Medien und Krieg - Der Fall Milosevic
Milosevic ist schuldig - das steht fest - denn wäre er es nicht, wäre es die Nato
Betrachtungen zu Jürgen Elsässers Buch 'Kriegslügen', Jugoslawien und dem Prozess gegen Slobodan Milosevic

Wer ist Milosevic? Das ist keine Frage. Er ist der Diktator, der Schlächter, der Schurke, der Irre, er ist der neue Hitler. Er betreibt eine Mordmaschinerie, begeht bestialische Verbrechen und Völkermord, verwandelt den Balkan in ein Schlachthaus. Sein Ziel ist die ethnische Säuberung Jugoslawiens, die systematische Ausrottung von Minderheiten, alles in allem die Endlösung. Er ist verantwortlich für die Einrichtung von Konzentratonslagern, für ein faschistisches System, das den Gedanken an Auschwitz aufkommen läßt. So oder ähnlich haben wir es im Vorfeld und während des Krieges der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (dem so genannten Kosovo-Konflikt) über die Medien wieder und wieder gehört und gelesen.

Und die 'Blätter für deutsche und internationale Politik' ergänzen im Oktober 2004: er ist „der Drahtzieher der Kriege in Kroatien (1991/92), Bosnien (1992/95) und im Kosovo (1998)". Er „hat sie alle losgetreten". Er „mißbraucht" das Tribunal in Den Haag, an das er ausgeliefert wurde, „als Tribüne für demagogische Erklärungen und billige Tricks" und löst mit dem, „was er am letzten Augusttag [2004] aufführte, ... in Belgrad und ganz Serbien nur Langeweile aus." Er „redete wie seit 15 Jahren". „Vier Stunden lang rauschte dieser Phrasenschwall..." Es ist klar: Milosevic ist schuldig. Und wenn er nicht schuldig wäre, dann ist er trotzdem schuldig. Der Autor Wolf Oschlies vom Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, der so in den 'Blättern' zu Wort kommt, schreibt es dort selbst: er könnte „freigesprochen werden, was nach dem Gang des Verfahrens zwar nicht auszuschließen ist, politisch aber inakzeptabel anmutet." „Milosevic als Märtyrer zu sehen, ist einfach lachhaft..."

Und auch der WDR befaßt sich mit dem Prozess: „'Die Massaker fanden am Tag unseres Opferfestes statt. Und deine Polizei sagte zu uns: heute ist Bajram. Ihr könnt eure Lämmer schlachten, dann schlachten wir euch!... Man hat die Leute massakriert, verbrannt, und man hat die Leute abgeschlachtet.' Mustafa Draga, der wie durch ein Wunder eine Massenexekution überlebt hat, bringt diese Worte nur mühsam über seine Lippen. Der Verantwortliche für diese Gräueltaten sitzt ihm auf der Anklagebank gegenüber - Slobodan Milosevic..." So formuliert der WDR in der Vorankündigung der am 1.12.2003 ausgestrahlten Fernsehsendung 'Das Tribunal - Angeklagt Slobodan Milosevic'. Es ist klar: Milosevic ist für die Gräueltaten verantwortlich. So wissen es der Filmautor Thomas Schmitt sowie die verantwortlichen Redakteure Klaus Antes und Peter Winterberg, bevor ein Urteil gesprochen ist. „124 Zeugen" - so lesen wir weiter - „durchleben noch einmal, was sie erlitten haben und werden von einem oft arroganten und zynischen Milosevic ins Kreuzverhör genommen... Das Haager Tribunal lässt sich in seiner historischen Bedeutung nur mit den Nürnberger Prozessen und dem Eichmann-Prozess vergleichen." Das, was Milosevic bei dem Tribunal vorgeworfen wird - darin ist sich der WDR sicher - muß mit den Nazi-Verbrechen auf eine Stufe gestellt werden. (siehe dazu auch: "Nie wieder Aufklärung - WDR-Dokumentation über den Haager Prozeß gegen Milosevic erhält den Joseph-Goebbels-Preis der Fernsehkritik")

Jürgen Elsässer befaßt sich mit dem Prozess gegen Slobodan Milosevic auf andere Weise. Die Vorverurteilung ist nicht sein Ding. Jürgen Elsässer untersucht in seinem Buch 'Kriegslügen' den Prozess von verschiedenen Seiten.

