte, dass sie den Bogen überspannt hatte und lenkte am Mittwoch (27. Juni) ein: Sie werde auf jeden Fall an der Geberkonferenz teilnehmen und vertraue im Übrigen darauf, dass die Auslieferung in den nächsten Tagen stattfinden werde. Djindjic wollte seine Sache aber besonders gut machen und wies seine Behörden an, Milosevic trotz anderslautendem Spruch des Verfassungsgerichts außer Landes bringen. Ein wenig mag da auch das Datum eine Rolle gespielt haben: Der 28. Juni ist ein "Schicksalstag" für Serbien. Einerseits wurde an diesem Tag im Jahr 1389 das serbische Kaiserreich auf dem Amselfeld (Kosovo) von den Türken geschlagen. Vor genau 12 Jahren, am 28. Juni stand Milosevic vor einer Million Anhänger auf dem Amselfeld und hielt seine berühmte - und oft falsch zitierte - Rede über die Zukunft Serbiens.

Einer von Milosevics Anwälten, Branimir Gugl, sprach von einer Entführung seines Mandanten. Und er hat so Unrecht nicht. Nicht einmal der jugoslawische Präsident Kostunica, Wahlsieger über Milosevic im vergangenen Oktober, ist von dem Kidnapping informiert worden. Er erfuhr davon erst "aus den Medien", teilte sein Büro mit. Die innenpolitischen Folgen sind heute noch gar nicht absehbar. Aus Montenegro kam prompt ein Signal der Sozialistischen Volkspartei SNP: "Die Auslieferung ist Verfassungsbruch und wird schwerwiegende Folgen haben", drohte der SNP-Politiker Zoran Knezevic im Belgrader Fernsehen. Der Bundesstaat aus Serbien und Montenegro hat aufgehört zu bestehen, kommentierte dazu ein Journalist. Doch das alles ficht westliche Demokraten nicht an, dem mutigen Schritt der Belgrader Regierung höchstes Lob zu zollen. Bundeskanzler Schröder hat die Überstellung des früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag "außerordentlich" begrüßt. "Dies ist ein großer Erfolg für die internationalen Bemühungen um Gerechtigkeit", erklärte Schröder am Donnerstagabend in Berlin. Jugoslawien komme "mit diesem sicherlich nicht leichten Schritt" seiner rechtlichen Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem Tribunal nach. Dies sei angesichts der unzähligen Opfer der Kriege im ehemaligen Jugoslawien auch "unabdingbar". Die internationale Gemeinschaft sollte nach Ansicht Schröders jetzt rasch den Wiederaufbau in Jugoslawien verstärkt unterstützen. "Deutschland ist hierzu nach besten Kräften bereit."

Diese Art, einen - jugoslawischen - Rechtsbruch in ein höheres Recht, in UN-Recht sozusagen umzudeuten (UN-Recht kann auch als Unrecht gesprochen werden), erinnert fatal an die Sprachkünste der Bundesregierung zur Rechtfertigung des NATO-Kriegs vor zwei Jahren. Damals wurde aus einem regelrechten Krieg eine Friedensmission oder jedenfalls ein Nicht-Krieg. Aus Milosevic war schon vor dem Krieg ein "Hitler des Balkan" gemacht worden, um den völkerrechtswidrigen Krieg wenigstens moralisch zu legitimieren.

Nun wäre spätestens hier der Platz für eine Erklärung, dass man die hier vorgebrachte Kritik an dem Vorgehen der jugoslawischen Führung doch bitte nicht als Parteinahme für den gekidnappten Milosevic verstehen dürfe. Ich werde mich diesem pflichtgemäßen Bekenntnis an dieser Stelle nicht unterziehen. Nicht weil ich nun plötzlich doch etwas für Milosevic übrig hätte - habe ich nie gehabt -, sondern weil es mir um den ganzen Fall Milosevic geht, und dazu gehört die ganze Geschichte der Zerschlagung Jugoslawiens in den 90er Jahren (manche sprechen vom "Zerfall", als habe es sich um einen Naturprozess gehandelt, es war aber eine sowohl von Außen als auch von Innen betriebene Zerschlagung des Vielvölkerstaats). Dazu gehört die Vorbereitung, Planung und Ausführung des völkerrechtswidrigen NATO-Kriegs gegen Jugoslawien, der keineswegs um das Kosovo geführt wurde (die albanische Bevölkerung war nur die Manövriermasse für die mediale Vermittlung des Krieges), sondern der die Neuordnung des Balkan und die endgültige Ausschaltung des letzten unbotmäßigen Regimes in Südosteuropa zum Ziel hatte. Dazu gehört auch der "Probelauf" eines selbstmandatierten Krieges der NATO "out of area", so wie es die neue NATO-Stratgie auf dem Washingtoner Gipfel am 24. April 1999 dann auch abgesegnet hat. Und dazu gehört schließlich der Versuch der NATO-Regierungen, sich endgültig aus der moralischen und politischen Schusslinie zu nehmen: Mit Milosevic steht der Alleinschuldige an den Balkankriegen der vergangenen zehn Jahre auf der Anklagebank - über alle anderen, die Schuld auf sich geladen haben, "Schwamm drüber" und die Akten schließen. - Die Friedensbewegung wird gut daran tun, die Akten zu behalten - zur gelegentlichen Wiedervorlage.

Peter Strutynski


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