Jürgen Elsässer, Kriegslügen - Vom Kosovokonflikt zum Milosevic-Prozess, Edition Zeitgeschichte im Kai-Homilus-Verlag, Berlin, 2004, 340 Seiten, 18 Euro

Völkermord: Wesentliche Rechtfertigung für den Krieg der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien war der 'Völkermord im Kosovo'. So steht es mit etwas anderen Worten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 24.3.2002, die Jürgen Elsässer zitiert. Aber der 'Völkermord im Kosovo' fehlt in der Anklageschrift. Le Monde fragt warum. Carla del Ponte antwortet: „Weil es keine Beweise dafür gibt." Statt Völkermord wird Milosevic der Tod von 'Hunderten kosovoalbanischer Zivilisten' vorgeworfen. Die Anklage listet 577 namentlich auf, zumeist Männer im wehrfähigen Alter. Zuvor hatten die Haager Ankläger von über 10.000 Ermordeten Kosovo-Albanern gesprochen. „Frau del Ponte hatte die Zahl sogar akribisch genau auf 11.334 Tote beziffert." Das hat Jürgen Elsässer auf der UN-Nachrichtenseite vom 10.11.1999 nachgelesen.

Vertreibung: Jürgen Elsässer zitiert die Anklageschrift: „Die Terror- und Gewaltkampagne gegen die kosovoalbanische Bevölkerung wurde von den Streitkräften der FRJ und Serbien ausgeführt, die von Slobodan Milosevic... Anweisungen, Ermutigungen und Unterstützung erhielt." Doch es wird deutlich, wie wenig belegbar diese Behauptung ist. Es gebe „im gesamten Archiv des Pristina-Korps und der Dritten Armee kein einziges Dokument..., das nicht auf dem Schutz der Zivilisten besteht", zitiert er aus einem 2001 in Belgrad erschienenen Buch von Dusan Vilic und Bosko Todovowic. und resümiert: „In jedem Fall bleibt festzuhalten, daß Straftaten und Kriegsverbrechen nicht nur gegen mehrfachen und ausdrücklichen Befehl der jugoslawischen Militärspitze begangen, sondern auch entsprechend geahndet wurden. Zwar darf man bezweifeln, daß die Kommandeure die Truppendisziplin während der Bombardierung [der Nato] mit der erforderlichen Konsequenz durchsetzten. Doch auszuschließen ist der Umkehrschluß, daß die Delikte im Auftrag der Armeeführung erfolgten... Das war Del Pontes Dilemma: Ihre Anklageschrift behauptete allen Ernstes, die serbischen und jugoslawischen Sicherheitskräfte hätten auf Anordnung Milosevics 'bis 20. Mai 1999 über 740.000 Kosovo-Albaner... vertrieben' - präsentierte dafür aber keinen einzigen schriftlichen Befehl."

Apartheid: Der Zeuge Mahmut Bakalli behauptet, mit der Verfassungsänderung von 1989 und der damit verbundenen Beschneidung der Autonomie sei eine Apartheidssituation entstanden. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20.2.2002 findet Jürgen Elsässer dazu folgende Einschätzung: „Auf Milosevics Fragen gab er dann zu, daß es für ganz Serbien ein einheitliches Unterrichtsprogramm gegeben habe, das genauso auch im Kosovo gegolten habe. Außerdem gab er zu, daß in den staatlichen Schulen die Schüler auch in albanischer Sprache hätten unterrichtet werden können. Doch die albanischen Schüler hätten sich geweigert, in die staatlichen Schulen zu gehen." Außerdem „räumte Bakalli nach Insistieren Milosevics ein, daß durch die Verfassungsänderung von 1989 formell die Autonomie nicht aufgehoben worden sei..."

Hufeisenplan: In einem schriftlichen Statement behauptet der Zeuge Ratomir Tanic, die Staatsführung habe sich ein 'kleines Bombardement' durch die Nato gewünscht, um dann die Albaner gemäß des so genannten Hufeisenplans aus der Provinz treiben zu können. Im Laufe seines Auftretens als Zeuge im Mai 2002 gibt Tanic zu, daß er die schriftliche Stellungnahme im Beisein von mindestens zwei britischen MI-6-Geheimdienstagenten abgefaßt hat und er zur Zeit an einem Buch über die Vorwürfe gegen Milosevic arbeite. Finanziert werde es vom britischen Nachrichtendienst. Man muß offenbar nur genau lesen, um auf solche selbstentlarvenden Äußerungen zu stoßen. Das tut Jürgen Elsässer an Stellen, wo es sonst meist geflissentlich unterbleibt. Und Jürgen Elsässer läßt Milosevic zu Wort kommen, ohne alles, was dieser sagt, von vornherein als abwegig zu disqualifizieren: Milosevic wirft dem Präsidenten der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, vor - so zitiert Jürgen Elsässer die 'FAZ' vom 7.5.2002 - er „sei im April 1993 anläßlich der Entgegennahme einer amerikanischen Auszeichnung mit einem amerikanischen Kongreßabgeordneten zu einem Gespräch zusammengetroffen; dabei sei ein Plan erörtert worden, nach dem die Armee und Polizei im Kosovo provoziert werden sollten und Vorbereitungen für die Ankunft von fremden Truppen vorgesehen gewesen seien. Der Plan habe zudem vorgesehen, daß die Albaner das Kosovo in großen Zahlen verlassen sollten, damit man von Massendeportationen sprechen und dann die ausländischen Truppen einmarschieren könnten." Rugovo streite allerdings ab, 1993 ein solches Gespräch geführt zu haben.

Massenerschießung: Jürgen Elsässer befaßt sich mit einem weiteren interessanten Zeugen. Es ist Lazim Taci. Der gibt an, eine Massenerschießung überlebt zu haben und zeigt als Beweis Fotos von Jacke, Weste und Hemd, die er getragen hatte - alle drei mit Einschußlöchern. Die Kugeln hätten die Kleidung durchbohrt, ihn selber aber unversehrt gelassen. „Als Erklärung dieses Wunders meint der Zeuge im Kreuzverhör, daß Gott es offensichtlich so gewollt habe, damit er, Lazim Taci, von diesem Massaker berichten kann."

Das 'Massaker' von Racak: Das so genannte Massaker von Racak, das im Januar 1999 stattgefunden haben soll, ist der einzige Anklagepunkt in Zusammenhang mit dem Kosovo aus der Zeit vor Beginn des Krieges der Nato gegen Jugoslawien und war gleichzeitig dessen entscheidender Auslöser. Der Anklagepunkt erhält dadurch ein besonderes Gewicht. Gemäß der Darstellung von Milosevic sind die Toten keine Zivilisten gewesen, sondern Opfer militärischer Auseinandersetzungen, die von der UCK aus größerem Umkreis zusammengetragen und TV-wirksam drapiert worden seien. Jürgen Elsässer widmet diesem 'Massaker' ein kompettes Kapitel und unterzieht es einer eingehenden Analyse. Das Ergebnis: alles deutet darauf hin, daß die Realität dem, wie es eigentlich nicht sein kann, äußerst nahe kommt - nämlich der Darstellung des Angeklagten, der nur mit 'demagogischen Erklärungen und billigen Tricks' operiert - wie wir erfahren haben - und dessen Darstellungen deshalb per se nicht zutreffen können. Jürgen Elsässer läßt sich durch diese Logik nicht irritieren. Die Behauptungen der Ankläger bzgl. Racak - so macht Jürgen Elsässer deutlich - bleiben unbewiesen.

Das 'Massaker' von Srebrenica: Das so genannte Massaker von Srebrenica, das vor zehn Jahren im Juli 1995 stattgefunden haben soll, hat dem Feindbild 'Die Serben' ganz einscheidend den Boden bereitet. Auch dieses Ereignis wird von Jürgen Elsässer eingehend analysiert. Auch in diesem Fall wird sehr deutlich, daß die von den Medien allgemein verbreitete Darstellung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mit der Realität nicht viel zu tun hat. (siehe dazu: 'Srebrenica, Frau Albright und die Satellitenbilder' und weitere Betrachtungen in der Rubrik zu Srebrenica)

Die Neue Zürcher Zeitung fragt am 26. September 2002: „Teilen Sie die Auffassung..., wonach bereits jetzt genügend Beweise gegen Milosevic vorliegen, um ihn zu verurteilen?" Chef-Anklägerin Carla del Ponte antwortet: „Nein..." Und Nato-Sprecher Jamie Shea ist am 17.5.1999 bei einer der täglichen Pressekonferenzen gemäß 'FAZ' vom 12.2.2002 ganz offen: „Die Nato-Länder haben die Mittel bereitgestellt, um das Tribunal einzurichten, wir sind die größten Geldgeber. Wenn [die ehemalige Chef-Anklägerin] Frau Arbour Ermittlungen führt, dann macht sie das, weil wir es ihr erlauben."

Jürgen Elsässer liest offenbar Zeitung. Das ist eigentlich nichts besonderes. Aber er verfügt nicht - wie viele seiner Zeitgenossen - über die Fähigkeit, unpassende Informationen auszublenden. Unpassend sind Informationen, die die Schuld des Angeklagten in Frage stellen. Milosevic ist schuldig - das steht fest - denn wäre er es nicht, wären es die Nato-Staaten. Das aber ist ein Gedanke, der nicht aufkommen darf. Jürgen Elsässer setzt sich über solche Denkverbote hinweg. Aber die Mehrzahl der Menschen ist gegen Unpassendes immun. Daran haben insbesondere die Teile der Medien mitgewirkt, die (noch) ein gewisses kritisches Image haben, wie beispielsweise der 'Spiegel', die 'taz' oder der 'WDR'. Sich dagegen durchzusetzen, ist schwer. Dennoch: Jürgen Elsässer leistet dazu einen wichtigen Beitrag.